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Sternengeschichten Folge 465: Plasma (ist überall)
Plasma ist überall. Wenn wir so etwas wie die dunkle Materie mal beiseite lassen und nur von dem Zeug sprechen, das wir “normale” Materie nennen, dann besteht das Universum zu 99 Prozent aus Plasma. Was ein wenig seltsam ist, weil hier bei uns auf der Erde vergleichsweise wenig davon zu finden ist. Aber vielleicht sollte man sowieso einmal damit anfangen zu erklären, was Plasma überhaupt ist.
Plasma wird oft als der “vierte Aggregatszustand” bezeichnet. In der Schule lernen wir ja, dass Materie in drei verschiedenen Aggregatszuständen existieren kann: Fest, flüssig und als Gas. Der Unterschied zwischen den drei liegt in der Energie. Eis zum Beispiel ist festes Wasser. Führen wir dem Eis Energie zu, wärmen wir es also auf, dann wird es flüssig. Und wenn wir noch mehr Energie in das jetzt flüssige Wasser stecken, dann fängt es an zu kochen und wird zu Wasserdampf, einem Gas. So weit, so klar, aber um das Plasma zu verstehen, müssen wir noch ein bisschen genauer hinschauen, was beim Übergang von einem Aggregatszustand zum nächsten eigentlich passiert.
Materie besteht aus Atomen und die haben sich im Allgemeinen zu Molekülen verbunden. Bei Wasser sind das die Atome Wasserstoff und Sauerstoff, die sich zum Moleküle H2O, also Wasser zusammengefunden haben. Wenn Wasser einen Eisklotz bildet, dann hängen auch diese Moleküle vergleichsweise fest zusammen. Sie tun das durch die elektromagnetischen Kräfte, die zwischen ihnen wirken und sie bleiben zusammen, weil sie sich nicht zu sehr hin und her bewegen. Steckt man nun aber Energie in das Eis, dann wird die Bewegung der Moleküle immer heftiger. So weit, bis die Bindung zwischen ihnen auseinander reißt. Die Bewegung ist zu stark, als dass die elektromagnetische Kraft sie noch vernünftig zusammenhalten kann. Das feste Eis wird zu flüssigem Wasser. Auch hier sind die Wassermoleküle noch ein bisschen aneinander gebunden, aber bei weitem nicht mehr so stark wie zuvor. Flüssiges Wasser hat keine fixe Form mehr; es fließt überall hin – aber zumindest das Volumen bleibt noch gleich. Wasser kann sich zwar als große Pfütze am Boden ausbreiten oder den Raum innerhalb einer Flasche ausfüllen. Aber wenn in der Pfütze ein Liter Wasser enthalten ist, dann kriege ich diesen Liter auch wieder genau in eine Ein-Liter-Flasche rein. Das ändert sich, wenn man das Wasser erhitzt und verdampfen lässt. Jetzt ist auch die letzte Bindung zwischen den Molekülen dahin, sie breiten sich überall im Raum aus und der Wasserdampf füllt ein sehr viel größeres Volumen als zuvor das flüssige Wasser.
Plasma kriegt man nun, wenn man einem Gas noch mehr Energie zuführt. Aber was verändert sich dann? Gut, beim Wasser kann man durch ausreichend viel Energie dafür sorgen, dass sich die Wasserstoff- von den Sauerstoffatomen trennen. Aber das ist dann immer noch kein Plasma, das ist dann vorerst einfach nur eine Mischung aus Wasserstoff- und Sauerstoffgas. Damit aus einem Gas ein Plasma wird, muss man nicht nur die Bindung zwischen den Atomen beziehungsweise Molekülen schwächen oder brechen, sondern die Atome selbst verändern. So ein Atom besteht ja aus einem elektrisch positiv geladenen Kern um den herum sich eine Hülle aus negativ geladenen Elektronen befindet. Steckt man nun ausreichend viel Energie in die Elektronen, dann halten sie nicht mehr am Kern fest. Sie lösen sich ab und beginnen kernlos durch die Gegend zu flitzen.
