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Sternengeschichten Folge 489: Der Saturnmond Mimas
Ein 300 Kilometer hoher Berg. Inmitten eines Lochs, das einen Durchmesser von 4000 Kilometern und eine Tiefe von 200 Kilometer hat. So etwas kann man sich kaum vorstellen. Das wäre ein Krater von der Größe Nordamerikas, der bis weit in den Erdmantel hinein reicht und einem Berg in der Mitte, dessen Gipfel außerhalb der Atmosphäre im Weltraum liegt. So etwas kann es – schon aus rein physikalischen Gründen – auf der Erde nicht geben. So eine Struktur würde unter ihrem Gewicht sofort kollabieren und jedes Ereignis das in der Lage wäre, so einen Krater zu schaffen würde dabei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Erde komplett zerstören.
Einen 300 Kilometer hohen Berg finden wir auch anderswo im Sonnensystem nicht, auch keinen 200 Kilometer tiefen Krater. Auch nicht auf dem kleinen Saturnmond Mimas, der ja überhaupt nur einen Durchmesser von knapp 400 Kilometer hat. Aber zumindest in Relation gibt es dort eine Struktur die so gigantisch ist wie der unvorstellbare und unmögliche Krater auf der Erde.
Aber gehen wir zuerst mal zurück zum 17. September 1789. Gut acht Jahre nachdem der englische Astronom William Herschel mit seinem selbstgebauten Teleskop als erster Mensch überhaupt mit Uranus einen noch unbekannten Planeten entdeckt hat, fügte er an diesem Tag dem Inventar des Sonnensystems ein weiteres Objekt hinzu. Er fand einen Mond des Saturn. Sechs Stück kannte man davor schon; der größte Saturnmond – Titan – wurde schon 1655 gefunden, von Christiaan Huygens. Es folgten Iapetus und Rhea, die 1671 und 1672 von Giovanni Domenico Cassini entdeckt wurden. Der fand 1684 auch Tethys und Dione. Für Mond Nummer Sechs war dann schon William Herschel verantwortlich: Er entdeckte Enceladus im August 1789, nur ein paar Wochen bevor er dann am 17. September 1789 den siebten Mond beobachten konnte: Mimas – nur das er damals noch nicht so hieß. Damals bekam er einfach die römische Nummer “I”, weil er von allen bekannten Saturnmonden dem Saturn am nächsten war und man die Monde von innen nach außen durchnummeriert hat. Den Namen “Mimas” erhielt der Mond erst 1847, als John Herschel, der Sohn von William und auch ein berühmter Astronom, vorschlug, sie nach den Riesen der griechischen Mythologie zu benennen.
Der Mond Mimas jedenfalls umkreist den Saturn auf einer fast kreisförmigen Bahn, nur circa 125.000 Kilometer von dessen äußerer Atmosphäre entfernt. Das ist ziemlich nahe (der Erdmond ist immerhin 400.000 Kilometer von der Erde weg), aber mittlerweile haben wir mindestens neun Monde gefunden, die noch näher am Saturn kreisen – aber alle viel kleiner sind als Mimas. Der hat einen Durchmesser von 397 Kilometer und kommt einer Kugel sehr nahe, was durchaus außergewöhnlich ist. Große Himmelskörper fallen unter ihrem eigenen Gewicht zwangsläufig zu einer annähernd runden Form zusammen; bei Himmelskörpern die kleiner als 1000 Kilometer sind, ist das aber nicht selbstverständlich. Mimas ist keine perfekte Kugel; in der einen Richtung ist sein Durchmesser circa 390 Kilometer; in der anderen Richtung sind es 415 Kilometer und das ist genau die Richtung, die auch zum Saturn zeigt. Die Anziehungskraft des riesigen Planeten zieht ihn also ein bisschen in die Länge.
Mimas sieht von außen betrachtet aus wie eine große, graue Kugel aus Stein. Seine mittlere Dichte beträgt aber nur wenig mehr als 1 Gramm pro Kubikzentimeter und das bedeutet, dass er zu einem überwiegenden Teil aus Wassereis bestehen muss, mit einer geringen Menge an Gestein dazwischen gemischt. Vielleicht ist unter all dem Wassereis irgendwo ein kleiner Kern aus Fels. Dieser Kern ist dann aber vermutlich keine Kugel sondern hat eher die Form eines Footballs. Das wissen wir, weil ab dem Jahr 2004 die Raumsonde Cassini Mimas aus der Nähe untersucht. Natürlich hat die Sonde nicht ins Innere des Monds schauen können. Aber das musste sie auch gar nicht. Man kann mit einer Raumsonde ganz in der Nähe eines Himmelskörpers vorbei fliegen beziehungsweise um ihn herum. Wie sich die Sonde dann bewegt, hängt natürlich von der Anziehungskraft und damit von der Masse des Objekts ab. Aber eben auch davon, wie diese Masse verteilt ist! Wenn da zum Beispiel irgendwo im Eis von Mimas eine fette gigantische Eisenkugel stecken würde, würde die Raumsonde jedesmal eine stärkere Anziehungskraft spüren, wenn sie genau über diese Stelle des Mondes fliegt, wo die Kugel drunter ist. Gut, wenn die Kugel jetzt genau im Zentrum wäre, würde man nix merken, weil Cassini dann ja quasi immer genau über der Kugel wäre. Und in Mimas steckt ja auch keine Eisenkugel sondern eine Gesteinskugel, vermutlich. Aber wenn die eben ein bisschen unförmig ist, dann merkt die Raumsonde das beim vorbeifliegen. Und genau das hat man gemerkt. Warum der Kern Mimas unförmig sein sollte, weiß man aber nicht. Es könnte auch sein, dass der Kern ganz normal ist, dafür aber unter dem Eis von Mimas ein unterirdischer Ozean aus flüssigem Wasser ist. Das würde einen ähnlichen Effekt auf die Bewegung von Cassini haben wie ein unförmiger Kern.
