Das ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts. Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video. Und den ganzen Podcast findet ihr auch bei Spotify.
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Sternengeschichten Folge 509: Osiris – ein verdampfender Planet
In dieser Folge der Sternengeschichten reisen wir zu Osiris, einem Planeten der sich knapp 160 Lichtjahre von der Sonne entfernt befindet. Obwohl, “Osiris” ist gar nicht der offizielle Name. Der lautet “HD 209458b”. Das klingt jetzt aber nicht so super und deswegen bleiben wir bei dem inoffiziellen Spitznamen, den die Forscherinnen und Forscher diesem Himmelskörper verliehen haben. Osiris ist ein extrasolarer Planet, als ein Planet, der nicht unsere Sonne umkreist sondern einen anderen Stern. In diesem Fall ist das der Stern mit der Bezeichnung HD 209458. Man findet ihn, wenn man am Himmel in das Sternbild Pegasus schaut. Allerdings nur mit einem Teleskop, mit bloßem Auge ist dieser Stern nicht zu sehen. HD 209458 ist ein kleines bisschen schwerer, größer und heißer als die Sonne und mehr oder weniger gleich alt wie unser Stern. Im großen und ganzen kann man ihn als sonnenähnlichen Stern bezeichnen, der die meiste Zeit über nicht weiter aufgefallen ist.
Das hat sich am 9. September 1999 schlagartig geändert. Schon im August hat man erste Hinweise gefunden, dass dieser Stern von einem Planeten umkreist wird. Heute ist das keine große Sache mehr; wir kennen mehr als 5000 extrasolare Planeten und wissen, dass da draußen mindestens so viele Planeten wie Sterne sind. Aber 1999 hatte die Erforschung der extrasolaren Planeten gerade erst angefangen. Der erste davon wurde überhaupt erst Ende 1995 entdeckt. 1999 kannte man gerade mal gut zwei Dutzend davon. Jeder neu entdeckte Planet war eine große Sache. HD 209458 war aber extra aufregend und das hat mit der Art und Weise seiner Entdeckung zu tun.
Die ersten extrasolaren Planeten sind alle mit der sogenannten Radialgeschwindigkeitsmethode entdeckt worden. Davon habe ich ja früher schon mal erzählt; kurz gesagt nutzt man dabei die Tatsache aus, dass die Gravitationskraft eines Planeten den Stern, den er umkreist, ein klein wenig zum Wackeln bringt. Nicht viel; immerhin hat so ein Planet ja deutlich weniger Masse als ein Stern. Trotzdem, ein Stern der von Planeten umkreist wird, wackelt immer ein bisschen hin und her. Das kann man zwar nicht direkt beobachten (zumindest in so gut wie allen Fällen nicht). Aber wenn sich der Stern bei seiner Wackelei mal ein winziges Stück auf uns zu bewegt und dann wieder von uns fort, führt das dazu, dass sich auch das Licht verändert. Es wird – vereinfacht gesagt – mal ein wenig röter und mal ein wenig blauer. Genau aus dem gleichen Grund, aus dem sich auch die Tonhöhe der Sirene eines Einsatzfahrzeuges verändert wenn es zuerst auf uns zu kommt und dann von uns weg fährt. Nur dass es hier eben eine Lichtwelle ist, die die Farbe verändert und keine Schallwelle bei der sich die Tonhöhe ändert.
Die Radialgeschwindigkeitsmethode war sehr erfolgreich bei der Suche nach extrasolaren Planeten. Ist sie immer noch; sie wird ja immer noch verwendet. Vor allem deswegen, weil man daraus die Masse des Planeten recht gut abschätzen kann. Je mehr Masse der Planet hat, desto stärker bringt er den Stern zum Wackeln. Und die Masse eines Planeten ist eine fundamentale Größe, wenn man die nicht kennt hat man kaum eine Chance zu verstehen, um was für einen Planeten es sich handelt. Was man darüber hinaus auch noch gerne kennen würde, ist die Größe des Planeten. Die sagt einem die Radialgeschwindigkeitsmethode aber leider nicht.