Davon habe ich ja in den vergangenen Folgen der Sternengeschichten immer wieder mal erzählt. Atome, die alle oder einige Elektronen aus ihrer Hülle verloren haben, nennt man “ionisiert” und im Kosmos kommt das vergleichsweise häufig vor. Da gibt es ja auch jede Menge Energie – zum Beispiel die Strahlung der Sterne. Wenn man etwa zu viel Zeit in der Sonne verbracht und einen Sonnenbrand bekommen hat, dann liegt das daran, dass die energiereiche UV-Strahlung im Sonnenlicht Atome in unserem Körper ionisiert hat, wodurch Moleküle auseinanderbrechen, was dann zu entsprechenden Schäden in der Haut führen kann. Das bedeutet aber nicht, dass wir zu Plasma werden. Ein ionisiertes Atom allein macht noch kein Plasma, dafür braucht es mehr davon.
Wir haben jetzt also einen ganzen Haufen Atome, die keine vollständigen Atome mehr sind. Die Atomkerne, die wir ab jetzt “Ionen” nennen und die Elektronen sausen getrennt wild durcheinander. Dabei üben sie immer noch Kräfte aufeinander aus, wie denn auch nicht, denn die Ionen sind elektrisch positiv geladen und die Elektronen elektrisch negativ. Jedes Ion ist von einer Wolke aus Elektronen umgeben, aber das ist jetzt etwas ganz anderes als zuvor beim vollständigen Atom. Da waren die Elektronen ja fix dem Atomkern zugeordnet; sie waren fix zusammen und es waren immer die gleichen Elektronen beim Atomkern. Im Plasma gibt es einen ständigen Austausch; die Wolke aus Elektronen um das Ion ist zwar immer da, aber es sind immer andere Elektronen, die sie bilden. Schaut man von außen auf das Plasma, sieht man also quasi keine elektrische Ladung. Die positive Ladung der Ionen wird durch die Elektronenwolke abgeschirmt. Man kann sich eine Kugel vorstellen, die jedes Ion umgibt und die so groß ist, dass sich immer ausreichend viele Elektronen darin befinden, um die positive Ladung des Ions auszugleichen. Der Radius dieser Kugel wird dann als “Debye-Länge” bezeichnet. Und wenn diese Länge klein ist im Vergleich zu dem Raum, den die gesamte Mischung aus allen Ionen und Elektronen einnimmt, dann spricht von einem echten oder idealen Plasma.
Der Unterschied zwischen Gas und Plasma hängt auch davon ab, wie viele Teilchen sich ingesamt in dieser hypothetischen Kugel um ein Ion befinden. Je mehr das sind, desto besser und stärker werden die elektrischen Ladungen von Elektronen und Ionen nach außen hin abgeschirmt. Und nur wenn die Zahl der Teilchen in so einer Kugel mit dem Debye-Radius sehr groß ist, spricht man von einem Plasma und nicht von einem Gas.
Wir wissen jetzt also was ein Plasma ist: Ein Gas, in das man so viel Energie gesteckt hat, dass sich dort die Elektronen von den Atomkernen trennen. Den Namen hat sich übrigens der amerikanische Chemiker und Physiker Irving Langmuir ausgedacht. Im Jahr 1928 hat er eine Arbeit mit dem Titel “Oszillationen in ionisierten Gasen” veröffentlicht. Darin hat er genau das erforscht, was ich gerade erklärt habe; er hat geschaut, was passiert, wenn man immer mehr Elektronen von den Atomkernen eines Gases löst. Dabei hat er festgestellt, dass es Bereiche gibt, in denen freie Ionen und Elektronen in ausreichend großer Menge enthalten sind, um ihre Ladungen gegenseitig abzuschirmen: _”Wir werden den Namen ‘Plasma’ benutzen um diese Regionen der ausgeglichenen Ladungen von Elektronen und Ionen zu beschreiben”_. Was er dann auch getan hat und mit ihm im Laufe der Zeit der Rest der Physik.
Und der Astronomie. Denn wie gesagt: Der Großteil der Materie im Universum ist Plasma. Sterne sind gewaltige Kugeln aus Plasma. Das Gas zwischen den Sternen ist ebenfalls zu einem guten Teil ausreichend ionisiert um sich in einem Plasmazustand befinden. Himmelskörper wie unsere Erde sind eine Ausnahme; hier ist es kalt genug, dass Materie auch fest, flüssig oder gasförmig existieren kann. Plasma finden wir hier bei uns selten. Blitze zum Beispiel leuchten deswegen, weil sich durch die enormen elektrischen Entladungen in einem Gewitter für kurze Zeit ein Plasma aus den Molekülen der Luft bildet. Auch die Flamme einer Kerze (oder jedes anderen Feuers) ist zum Teil ein Plasma.
