In Teil 1 der Serie über die dunkle Materie haben wir gesehen, wie sie nicht entdeckt wurde. Die eigentliche Entdeckungsgeschichte war das Thema von Teil 2. Fritz Zwicky hatte im Jahr 1933 festgestellt, dass der Coma-Galaxienhaufen mehr Masse enthalten musste, als man sehen konnte. Danach war es längere Zeit ruhig um die dunkle Materie. Erst in den 1970er Jahren wurde die unsichtbare Materie zum heißen Thema in der Astronomie.
Es begann alles mit der Arbeit von Vera Rubin. Die junge Astronomin arbeitete in den 1960er Jahren an einem seltsamen und umstrittenen Thema. Sie wollte herausfinden, ob sich das Universum dreht. Dafür vermaß sie die Bewegung und Drehrichtung vieler Galaxien – wurde aber mit ihrer Arbeit fürs Erste von den meisten Wissenschaftlern ignoriert. Die Daten waren nicht allzu eindeutig (das sind sie heute immer noch) und das Thema eher etwas für Außenseiter. Und dass Vera Rubin eine Frau war, half ihr in der männerdominierten Wissenschaft der 1960er Jahre auch nicht unbedingt weiter (sie durfte teilweise nicht mal an den großen Teleskopen beobachten, weil Frauen dort wegen “fehlender Sanitäreinrichtungen” nicht zugelassen waren). Rubin wurde zwar von Größen wie George Gamow oder Gérard-Henri de Vaucouleurs unterstützt; entschied sich dann aber doch, zu einem anderen Arbeitsgebiet zu wechseln. Sie blieb den Galaxien aber trotzdem treu; nur untersuchte sie nun, wie sich die Sterne dort bewegen. Ihr erstes Beobachtungsobjekt war die Andromedagalaxie (M31), unser galaktischer Nachbar im All.
Sterne, die das Zentrum einer Galaxie umkreisen sollten sich im Prinzip so verhalten, wie Planeten, die einen Stern umkreisen. Je näher ein Planet seinem Stern ist, desto schneller bewegt er sich. Merkur, der sonnennächste Planet braucht nur 88 Tage für eine Runde. Bei der Erde sind es bekanntermaßen 365 Tage und der ferne Neptun braucht ganze 165 Jahre. Dieses Verhalten folgt direkt aus dem Newtonschen Gravitationsgesetz bzw. Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie. Je weiter man sich von einem schweren Objekt entfernt, desto geringer ist der Einfluss seiner Gravitationskraft. In einer Galaxie sollte es eigentlich so ähnlich sein. Je weiter entfernt sich ein Stern vom Zentrum befindet, desto schwächer spürt er den Einfluss der Gravitationskraft und desto langsamer sollte er sich bewegen. Rubin probierte nun, die sogenannte “Rotationskurve” von Andromeda zu messen. Sie bestimmte die Umlaufgeschwindigkeit von Sternen in unterschiedlichem Abstand zum Zentrum und erwartete, dass die Geschwindigkeit mit zunehmenden Abstand immer kleiner wird. Gemessen hat sie dann aber das hier:
Dieses berühmte Diagramm stammt aus der Arbeit “Rotation of the Andromeda Nebula from a Spectroscopic Survey of Emission Regions” die Rubin im Jahr 1970 veröffentlichte. Die x-Achse zeigt den Abstand zum Zentrum der Galaxie (die Einheiten sind oben in Kiloparsec angegeben und unten in Bogenminuten). Und man erkennt deutlich, dass die Kurve im rechten Bereich des Diagramms nicht nach unten abfällt, wie man es erwarten würde, sondern im wesentlichen gerade verläuft.
Rubin und ihre Kollegen beobachten im Laufe der Zeit immer mehr Galaxien und überall fanden sie das selbe Verhalten: Die Sterne in den äußeren Bereichen der Galaxien bewegten sich zu schnell! Auch Beobachtungen anderer Wissenschaftler im Radiowellenbereich des elektromagnetischen Spektrums zeigten diese seltsame Bewegung. Die Daten schienen zu zeigen, dass die sichtbare Materie in der Galaxie nicht alles sein konnte. Es musste auch dort noch Materie vorhanden sein, wo die leuchtende Materie längst zu Ende ist. Die Galaxien schienen in eine große Wolke aus dunkler Materie eingebettet zu sein und der gravitative Einfluss dieser dunklen Materie führte dazu, dass sich die Sterne schneller bewegten, als man erwarten würde.
“Nobody ever told us that all matter radiated. We just assumed that it did.”
sagte Vera Rubin – und hatte damit Recht. Man war bis dahin einfach davon ausgegangen, dass jede Materie auch mit Licht wechselwirkt; also entweder selbst Licht abgibt oder aber zumindest Licht reflektiert und damit sichtbar ist. Aber wer sagt, dass das so sein muss? Warum sollte es nicht auch Materie geben, die das nicht tut? Alle Beobachtungen deuteten jedenfalls darauf hin. Man hatte nun schon Daten auf zwei völlig verschiedenen Größenskalen: Einerseits die Bewegung von Galaxien in Galaxienhaufen, die Zwicky 1933 beobachtet hatte. Andererseits die Bewegung Sternen in Galaxien, die von Rubin und diversen anderen Astronomen ab den 1970er Jahren analysiert wurde. Beide zeigten, dass sich die Himmelskörper so verhielten, als gäbe es neben der normalen, sichtbaren Materie auch noch eine “dunkle Materie”, die nicht leuchtet. Beide Beobachtungen kamen unabhängig voneinander zum gleichen Ergebnis (und stimmten auch noch in der Menge der dunklen Materie überein, die vorhanden sein musste).
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