Das ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts. Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video. Und den ganzen Podcast findet ihr auch bei Spotify.
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Sternengeschichten Folge 482: Thorne-Żytkow-Objekte – Ein Stern im Inneren eines Sterns
Sterne gibt es jede Menge. Buchstäblich so viele wie Sterne am Himmel. Es gibt Sterne, die einander umkreisen. Es gibt sich umkreisende Sterne die andere sich umkreisende Sterne umkreisen. Es gibt sogar ab und zu, sehr sehr selten mal Sterne, die mit anderen Sternen kollidieren. Es gibt Sterne die geboren werden und Sterne die explodieren. Aber heute geht es um etwas, was es geben könnte, von dem wir aber noch nicht wissen, ob es das auch wirklich gibt: Sterne, in deren Inneren sich ein anderer Stern befindet.
Die Idee klingt höchst absurd. Sie stammt aus dem Jahr 1975 und wurde damals vom amerikanischen Physiker Kip Thorne und der polnischen Astronomin Anna Żytkow veröffentlicht. Kip Thorne ist spätestens seit dem Jahr 2017 weit über sein Fachgebiet hinaus bekannt, denn damals hat er, zusammen mit Rainer Weiss und Barry Barish den Nobelpreis für Physik bekommen und zwar für seine Arbeit zum Nachweis von Gravitationswellen. Anna Żytkow ist nicht ganz so berühmt, hat aber ihren Namen auf jeden Fall durch die Thorne-Żytkow-Objekte verewigt um die es in dieser Folge gehen soll.
Es war vielleicht ein wenig irreführend, als ich zu Beginn gesagt habe, dass es dabei um einen Stern geht, in dessen Inneren sich ein anderer Stern befindet. Genauer gesagt geht es um einen Stern, in dessen Kern sich ein Neutronenstern befindet. Und ein Neutronenstern ist kein “echter” Stern mehr sondern das, was von einem mittelgroßen Stern am Ende seines Lebens übrig bleibt. Ich hab das ja schon sehr oft erzählt: Wenn ein Stern keinen Brennstoff mehr für die Kernfusion in seinem Inneren hat, fällt er unter seinem eigenen Gewicht in sich zusammen. Ist es ein kleiner Stern, so wie unsere Sonne, dann bleibt am Ende ein Weißer Zwerg übrig, so groß wie die Erde. Ist es ein sehr großer Stern, dann kollabiert er komplett und wird zu einem schwarzen Loch. Die mittelgroßen Sterne werden zu Neutronensterne; Objekte die nur noch ein paar Kilometer groß und dennoch so massereich wie unsere Sonne sind. Über diese Dinger habe ich in den Folgen 142 und 401 der Sternengeschichten schon ausführlich gesprochen, deswegen fasse ich das nur noch kurz zusammen: Es sind insofern keine “echten” Sterne mehr, als dort keine Kernfusion passiert. Ganz vereinfacht gesagt sind es große Kugeln, mit einem Radius von typischerweise 10 bis 12 Kilometern und einer Masse die zwischen dem 1,2 und 2fachen der Sonnenmasse liegt. Sie sind absurd dicht; ein zuckerwürfelgroßes Stück eines Neutronensterns wiegt ungefähr eine Milliarden Tonnen!
Wir wissen, dass es Neutronensterne gibt und haben schon jede Menge von ihnen entdeckt. Aber die befinden sich alle ganz normal im Weltraum, da wo solche Objekte eben sind. Wieso sollten die auf einmal im Inneren eines Sterns sein und wenn sie dort sind: Wie kommen sie dahin? Genau das haben sich Kip Thorne und Anna Żytkow damals überlegt und sind auf vier hauptsächliche Prozesse gekommen.