Aber eigentlich hat ein kleiner Mond wie Mimas zu wenig Wärme in seinem Inneren gespeichert, um Eis schmelzen zu können. Andere Monde lösen dieses Problem mit einer elliptischen Umlaufbahn; das sorgt für sehr starke Gezeitenkräfte die den Mond quasi durchkneten und warmhalten. Aber Mimas Bahn um Saturn ist annähernd kreisförmig, das funktioniert also auch nicht. Aber vielleicht hatte der Mond früher eine andere Bahn? Früher müssen sowieso ein paar sehr dramatische Dinge mit Mimas passiert sein.
Ich habe vorhin gesagt, dass der Mond aussieht wie eine große Kugel aus Stein. Das stimmt auch. Er ist vergleichsweise hell und reflektiert ungefähr 60 Prozent des einfallenden Sonnenlichts. Auf der gelblich-grauen Kugel von Mimas findet man – wenig überraschend – sehr viele Einschlagskrater. Auf den ersten Blick könnte man Mimas mit dem Mond der Erde verwechseln. Aber wirklich nur auf den ersten Blick. Denn einen ganz bestimmten Krater kann man nicht übersehen. Er trägt – nach dem Entdecker des Mondes – den Namen Herschel. Er hat einen Durchmesser von knapp 140 Kilometer, was vielleicht wenig beeindruckend klingt. Solange, bis man sich daran erinnert, dass der ganze Mond nur einen Durchmesser von 400 Kilometer hat! Der Krater macht also fast ein Drittel des Monddurchmessers aus! Die Wände des Kraters sind 5 Kilometer hoch, teilweise liegt der Boden des Kraters sogar bis zu 10 Kilometer unter dem Rand. In der Mitte des Kraters erhebt sich ein Zentralberg von 6 bis 8 Kilometer Höhe; vielleicht sogar über 10 Kilometer (so genau lässt sich das aus der Entfernung nicht messen). Gäbe es einen Krater mit genau dieser Größe auf der Erde, wäre das ein beeindruckendes Ding; der Zentralberg würde zu den höchsten Bergen des Planeten gehören. Und wenn man den Krater entsprechend des Größenverhältnis von Mimas und Erde skaliert, dann landet man bei dem 4000 Kilometer großen Krater, den wir uns zu Beginn vorgestellt haben.
Der Herschel-Krater auf Mimas ist ein gewaltiges Ding! Wenn man ihn betrachtet, dann kann man kaum anders als sich zu fragen, wie er entstanden ist und warum um Himmels Willen dabei nicht der ganze Mond zerstört worden ist. Was auch immer so ein enormes Loch in einen Himmelskörper schlagen kann, muss ihn dabei doch eigentlich komplett kaputt machen! Nun, diese Frage stellt sich natürlich auch die Astronomie. Aber eine verbindliche Antwort haben wir leider auch nicht. Wir gehen davon aus, dass der Krater schon alt ist; mehr als 4 Milliarden Jahre. Er muss daher in der Frühzeit des Sonnensystems entstanden sein, als sich die Planeten gerade erst gebildet hatten. Damals schwirrten vermutlich noch sehr viel mehr größere Objekte durch die Gegend als heute und eines davon muss den Mond getroffen haben; genau so, dass es für den gigantischen Krater gereicht, der Mond den Einschlag aber überlebt hat.
Es gäbe noch viel mehr über Mimas herauszufinden. Vier Raumsoden haben den Mond bisher besucht. 1979 flog Pioneer 11 in mehr als 100.000 Kilometer Abstand an ihm vorbei; Voyager 1 folgte im August 1980 mit einer Distanz zum Mond von knapp 90.000 Kilometer. Voyager 2 flog 1981 in über 300.000 Kilometer vorbei und mit den paar Bildern aus großer Entfernung musste man auskommen, bis 2004 dann die Raumsonde Cassini beim Saturn eintraf. Sie war bis 2017 dort unterwegs und hat den Planeten und jede Menge seiner Monde im Detail beobachtet. Immer wieder ist sie auch nahe an Mimas vorbeigeflogen, am nächsten war sie dem Mond am 13. Februar 2010 mit einem Abstand von nur 9500 Kilometer. Deswegen wissen wir zum Beispiel auch, dass irgendwas mit den Temperaturen dort komisch ist. Ok, ganz allgemein ist es dort sehr kalt. Die Temperatur liegt bei ca -190 Grad Celsius. Im Durchsnitt: Auf der Seite des Mondes, die dem Saturn abgewandt ist, ist es wärmer, auf der dem Planeten zugewandten Seite ist es kälter. Der Unterschied beträgt bis zu 20 Grad und wir wissen nicht so genau, warum das so ist. Vielleicht, weil auf der abgewandten Seite die Oberfläche aus einer Art Pulverschnee besteht, der Wärme besser speichern kann? Oder das Material auf der zugewandten Seite kann Wärme besser leiten und ist deswegen kälter? Vielleicht hat auch der Einschlag was mit der Sache zu tun, der den Herschel-Krater erzeugt hat. Der wird den Mond ja ziemlich durcheinander gebracht haben und wer weiß, wie sich das Material da verformt und umsortiert hat.
Mimas ist nur einer von fast 100 Monden des Saturn und von mehreren hundert Monden im ganzen Sonnensystem. Aber wie jeder andere Himmelskörper ist auch er eine ganz eigene Welt über die wir bis jetzt nur einen Bruchteil von dem wissen, was es dort zu entdecken gibt.
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