Das ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts. Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video. Und den ganzen Podcast findet ihr auch bei Spotify.
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Sternengeschichten Folge 458: Im Mittelpunkt des Universum
Willkommen im Mittelpunkt des Universum! Wenn wir ehrlich sind, denken wir doch alle, dass wir der Mittelpunkt des Universums sind, oder nicht? Geht ja auch kaum anders; wir alle betrachten das Universum quasi aus dem Inneren unseres Gehirns und von dort aus kann es nur so aussehen, als würde sich alles um uns drehen. Aber heute geht es nicht um Psychologie sondern um die durchaus aus astronomischer Sicht berechtigte Frage: Wo ist der Mittelpunkt des Universums?
Aus historischer Sicht hat man dieses Zentrum lange Zeit in das Zentrum der Erde gelegt. Das lag natürlich einerseits daran, dass man nicht gewusst hat, was da draußen noch alles ist. Mit “Universum” hat man damals – wir sind jetzt in der griechischen Antike – etwas ganz anderes gemeint als das, was wir uns heute vorstellen. Das Universum war die Erde. Um die Erde herum waren ein paar himmlische Sphären, wie die Schalen einer Zwiebel. An diesen Schalen waren die Planeten montiert und ganz außen war die Schale mit den Lichtern der Sterne. Das wars; das Universum war die Erde mit ein bisschen Beiwerk drumherum. Es gab auch philosophisch-wissenschaftliche Gründe, die Erde als Zentrum zu betrachten. Über den Aufbau der Materie wusste man damals noch nicht viel; auch nicht, wie die fundamentalen Kräfte funktionieren. Man konnte auch nicht viel wissen; es gab keine Messinstrumente, Mikroskope, Teilchenbeschleuniger oder sonst irgendwas, mit dem man das herausfinden konnte. Den Leuten ist nicht viel anderes übrig geblieben, als sich mehr oder weniger logisch klingende Hypothesen auszudenken. Eine davon geht auf Aristoteles zurück: Das ist der, der die Materie in die vier klassischen Elemente Feuer, Wasser, Erde und Luft eingeteilt hat. Alles sollte aus diesen grundlegen Materieformen bestehen. Und jeder dieser Arten von Materie sollte eine ganz bestimmte Art der Bewegung innewohnen; die wäre quasi von Werk an fix eingebaut. Alles wo viel vom Element Luft enthalten ist, steigt nach oben. Denn der “natürliche Ort” der Luft ist der Himmel und alles will immer zu seinem natürlichen Ort zurück. Deswegen steigt Rauch auf und bleibt nicht am Boden liegen. Der natürlich Ort des Elements Erde dagegen ist das Zentrum des Universums. Dort will sie hin und wenn wir beobachten, dass Sachen zu Boden fallen, muss das daran liegen, dass das Zentrum des Universums unter unseren Füßen ist. Im Mittelpunkt der Erde und es ist nur logisch, dass die Erde genau diesen Mittelpunkt besetzt, denn wo sonst soll sich im Universum das ganze Zeug ansammeln?
Mit dem damaligen Wissen (oder dem Mangel daran) klingt das plausibel. Aber auch in der Antike gab es schon Gelehrte, die das anders gesehen haben und sich andere Welten wie die Erde vorgestellt haben, was die Frage nach dem Mittelpunkt dann wieder kompliziert macht. Aber wie gesagt: Mehr als spekulieren konnte man damals nicht. In der frühen Neuzeit verstand man schon ein wenig mehr. Isaac Newton hat erklärt, warum Zeug wirklich zu Boden fällt und die Sache mit der Gravitationskraft herausgefunden. Johannes Kepler hat aus Beobachtungsdaten herausgefunden, dass sich die Erde um die Sonne dreht und nicht umgekehrt; wir also nicht das Zentrum von allem sein können.