Da könnte zum Beispiel ein Roter Riesenstern sein. Also das, was mit Sternen wie unserer Sonne am Ende ihres Lebens passiert, bevor sie zu weißen Zwergen werden. Solche Sterne werden sehr heiß, wenn der Wasserstoff als Brennmaterial für die Fusion zu Ende geht und stattdessen andere Elemente fusioniert werden. Dadurch blähen sie sich zu enormer Größe auf. Unsere Sonne ist ein Einzelstern; die meisten anderen Sterne in der Milchstraße sind aber Teil von Doppel- oder Mehrfachsternsystemen. Jetzt können wir uns zwei Sterne vorstellen, die einander umkreisen. Einen massereicheren und einen kleineren, wie unsere Sonne. Der mit der größeren Masse wird sein Leben zuerst beenden und zu einem Neutronenstern werden. Der kleinere wird später zu einem Roten Riesen. Und wenn die beiden sich vorher sehr nahe waren, kann es passieren, dass sich der rote Riese soweit ausdehnt, dass der Neutronenstern sich auf einmal durch die äußeren Schichten des roten Riesen bewegen muss. Die Reibung mit diesem Gas führt dazu, dass er quasi an Schwung verliert und immer weiter in den Kern sinkt, bis er schließlich mitten im roten Riesen sitzt. Das kann passieren, ist aber nicht sehr wahrscheinlich. Denn durch seine enorme Dichte und die entsprechend starke Gravitationskraft zieht der Neutronenstern natürlich Material des roten Riesen an. Und weil Neutronensterne auch sehr starke Magnetfelder haben, können sie einen Teil des Materials entlang dieser Magnetfelder mit hoher Geschwindigkeit wieder von sich schleudern. So ein Neutronenstern der sich durch einen roten Riesen bewegt, wirkt also quasi wie ein Sandstrahler, der den Riesenstern auflöst, noch bevor die Verschmelzung vollzogen ist.
Aber vielleicht klappt es, wenn die Verschmelzung schneller passiert. Das ist Methode Nummer Zwei: Normalerweise kollidieren Sterne ja nicht miteinander; dafür ist viel zu viel Platz zwischen ihnen. Aber es gibt Gegenden, wo die Sterne viel dichter beieinander stehen als sonst, zum Beispiel im Inneren von sehr dichten Sternhaufen. Wenn da ein Neutronenstern genau auf die richtige Weise mit einem großen, normalen Stern kollidiert, dann könnte am Ende auch ein Thorne-Żytkow-Objekt entstehen.
Sehr ähnlich ist Methode Nummer Drei, die direkt bei der Geburt des Neutronensterns abläuft. So ein Neutronenstern entsteht ja im Zuge einer Supernova-Explosion und der Neutronenstern ist der Rest der nach der Explosion übrig bleibt. Normalerweise findet diese Explosion in alle Richtungen statt, weswegen dabei nur Material vom Neutronenstern hinaus ins All geschleudert wird, der Neutronenstern selbst aber mehr oder weniger dort bleibt, wo er ist. Unter bestimmten Umständen kann so eine Supernova-Explosion aber auch asymmetrisch ablaufen. Dann fliegt der Hauptteil des Zeugs in eine Richtung was den Neutronenstern in die andere Richtung katapultiert. Und wenn dort gerade ein anderer Stern ist, zum Beispiel weil der Neutronenstern Teil eines Doppelsternsystems war, gibt es auch hier ein Thorne-Żytkow-Objekt.
Die vierte Methode ist so ähnlich wie die erste, nur dass man hier einen Neutronenstern hat, der in sehr engen Abstand von einem sehr massereichen, sehr heißem Stern umkreist wird. Und der Abstand ist hier so eng, dass Material vom großen Stern zum Neutronenstern fließt, wodurch die beiden immer enger aneinander rücken, bis sie schließlich verschmelzen.
Kip Thorne und Anna Żytkow konnten in ihrer Arbeit zeigen, dass solche Objekte, die aus einem Stern mit einem Neutronenstern im Inneren bestehen, zumindest theoretisch existieren können. Ob es sie aber auch in der Realität gibt, ist eine ganz andere Frage. Da kommt es nicht nur darauf an, OB es die gibt, sondern vor allem auch ob wir sie finden können. Wie kann man, nur durch Beobachtung von der Erde aus, herausfinden, ob im Inneren eines Sterns ein anderer steckt?
Vor allem durch die Untersuchung seiner chemischen Zusammensetzung. Das kriegen wir ja mittlerweile recht gut hin; wir können das Licht eines Sterns im Detail untersuchen und dabei heraufinden, welches Material es durchquert hat. Jedes chemische Element blockiert ganz bestimmte Wellenlängen und wenn die fehlen, wissen wir, was dem Licht passiert ist. Wir wissen auch, wie chemische Elemente durch Kernfusion im Inneren von Sternen entstehen und vor allem, welche Elemente in bestimmten Sternen entstehen können und welche nicht. Das hängt vor allem von der Dichte und Temperatur ab, die im Kern eines Sterns herrscht. Wenn da aber nun ein Neutronenstern sitzt, der da eigentlich nicht hingehört, können dort Kernreaktionen ablaufen bei denen Elemente entstehen, die man von so einem Stern gar nicht erwarten würde. Ein Neutronenstern im Inneren eines Sterns kann auch starke Helligkeitsschwankungen auslösen, nicht nur im normalen Licht sondern auch im Röntgenlicht.
