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Sternengeschichten Folge 493: Siriometer und Andromede
Heute geht es in den Sternengeschichten um Siriometer und Andromede. Und auch noch um Macron, Astron und ein paar andere komische Wörter. Die heben wir uns aber für später auf und fangen mit dem Siriometer an. Was soll das sein? Klingen tut es wie ein Gerät, mit dem man irgendwas misst. Aber was? Den Sirius? Siriuse? Sirius ist ein Stern, ein ziemlich interessanter, ok – aber wieso kriegt er ein eigenes Messgerät und die anderen Sterne nicht?
Um das zu klären müssen wir ein Thema betrachten, von dem ich in den Sternengeschichten schon öfter erzählt habe. Es geht um die Entfernung zu den Sternen. Lange Zeit war die völlig unbekannt. Ich hab schon einige Male erklärt, wie kompliziert es ist, das Universum von der Erde aus in all seiner dreidimensionalen Pracht zu sehen. Weil sehen tun wir den Himmel eigentlich nur zweidimensional. Es sieht so aus, als wäre da eine Kuppel über der Erde aufgespannt an der jede Menge kleine Lampen hängen. Deswegen ist es auch nicht verwunderlich dass die Menschen genau das lange Zeit auch gedacht haben. Dass da eine Kuppel über der Erde ist beziehungsweise dass die Erde im Zentrum einer enormen Kugelschale sitzt, an der die Sterne befestigt sind. Vor ein paar hundert Jahren ist uns klar geworden, dass das nicht stimmen kann. Aber wir haben immer noch nicht gewusst, wie weit die Sterne weg sind. Weil wir sehen ja nur unterschiedlich helle Lichter. Es hat lange gedauert, bis wir das mit der Entfernungsbestimmung geschafft haben. Davon habe ich in Folge 19 erzählt; 1838 war es, als es Friedrich Wilhelm Bessel gelungen ist, die Parallaxe eines Sterns zu bestimmen.
Und zur Sicherheit wiederhole ich das mit der Parallaxe nochmal. Die Erde bewegt sich um die Sonne, so viel war auch 1838 schon einigermaßen klar. Das bedeutet aber, dass sie zu unterschiedlichen Zeiten im Jahr an unterschiedlichen Orten im Sonnensystem steht. Und wir daher aus unterschiedlichen Blickwinkeln auf die fernen Sterne schauen. Und wenn das so ist, dann müssten wir eigentlich sehen können, wie sich die etwas näher gelegenen Sterne vor dem Hintergrund der ferneren Sterne scheinbar bewegen. Das muss so sein; das kann man auch leicht selbst bei etwas alltäglicheren Situationen ausprobieren. Wenn man mit dem Fahrrad eine Straße entlang radelt, dann sieht man wie die nahen Bäume sich scheinbar in Bezug auf die fernen Berge im Hintergrund bewegen. Oder die nahen Häuser in Bezug auf die fernen Häuser, falls man gerade durch eine Stadt radelt. Weil man eben aus unterschiedlichen Blickwinkeln schaut und die nahen Objekte mal vor dem einem Hintergrund sieht und mal vor einem anderen, je nachdem wo man sich selbst gerade befindet.
So ist es auch bei den Sternen, nur sind die halt sehr, sehr, sehr weit entfernt. Die scheinbare Positionsänderung ist winzig und deswegen hat es so lange gedauert, bis man das endlich mal auch messen konnte. Bessel hat das als erster getan und heute tun wir das bei Milliarden von Sternen. Und jetzt, wo wir die Entfernungen kennen, müssen wir die auch irgendwie angeben. Auf der Erde geben wir Entfernungen in Kilometern an. Oder Metern, manchmal auch Zentimeter oder Millimeter. Aber im Weltall wird es schwierig. Ok, wenn es um Abstände in unserer Nachbarschaft geht, dann ist das noch halbwegs praktikabel. Der Mond ist gut 400.000 Kilometer weit weg. Die Sonne schon 150 Millionen Kilometer. Das kann man sich zwar nicht mehr anschaulich vorstellen – aber immerhin sind die Zahlen noch halbwegs fassbar. Aber Sirius zum Beispiel ist 86 Billionen Kilometer weit weg. Das ist eine große Zahl und mit der kann man wirklich nichts mehr anfangen. Und Sirius ist noch ein vergleichsweise naher Stern. Wenn wir vernünftig arbeiten wollen und auch halbwegs verstehen möchten, wie weit die Sterne weg sind, braucht es andere Einheiten.