Aber selbst dann waren noch viele überzeugt, dass nun eben die Sonne im Zentrum des Universums sein müsste. Vor allem, weil man lange Zeit auch nicht wusste, was man mit dem ganzen Rest der Sterne anfangen soll. Man wusste nicht, wie weit sie entfernt sind; das konnte der deutsche Astronom Friedrich Wilhelm Bessel erst 1838 messen. Ab da wusste man: Das Universum ist sehr, sehr viel größer als die “Erde mit Beiwerk”, die sich die alten Griechen vorgestellt hatten. Und warum sollte die Sonne da genau im Mittelpunkt all dieser Sterne stehen?
Auch dafür gab es – aus damaliger Sicht – nicht unplausible Gründe. Wenn man zum Himmel schaut, dann sieht man überall Sterne. Es gibt keine Richtung, in der der Himmel grundlegend anders aussieht. Wenn zum Beispiel die eine Hälfte des Himmels voll mit Sternen wäre, die andere aber komplett leer, dann wäre das ein Zeichen dafür, dass wir uns irgendwo am Rand einer Ansammlung von Sternen befinden. Wir sehen die Sterne aber überall und egal wohin wir schauen: Im Prinzip sieht alles ähnlich aus. Das haben viele als Hinweis gedeutet, dass wir uns eben doch im Zentrum befinden. Aber, wird jetzt der eine oder die andere einwenden, was ist denn mit den anderen Galaxien? Richtig – aber wir wissen ja erst seit den 1920er Jahren, dass es so etwas wie “andere Galaxien” überhaupt gibt! Bis dahin war unklar, ob die nebelartigen Gebilde am Himmel aus unvorstellbar weit entfernten Sternen bestehen oder tatsächlich einfach nur kosmische Wolken in unserer Nähe sind. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat man heftig diskutiert, wo sich die Sonne in der Milchstraße befindet und ob die Milchstraße alles ist, was im Universum existiert oder nicht. Es gab Argumente für die Behauptung, dass wir im Zentrum der Milchstraße sitzen und darüber hinaus nichts existiert; wir also im Zentrum des Universums sind. Aber auch Argumente dagegen.
Die Sache hat erst die Beobachtung von Edwin Hubble und seinen Kollegen geklärt. Sie haben gezeigt, dass es jede Menge Galaxien da draußen gibt; das wir weder im Zentrum der Milchstraße sind, noch die Milchstraße alles ist, was existiert. Aber die Sache mit dem Zentrum war immer noch unklar. Hubble hat nämlich auch gezeigt, dass sich alle anderen fernen Galaxien von uns weg bewegen. Umso schneller, je weiter sie entfernt sind. Es sieht ganz so aus, als würden wir im Mittelpunkt einer großen Expansionsbewegung stehen. Egal wohin wir schauen, alles entfernt sich von uns. Daraus folgt, dass die anderen Galaxien früher viel näher bei uns waren. Und wenn wir weit genug in die Vergangenheit schauen, dann waren sie alle genau da, wo wir jetzt sind. Ist vielleicht die Milchstraße das Zentrum des Universums, von dem aus sich alles in alle Richtungen davon bewegt?