Deswegen hat man auch schon früh probiert, Planeten mit einer anderen Methode zu finden und zwar der Transitmethode. Auch von der hab ich schon oft erzählt; da geht es darum, dass man das Licht eines Sterns beobachtet und schaut, ob es in periodischen Abständen weniger wird. Denn wenn von uns aus gesehen ein Planet genau vor dem Stern vorbei zieht, verdeckt er dabei ein kleines bisschen Licht. Nicht viel, aber Helligkeiten können wir relativ genau messen. Und natürlich gilt hier: Je größer der Planet, desto mehr Licht kann er verdecken. Die Transitmethode sagt uns also direkt, wie groß der Planet ist. Dafür kann sie wiederum nichts über die Masse sagen. Und vor allem: Sie funktioniert nur dann, wenn wir zufällig von der Erde aus genau in die Ebene schauen, in der sich der Planet um den Stern bewegt. Man muss also sehr viele Sterne beobachten damit man eine Chance hat, einen zu finden der erstens von einem Planeten umkreist wird und bei dem wir zweitens im richtigen Winkel hinschauen um einen Transit zu sehen.
1999 hatte man mit der Transitmethode noch keinen Erfolg gehabt. Aber natürlich hat man bei allen damals bekannten Exoplaneten versucht, einen Transit zu beobachten. Die Chancen, dass von der Handvoll damals bekannter Planeten gerade einer dabei ist, der direkt vor seinem Stern vorüber zieht, war zwar gering. Aber zumindest hat man schon mal gewusst, DASS da überhaupt ein Planet ist. Genau das hat man aus Radialgeschwindigkeitsmessungen bei HD 209458 gewusst. Und am 9. September 1999 hat man dort dann auch einen Transit beobachtet. Die Helligkeit des Sterns wurde um 1,7 Prozent geringer und diese Mini-Sternenfinsternisse wiederholten sich periodisch, genau wie es für einen den Stern umkreisenden Planeten zu erwarten war.
Der Planet, der die offizielle Bezeichnung HD 209458b bekommen hat, war der erste, der mit der Transitmethode nachgewiesen werden konnte. Mit der Transitmethode UND der Radialgeschwindigkeitsmethode, was ganz besonders praktisch ist. Denn wenn ich weiß, wie groß der Planet ist und gleichzeitig auch seine Masse kennen, kann ich auch die Dichte berechnen und Rückschlüsse über seine Zusammensetzung ziehen. In diesem Fall war der Planet 1,35 mal so groß wie Jupiter, hatte aber nur gut 70% der Jupitermasse. Es muss also auf jeden Fall mal ein riesiger Gasplanet sein; ohne feste Oberfläche. Dass er gleichzeitig größer ist als Jupiter und weniger Masse hat, kann man durch seine Umlaufbahn erklären. Er befindet sich nur 7 Millionen Kilometer von seinem Stern entfernt. Zum Vergleich: Der Abstand zwischen Erde und Sonne beträgt 150 Millionen Kilometer; der sonnennächste Planet Merkur ist immer noch 58 Millionen Kilometer weit weg. HD 209458 b braucht deswegen auch nur 3,5 Tage für eine Runde um den Stern. Und durch diese Nähe wird er natürlich auch enorm aufgeheizt. Er ist mehr als 1000 Grad Celsius heiß und die Wärme führt dazu, dass sich das Gas aus dem er besteht ausdehnt.