Aber ansonsten sind die Plasmen die wir hier auf der Erde beobachten können so gut wie immer von uns künstlich hergestellt. Leuchtstofflampen oder auch Energiesparlampen beziehunsgweise allgemein alle sogenannten “Gasentladungslampen” leuchten, weil sie ein Gas enthalten, dass durch elektrischen Strom von außen in einem Plasmazustand versetzt wird und dadurch anfangen zu leuchten. Aber warum leuchtet das Plasma überhaupt? Wenn wir ein wirklich vollständiges Plasma haben, also sämtliche Elektronen von allen Atomkernen eines Gases ablösen, dann leuchtet nichts. Aber das ist meistens nicht der Fall; die Atome sind normalerweise nicht alle vollständig ionisiert. Das heißt, ein paar Elektronen bleiben noch beim Atomkern beziehungsweise die Atomkerne fangen immer wieder mal Elektronen ein, halten sie fest und lassen sie dann wieder frei. Bei diesen Vorgängen geben die Elektronen Energie ab und sie tun das in Form von Licht. Und deswegen leuchtet ein Plasma.
Deswegen kann man mit Plasma sogar Bildschirme bauen; da werden Materialien ganz gezielt mit Strahlung angeregt und ionisiert, so dass das Plasma Licht bei einer ganz bestimmten Farbe abgibt. Rot, Grün oder Blau, und wenn man ausreichend viele sehr kleine solcher bunten Plasmalichter nebeneinander setzt, kann man damit alle Farben die man möchte zusammenmischen. Heute werden solche “Plasmabildschirme” nicht mehr in großen Mengen eingesetzt, früher waren sie aber sehr populär.
Plasma findet überall in der Industrie und Technik Anwendungen; wir wüssten aber noch viel mehr. Wir würden zum Beispiel gerne ein so heißes Plasma haben, so dass dort das stattfinden kann, was auch im Plasma im Inneren der Sterne passiert. Dort saußen die Teilchen so schnell herum, dass sie bei Kollisionen miteinander fusionieren und Energie freisetzen, wie ich ja in den Folge 363, 364 und 365 der Sternengeschichten ausführlich erklärt habe. Es wäre super, wenn wir das, was in einem Stern passiert auch absichtlich hier auf der Erde machen könnten; die künstliche Kernfusion wäre eine tolle Energiequelle. Aber leider spielt das Plasma bis jetzt noch nicht mit.
In der Realität ist so ein Plasma nämlich sehr viel komplexer als das, was ich bis jetzt erzählt habe. Wenn man so einen Haufen extrem heißer Ionen und Elektronen hat, dann verhalten die sich alles andere als ordentlich. Die Ladungen schirmen sich zwar gegenseitig ab, aber nicht vollständig. Das heißt, das Plasma reagiert auf elektromagnetische Felder und das sehr sensibel. Denn es besteht ja selbst aus elektrisch geladenen Teilchen, die sich bewegen und damit ebenfalls elektromagentische Felder erzeugen. Auf die das Plasma dann auch wieder reagiert. Am Ende kriegt man ein sehr komplexes Ding das sich kaum vernünftig beschreiben lässt. Stupst man so ein Plasma – im übertragenen Sinn – an einer Stelle an, dann breiten sich die Auswirkungen überall aus und wirken auf sich selbst zurück. Vereinfacht gesagt: Ein Plasma verhält sich tendenziell chaotisch und wir haben noch keinen Weg gefunden, um sein Verhalten mathematisch einwandfrei zu beschreiben. Genau das ist aber nötig, wenn man mit den extrem heißen Plasmen hantieren will, die für die Kernfusion nötig sind. Vermutlich werden wir das irgendwann hinkriegen und Energie durch Kernfusion erzeugen können. Bis dahin wird aber noch viel Licht des chaotischen Sternenplasmas aus dem Weltall auf die Erde leuchten…
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