Lassen wir die Historie jetzt mal sein und schauen wir auf das, was wir heute wissen. Die Expansion des Universums ist real; es bewegt sich tatsächlich alles von uns fort. Oder besser gesagt: Alles bewegt sich von allem anderen fort. Würden wir unsere Beobachtungen von irgendeinem anderen Punkt im Universum aus anstellen, würden wir dort genau so beobachten, dass sich alle Galaxien von uns fortbewegen. Das klingt verwirrend, ist es aber eigentlich gar nicht. Nehmen wir ein anderes Beispiel: Ich sitze auf einem Fahrrad und fahre mit 15 km/h einen schnurgeraden Radweg entlang. Vor mir auf dem Weg sind zwei schnellere Räder unterwegs; eines mit 20 km/h, eines sogar mit 25 km/h. Und hinter radelt jemand mit nur 10 km/h vor sich hin. Aus meiner Sicht stellt sich die Sache nun so dar: Ich sehe, wie sich das Rad hinter mir mit 5 km/h entfernt: Ich bin ja genau um diese 5 km/h schneller und radle dem Rad hinter mir davon. Das Rad vor mir entfernt sich aber auch mit 5 km/h von mir, weil es um diese 5 km/h schneller ist als ich. Und das Rad ganz an der Spitze entfernt sich sogar mit 10 km/h von mir. Aus meiner Sicht bewegen sich also alle anderen Räder von mir weg, umso schneller je weiter sie entfernt sind. Genau das gleiche würde aber auch die Person beobachten, die vor mir radelt. Sie ist um 5 km/h schneller als ich und sieht, wie ich mit mit diesen 5 km/h von ihr entferne. Das Rad hinter mir entfernt sich aus Sicht dieser Person sogar mit 10 km/h und das Rad an der Spitze saust mit 5 km/h davon. Auch hier sieht man also: Alle anderen Räder entfernen sich. In Wahrheit radeln wir aber alle hintereinander in die gleiche Richtung; nur eben unterschiedlich schnell. Niemand ist der Mittelpunkt von irgendwas.
Die Analagie mit den Rädern kann man nicht 1:1 auf das Universum umlegen. Aber sie zeigt, dass das mit dem Mittelpunkt schwierig ist. Wir müssen berücksichtigen, dass wir selbst uns auch bewegen. Aber wir müssen auch noch sehr viel mehr Dinge berücksichtigen. Halten wir zuerst einmal fest: Vor 13,8 Milliarden Jahren gab es den Urknall. Seitdem dehnt sich das Universum aus. Wegen dieser Expansion sehen wir, wie sich alles andere von uns entfernt, was aber nicht daran liegt, das wir der Mittelpunkt von irgendwas sind. Sondern nur daran, dass wir diese Bewegung mit allen anderen Galaxien mitmachen. Aber muss es dann nicht trotzdem einen Mittelpunkt geben? Den Ort, an dem der Urknall stattgefunden hat? Der Ort, wo diese ganze Bewegung angefangen hat?
Das klingt logisch, ist es aber nicht. Der Denkfehler liegt darin, sich den Urknall tatsächlich als Explosion vorzustellen. Bei einer Explosion ist es ja wirklich so, dass sie irgendwo an einem konkreten Ort stattfindet. Und sich danach alles von diesem Ort entfernt. Wir könnten – egal wo wir uns in der Trümmerwolke dieser Explosion befinden – schauen, wie sich das ganze andere Zeug bewegt. Das, das noch nahe am Zentrum ist, muss sich am schnellsten bewegen; die weit entfernten Trümmer sind schon langsamer geworden und wenn wir das alles genau messen, können wir ausrechnen, wo die Explosion stattgefunden hat.
Beim Universum hat aber keine Explosion stattgefunden. Die Galaxien bewegen sich nicht deswegen alle voneinander fort, weil sie bei einer Explosion vor 13,8 Milliarden Jahren in alle Richtungen davon geschleudert worden sind. Die Expansion des Universums ist eine Expansion des Raums. Das heißt: Wir sehen die Galaxien deswegen sich entfernen, weil _der Raum zwischen ihnen und uns sich ausdehnt_. Die Galaxien werden einfach “mitgezogen”. Der Urknall war keine “Explosion”, die im Raum an einem bestimmten Ort stattgefunden hat. Der Urknall war das Ereignis, bei dem der Raum erst entstanden ist. Beziehungsweise, um die ganzen philosophischen Probleme mal wegzulassen, die man immer kriegt wenn man vom ultimativen Anfang spricht, lassen wir die Zeit einfach mal nur bis FAST zum Urknall zurücklaufen. Der Raum wird immer kleiner und kleiner. Das Universum schrumpft. Es schrumpft nicht IM Raum; der Raum selbst wird immer kleiner und kompakter. Bis wir irgendwann an einem Zeitpunkt angelangt sind, an dem das ganze Universum so groß wie ein Fußball ist. Es ist kein Fußball, der irgendwo im Raum liegt. Der Fußball ist alles, was ist. Alle Orte, die heute über das ganze gewaltige Universum verstreut sind, befinden sich jetzt IN diesem Fußball. Würden wir noch weiter zurück gehen, würde alles noch weiter schrumpfen. Der Urknall war das Ereignis, bei dem diese enorm dichte Struktur aus Raumzeit angefangen hat, sich auszudehnen. Es war keine Explosion im Raum; es war ein Ereignis, bei dem alle Punkte im Raum angefangen haben, sich voneinander zu entfernen. Oder etwas anders gesagt: Beim Urknall waren alle Orte ein einziger Ort. Oder noch etwas anders ausgedrückt: Der Urknall hat an jedem Ort stattgefunden! Seit damals ist das Universum gewachsen und wir können durchaus sagen, dass heute jeder Punkt im Universum der Punkt ist, an dem der Urknall passiert ist. Weil jeder Punkt früher mit jedem anderen Punkt ein Punkt war: Der Punkt, an dem alles angefangen hat.