Womit wir jetzt beim Siriometer sind. Das ist nämlich kein Gerät, sondern eine Entfernungseinheit. Ausgedacht hat sie sich der berühmte Astronom Friedrich Wilhelm Herschel, der im 18. Jahrhundert auch den Planeten Uranus entdeckt hat. Er wollte auch die Entfernungen zu den Sternen messen, was aber technisch damals nicht möglich war. Aber zumindest so halbwegs rauskriegen wollte er es doch. Also hat er sich gesagt: Wir gehen einfach mal davon aus, dass alle Sterne mehr oder weniger gleich viel Licht ausstrahlen. Dann müssen Sterne, die wir hell am Himmel wahrnehmen näher sein als die, die weniger hell erscheinen. Und Sirius ist der hellste Stern am Nachthimmel, den nehmen wir mal als Referenzstern, mit dem wir alle anderen vergleichen. Sirius ist ein “Siriometer” weit weg. Und ein Stern, der ein Viertel so hell erscheint wie Sirius muss zwei Siriometer weit weg sein. Weil die Helligkeit mit dem Quadrat des Abstands sinkt: Doppelt so weit weg, viermal weniger hell.
Das war eigentlich keine schlechte Idee. Wenn denn die Sterne wirklich alle gleich viel Licht ausstrahlen, was sie aber nicht tun. Deswegen waren Herschels Ergebnisse auch nicht sonderlich gut. Die Idee des Siriometer blieb aber. Denn man brauchte ja immer noch irgendeine Einheit für die Sterndistanzen. Basierend auf dem Siriometer schlug der deutsche Astronom Hugo von Seeliger die “Siriusweite” vor. Damit ist die Entfernung eines Stern gemeint, der gerade so weit weg ist, dass seine Parallaxe 0,2 Bogensekunden beträgt. Was heißt das? Die Parallaxe ist die scheinbare Positionsänderung die sich ergibt, wenn man ihn von der Erde aus zu zwei Zeitpunkten betrachtet, die 6 Monate auseinander liegen. Oder, ein bisschen weniger verwirrend: Wir schauen einmal zum Stern hin und messen seine Position. Dann warten wir, bis die Erde genau auf der anderen Seite ihrer Umlaufbahn angelangt ist. Dann befinden wir uns knapp 300 Millionen Kilometer von der ersten Beobachtungsposition weg (so groß ist der Durchmesser der Erdbahn) und schauen nochmal. Jetzt wird der Stern eine andere Position haben und den Unterschied misst man in Grad. Bogensekunden sind ein bisschen knifflig zum Vorstellen (dazu kommen wir später noch), darum erkläre ich es nochmal. Wenn wir uns einmal im Kreis drehen, dann haben wir insgesamt einen Bereich von 360 Grad beobachtet; das ist noch simpel. Ein Grad können wir jetzt in 60 Stücke unterteilen, die nennt man Bogenminuten. Und jede Bogenminute hat nochmal 60 Bogensekunden. Und bei unserer Messung ist der Stern nicht mal eine volle Bogensekunde scheinbar am Himmel entlang gehüpft, sonder nur 0,2 Bogensekunden. Das ist wirklich wenig. Der Vollmond überdeckt einen Bereich am Himmel der 0,5 Grad entspricht, beziehunsgweise 30 Bogenminuten oder 1800 Bogensekunden. 0,2 Bogensekunden sind knapp ein 10.000stel der scheinbaren Größe des Vollmonds am Himmel. Eine Parallaxe von 0,2 Bogensekunden entspricht zwar nicht der Entfernung von Sirius, aber einer Entfernung von 1,03 Millionen Erdbahnradien. Was Seeliger ziemlich super fand und auch der schwedische Astronom Carl Charlier, der vorschlug, das ein wenig zu runden und ein Siriometer auf 1 Million Erdbahnradien festzulegen. Sirius wäre dann laut Charlier einen halben Siriometer weit weg, die helle Wega 2,2 Siriometer, Beteigeuze wäre 6,9 Siriometer entfernt, und so weiter. Eigentlich ganz nett, alles schön handliche Zahlen.