Bis jetzt hat man noch kein Objekt gefunden bei dem man zweifelsfrei sagen könnte, dass es sich um Thorne-Żytkow-Objekt handelt. Aber zumindest ein paar Kandidaten hat man entdeckt. Zum Beispiel HV 2112: Das ist ein Stern in der Kleinen Magellanschen Wolke, der Begleitgalaxie der Milchstraße in 200.000 Lichtjahren Entfernung. Kennen tun wir diesen Stern seit 1908 und wissen auch, dass seine Helligkeit schwankt. Wir wissen auch, dass er sehr viel heller ist, als er eigentlich sein sollte. Seine Leuchtkraft beträgt das 100.000fache der Sonnenleuchtkraft und das ist eigentlich zu viel für einen Stern dieser Art. Zumindest dann, wenn die Messungen stimmen. Beziehungsweise richtig interpretiert werden, was bei so weit entfernten Objekten nicht einfach ist. Es gibt auch Beobachtungen, laut denen der Stern sehr viel weniger Leuchtkraft hat (das hängt unter anderem von einer exakten Entfernungsbestimmung ab) und die chemische Analyse ist auch nicht wirklich eindeutig. Ebenso wenig eindeutig sind die Befunde der Handvoll anderen Kandidaten, die man bisher ausgemacht hat.
Wenn wir tatsächlich mal ein Thorne-Żytkow-Objekt entdecken, dann vermutlich mit ganz anderen Methoden. Nämlich den Gravitationswellen, für die Thorne passenderweise den Nobelpreis bekommen hat. Wenn zwei Sterne verschmelzen entstehen Gravitationswellen einer ganz speziellen Frequenz die prinzipiell schon mit den vorhandenen Detektoren nachgewiesen werden könnten. Allerdings nur, wenn so ein Thorne-Żytkow-Objekt in unserer kosmischen Nachbarschaft entsteht und wenn man das statistisch auswertet, kann man mit höchstens einer Verschmelzung alle 500 Jahre rechnen. Wir müssten also Glück haben, gerade jetzt die Geburt eines Thorne-Żytkow-Objekts zu entdecken. Aber vielleicht klappt es mit dem Ende! Denn auch wenn sie existieren können, bleiben sie nicht ewig stabil. Irgendwann hat der Neutronenstern im Inneren des anderen Sterns dessen ganzes Gas angezogen beziehungsweise seine Masse durch das Anziehen des Gases so weit erhöht, dass aus dem Neutronenstern ein schwarzes Loch wird. Dann gibt es eine Explosion die ähnlich wie eine Supernova-Explosion ist und der Zweifachstern ist verschwunden. Weil der Neutronenstern davor aber so viel Material des anderen Sterns aufnehmen muss, das ihn zuvor mit hoher Geschwindigkeit umkreist und dabei Strahlung abgibt, leuchtet er gegen Ende ziemlich hell. Wenn wir also etwas sehen, dass wie eine Supernova aussieht, aber sehr viel länger dauert – ein paar Jahre – und danach komplett verschwindet: Dann könnte das ein Thorne-Żytkow-Objekt gewesen sein. Und wenn wir dann noch die passenden Gravitationswellen nachweisen, könnten wir uns einigermaßen sicher sein.
Ein Thorne-Żytkow-Objekt lebt 100.000 bis eine Million Jahre lang, höchstens. Wenn es sie gibt und wenn sie durch die vorhin beschriebenen Prozesse entstehen, dann kann man abschätzen, dass es aktuell 20 bis 200 davon in unserer Milchstraße gibt. Nicht viel, angesichts der gut 200 Milliarden anderen Sterne. Aber wer weiß: Wenn wir hartnäckig suchen, finden wir ja vielleicht doch einmal einen Stern, in dessen Inneren sich ein anderer Stern versteckt hat…
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