Osiris ist aber nicht nur deswegen außergewöhnlich, weil er als erster Planet mit der Transitmethode entdeckt wurde. Seine zweite Besonderheit hat mit seinem Spitznamen zu tun. 2003 und 2004 hat das Hubble-Weltraumteleskop den Planet beobachtet und dabei in seiner Umgebung jede Menge Wasserstoff, Kohlenstoff und Sauerstoff gefunden. Der Planet war quasi von einer Wolke aus diesen Atomen umgeben, die fast dreimal so groß war wie der Planet selbst. Der Grund dafür ist wieder einmal die enorme Nähe zwischen Stern und Planet. Die Energie des Sterns heizt die äußeren Schichten der planetaren Atmosphäre auf; die Gasteilchen bewegen sich immer schneller und schneller. Einige so schnell, dass sie nicht mehr von der Gravitationskraft des Planeten festgehalten werden können. Sie entkommen ins All und bilden dort eine Wolke. Durch die Bewegung des Planeten um den Stern entsteht so eine Art “Schweif”, den der Planet hinter sich her zieht. Oder anders gesagt: HD 209458 b verliert ständig einen Teil seiner Masse, er verdampft quasi und pro Sekunde sausen 100.000 bis 500.000 Tonnen Wasserstoff aus seiner Atmosphäre ins All. Er hat vermutlich so schon gut 7 Prozent seiner ursprünglichen Masse verloren. Und hier kommt jetzt Osiris ins Spiel: Das ist ja der ägyptische Totengott, der von seinem Bruder Seth zerstückelt und überall im Land verteilt worden war. Aber keine Sorge, Osiris war ja ein Gott und man hat die Stücke wieder ausgegraben und zusammengesetzt und alles war wieder gut. Nur ein Stück haben sie nicht mehr gefunden, aber das hat offensichtlich nicht gestört. Jedenfalls haben sich die Forscherinnen und Forscher dadurch irgendwie inspiriert gefühlt und weil der Planet ja auch quasi Stücke von sich selbst verliert, haben sie das Ding inoffiziell “Osiris” genannt.
Wir wissen heute, dass ein verdampfender Planet wie Osiris kein Einzelfall ist. So etwas passiert immer, wenn ein Gasplanet seinem Stern zu nahe ist. Aber ein Planet, der so schön groß ist und seinem Stern so nahe ist eine super Glücksfall für die Beobachtung. Normalerweise kann man die Atmosphäre eines extrasolaren Planeten schwer bis gar nicht untersuchen. Aber bei Osiris hat es immer wieder geklappt und man dort zum Beispiel schon Kohlendioxid und Methan nachgewiesen. Wir wissen, dass es dort Wolken gibt, so wie auch in der Atmosphäre des Jupiters. Und Stürme! 2010 konnte man messen, dass sich Teile des Gases in der Atmosphäre von Osiris mit gut 7000 km/h bewegen. Das ist ein ordentlicher Wind und er wird durch die Temperaturunterschiede zwischen der hellen, heißen und der dunklen, kühlen Seite des Planeten verursacht.
2021 konnte man in der Atmosphäre von Osiris auch komplexere Moleküle nachweisen, nämlich Wasser, Kohlenmonoxid, Cyanwasserstoff, Methan, Ammoniak und Acetylen. Daraus kann man ableiten, dass es in der Atmosphäre neben jeder Menge Wasserstoff auch Kohlenstoff und Sauerstoff geben muss und – das war eine neue Erkenntnis – mehr Kohlenstoff als Sauerstoff. Und das ist insofern interessant, weil das bedeuten muss, dass der Planet in einer kühleren Ecke entstanden ist als jetzt. Die Details würden jetzt zu weit führen – aber die diversen Moleküle und Atome sind bei der Entstehung eines Planetensystems nicht gleichmäßig um den Stern herum verteilt. Vor allem in unmittelbarer Nähe des jungen und heißen Sterns gibt es weniger Zeug, weil die Strahlung das in der Gegend verteilt. Wenn Osiris also jetzt so viele Verbindungen mit Kohlenstoff in der Atmosphäre hat, dann muss er weiter entfernt entstanden und erst später so nah an den Stern gerückt sein.
Osiris ist kein Planet, auf dem Leben existieren kann. Aber die Erforschung der Exoplaneten ist ja weit mehr als nur die Suche nach einer “zweiten Erde” oder außerirdischem Leben. Es geht darum zu verstehen, was dort draußen alles existieren kann. Und Osiris ist ein absolut faszinierendes Forschungsobjekt. So etwas wie diesen verdampfenden Riesenplaneten gibt es in unserem Sonnensystem nicht. Wir haben viel aus der Erforschung von Planeten wie Osiris gelernt; wir haben gelernt wie Planeten funktionieren und wie man ihre Atmosphären erforschen kann. Vor allem aber haben wir gelernt: Das Universum da draußen ist voller wunderbarer Überraschungen und wenn wir nur aufmerksam genug hinschauen, dann finden wir dort jede Menge Dinge, die es bei uns nicht gibt und von denen wir nicht mal dachten, dass es sie geben kann, bevor wir sie gefunden haben. So wie Osiris, der Planet, der einen Schweif aus seiner eigenen Atmosphäre hinter sich durchs All zieht.
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