Andere Astronomen fanden es schöner, wenn man die Entfernungseinheit mit einer Parallaxe von 0,1 Bogensekunden definiert und haben das auch getan. Aber warum sollte man alles am Sirius festmachen? Warum nicht den Andromedanebel nehmen. Damals, zu Beginn des 20. Jahrhunderts als all diese Diskussionen geführt wurden, dachten ja viele noch, dass das ein nebelartiges Gebilde und gar nicht so weit weg ist. Und hübsch ist das Ding auch, als definieren wir einfach den Abstand zum Andromedanebel als ein “Andromede” und nehmen das als Entfernungseinheit für Sterne. Blöd nur, dass niemand so genau gewusst hat, wie weit die Andromeda weg ist. Damals zumindest und das hat auch Heber Curtis beschäftigt. Der amerikanische Astronom gehörte zu denen, die davon ausgingen, dass es noch jede Menge andere, enorm weit entfernte Galaxien im All gibt und das die Andromeda eine davon ist. Und wenn das so ist, dann macht es kaum Sinn diesen Abstand als Maßstab für die viel näheren Sterne zu benutzen. In einer Arbeit aus dem Jahr 1913 fasste er die Debatte der Entfernungseinheiten zusammen und stellte fest, dass so eine Einheit mindestens drei Vorgaben erfüllen muss. Man soll sie möglichst exakt messen können und sie soll von fundamentalen Größen abhängen. Sie soll leicht zu verstehen sein, auch wenn man kein oder nur wenig astronomisches Wissen hat. Und sie soll so beschaffen sein, dass die Entfernungen zu den Sternen sich in halbwegs handlichen Zahlen ausdrücken lassen. Die Andromede als Einheit verwarf er sofort; es war nicht möglich, diese Entfernung vernünftig zu messen. Die Einheiten die auf Parallaxen basieren fand er auch nicht so super. Darunter können sich Laien nix vorstellen, meinte er und hatte damit nicht Unrecht. Ihr habt ja vorhin gehört, dass man sich ein wenig anstrengen muss, wenn man das mit der Parallaxe und der Entfernung anschaulich erklären will.
Curtis lehnte die Entfernungsangaben in Bogensekunden der Parallaxe ab, aber genau so diverse Umrechnungen. Den Siriometer von Charlier fand er doof, genauso andere die einen Stern, der eine Parallaxe von einer Bogensekunde zeigt (statt den 0,2 von Seeliger und Charlier) und die daraus berechnete Entfernung dann Macron, Astron oder Astrometer nannten. Curtis fand, dass es nur eine Einheit gab, die alle seine Bedingungen erfüllte: Das Lichtjahr. Diese Entfernung basiert auf einer fundamentalen Größe, nämlich der Lichtgeschwindigkeit die sich damals auch halbwegs gut messen lies. Es ist leicht einzusehen, dass Licht Zeit braucht um von A nach B zu kommen und dass ein Lichtjahr eben genau die Strecke ist, die das Licht in einem Jahr zurück legt. Und die Entfernungen zu den Sternen lassen sich in Lichtjahren genau so handlich ausdrücken wie in Siriometern. Sirius zum Beispiel ist 8,6 Lichtjahre weit weg, Wega ist 25 Lichtjahre entfernt und Beteigeuze 643 Lichtjahre. Es spricht also nichts dagegen, einfach das eh schon in Gebrauch befindliche Lichtjahr zum Standard zu machen, meinte Curtis. Und sollten wir mal noch größere Einheiten brauchen, kann man ja einfach Lichtjahrhunderte oder Lichtjahrtausende nehmen.
Man kann Curtis kaum widersprechen; ein Lichtjahr ist wirklich eine praktisch und leicht zu veranschaulichende Einheit. Trotzdem ist das Lichtjahr nicht die “offizielle” Einheit. Beziehungsweise gibt es keine offizielle Einheit, außer dem Meter. Aber in der Astronomie wird in Fachpublikationen meistens eine Einheit verwendet, die “Parsec” heißt. Das steht für “Parallaxensekunde” und entspricht einer Entfernung, in der ein Stern eine scheinbare Positionsänderung von einer Bogensekunde zeigt, wenn man ihn von der Erde aus zu unterschiedlichen Zeiten beobachtet. Also genau das Ding, das früher mal Astron, Astrometer, Macron, etc genannt wurde. Nur dass man sich halt für den Namen Parsec entschieden hat. Beziehungsweise nicht “man” sonder der britische Astronom Herbert Hall Turner, der den Begriff Anfang des 20. Jahrhunderts vorschlug.
Tja. Auf Curtis wollte keiner hören. Und deswegen haben wir in der Astronomie heute die Einheit Parsec. Ein Parsec entspricht knapp 31 Billionen Kilometer. Oder 3,26 Lichtjahre. Es gibt durchaus ein paar gute Gründe, warum man in der Forschung auf das Parsec setzt; es basiert auf einer direkten Beobachtungsgröße, nämlich dem Winkel der Parallaxe. Aber so richtig anschaulich ist es trotzdem nicht. Weswegen die Lichtjahre natürlich trotzdem noch verwendet werden, vor allem immer dann, wenn nicht innerhalb der Astronomie miteinander gesprochen wird, sondern mit der Öffentlichkeit.
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