Das kann man sich nicht vorstellen; ich weiß. Das ist auch noch nicht einmal das komplette Bild. Wenn ich von Fußbällen und ähnlichem rede, dann stellt man sich zwangsläufig dreidimensionale Objekte im dreidimensionalen Raum vor. Wir haben es aber mit einer vierdimensionalen Raumzeit zu tun. Und mit der Unendlichkeit, die alles noch ein wenig komplizierter macht.
Aber belassen wir es einmal dabei: Wenn es kein Zentrum des Universums gibt; wenn jeder Punkt des Universums das Zentrum ist: Wie ist das dann mit der kosmischen Hintergrundstrahlung? Darüber habe ich ja in Folge 316 schon ausführlich gesprochen. Wenn wir mit Radioteleskopen zum Himmel schauen, dann sehen wir – egal in welche Richtung wir blicken – immer die gleiche Strahlung mit der gleichen Temperatur auf uns zukommen. Das ist die kosmische Hintergrundstrahlung und sie entstand 400.000 Jahre nach dem Urknall, als das Universum sich weit genug ausgedehnt und abgekühlt hatte, damit die in ihm vorhandene Energie in Form von Licht nicht mehr von den ganzen Teilchen aufgehalten wurde, sondern sich frei ausbreiten konnte. Wenn dieser Hintergrund aber überall im Universum gleich ist, kann man da nicht doch irgendwie einen Mittelpunkt daraus basteln? Müssen wir nicht doch in einem Mittelpunkt sein, wenn sie in jede Richtung gleich aussieht?
Wenn man so will, dann ja. Wir sind im Mittelpunkt des “Beobachtbaren Universums”. Das ist jener Teil des Universums, den wir von der Erde aus prinzipiell beobachten können. Licht braucht Zeit um sich zu bewegen. Wir können nur das sehen, bei dem das Licht es geschafft hat, in den letzten 13,8 Milliarden Jahren bis zu uns zu gelangen. Die kosmische Hintergrundstrahlung ist ÜBERALL im Universum entstanden, gleichzeitig. Damals hat sie sich von jedem Punkt des Universums aus auf den Weg gemacht. Wenn wir heute zum Himmel schauen, dann sehen wir genau den Teil dieser Strahlung, der JETZT von allen anderen Punkten bei uns ankommt. Wären wir irgendwo anders im Universum, dann würden wir den gleichen Hintergrund sehen – die Strahlung wäre aber Strahlung, die von anderen Punkten kommt, nämlich von denen, die für diesen Ort gerade passend liegen. Es ist wie beim Mittelpunkt: Es gibt keinen einzigen Ort, an dem die kosmische Hintergrundstrahlung entstanden ist und den wir beobachten können. Sie ist überall entstanden; auch da wo wir jetzt sind. Da ist sie halt schon längst weg und anderswo.
Es gibt keinen Mittelpunkt des Universums. Oder jeder Punkt ist der Mittelpunkt des Universums. Das kann man sehen, wie man es am liebsten hat.
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