Das ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts. Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video.
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Sternengeschichten Folge 259: Das Analemma
Das Wort “Analemma” gehört vermutlich nicht unbedingt zum gebräuchlichen Wortschatz der meisten Menschen. Und wer nicht gerade eine Einführungsvorlesung über die Astronomie hört oder eine Sonnenuhr bauen möchte hat auch nicht unbedingt großen Bedarf es zu verwenden. Aber das astronomische Phänomen das damit bezeichnet wird ist durchaus interessant.
Das Analemma gibt es, weil sich einerseits unsere Erde nicht ganz gleichmäßig um die Sonne herum bewegt, andererseits aber unsere alltägliche Uhrzeit sehr gleichmäßig verstreicht. Das klingt jetzt vielleicht ein wenig unverständlich. Aber die Sache wird klarer wenn wir uns ein wenig genauer mit der Zeitrechnung beschäftigen. Ein klein wenig habe ich darüber schon in Folge 5 der Sternengeschichten gesprochen aber das ist lange her und es lohnt sich einen etwas detaillierten Blick auf die Angelegenheit zu werfen.
Für diesen Zweck ignorieren wir jetzt auch einfach mal die astronomische Realität und die Tatsache dass die Erde einmal im Jahr um die Sonne kreist und sich um einmal pro Tag um ihre Achse dreht. Und betrachten die Angelegenheit von unserem besonderen Standpunkt hier auf der Erde. Wir sehen nicht, dass wir uns bewegen; wir sehen wie die Sonne jeden Tag am Horizont aufgeht, sich über den Himmel bewegt und dann wieder unter dem Horizont verschwindet. Irgendwann bei ihrem Weg von Osten nach Westen steht sie auch exakt im Süden. Dieser Moment ist es, denn man als “Mittag” definiert. Beziehungsweise war das früher so als es noch keine einheitliche Zeitmessung gab. Denn wann genau die Sonne im Süden steht hängt auch davon ab wo man sich auf der Erde befindet. Genauer gesagt: Es hängt vom Längengrad ab, also den gedachten Linien die man entlang der Erdoberfläche vom Nord- zum Südpol ziehen kann. Jeder Längengrad hat seinen eigenen, individuellen Mittag. Das ist auch logisch, denn die Sonne bewegt sich von Osten nach Westen über den Himmel (weil die Erde sich von Westen nach Osten dreht). Wenn die Sonne also an einem Längengrad exakt im Süden steht dann ist der Mittag auf einem Längengrad ein Stück weiter östlich schon vorbei und am Längengrad ein Stück weiter westlich dauert es noch ein wenig bis die Sonne die Mittagsposition erreicht hat.
Diesen exakten astronomischen Zeitpunkt nennt man den “wahren Mittag” und die daraus abgeleitete Zeit die “wahre Sonnenzeit” oder “wahre Ortszeit”. Das ist auch genau die Zeit die man auf einer Sonnenuhr ablesen kann. Aber nicht die Zeit die heute auf unseren Uhren angezeigt wird. Denn es wäre in der modernen Welt äußerst unpraktisch wenn jeder Ort auf der Erde seine individuelle Uhrzeit hat. Ende des 19. Jahrhunderts hat man daher größere Bereiche zu Zeitzonen zusammengefasst in denen jeweils die gleiche Zeit gilt, ganz unabhängig vom jeweiligen lokalen Stand der Sonne. Diese Uhrzeit, die “Zonenzeit” wird außerdem auch gar nicht mehr auf die wahre Sonnenzeit bezogen sondern aus der “mittleren Sonnenzeit” abgeleitet. Dabei stellt man sich vor dass die Erde mit gleichbleibender Geschwindigkeit auf einer kreisförmigen Bahn um die Sonne läuft und die Erdachse außerdem noch exakt senkrecht auf die Bahnebene steht. Diese fiktive Erde bewegt sich also völlig regelmäßig und kann deswegen als gute Grundlage für Uhren verwendet werden, die ja auch völlig regelmäßig laufen.
Die echte Erde bewegt sich aber nun mal nicht regelmäßig. Sie bewegt sich auf einer elliptischen Bahn um die Sonne. Ihr Abstand zur Sonne ist daher auch nicht immer völlig gleich sondern ändert sich. Sie ist ein wenig schneller wenn sie der Sonne näher kommt und wird langsamer wenn sie sich wieder entfernt. Und schließlich ist auch die Achse um die die Erde sich jeden Tag dreht um 23,5 Grad aus der Senkrechten gegenüber der Bahnebene geneigt. Das alles führt zu Abweichungen zwischen wahrer Sonnenzeit und mittlerer Sonnenzeit. Bestimmt man für jeden Tag diesen Unterschied und zeichnet ein entsprechendes Diagramm dann bekommt man das was die Astronomen die “Zeitgleichung” nennen.
Den sonnennächsten Punkt ihrer Bahn erreicht die Erde immer Anfang Januar und dann bewegt sie sich auch am schnellsten. Die echte Erde hat hier also einen kleinen Vorsprung gegenüber der fiktiven Erde die sich immer mit gleicher Geschwindigkeit bewegt. Die holt aber auf, denn die echte Erde wieder immer langsamer wenn sie sich dem sonnenfernsten Punkt ihrer Bahn nähert den sie im Sommer erreicht. Unsere Uhren gehen also gegenüber der wahren Sonnenzeit ein halbes Jahr lang nach und ein halbes Jahr lang vor. Der so verursachte Unterschied zwischen den beiden Uhrzeiten beträgt maximal plus beziehungsweise minus 7,5 Minuten.
Und dann ist da noch die Neigung der Erdachse. Wäre die Erdachse nicht aus der Senkrechten geneigt, dann wäre die Ebene die vom Äquator der Erde vorgegeben wird genau parallel zur Ebene in der die Erde um die Sonne läuft. Die scheinbare Bahn der Sonne am Himmel der Erde – die Ekliptik – würde dann mit der Projektion des Erdäquators auf den Himmel, dem “Himmelsäquator” zusammenfallen. Die fiktive Sonne nach der wir die mittlere Sonnenzeit bestimmen bewegt sich also immer entlang des Himmelsäquators. Aber da die Erdachse nun mal eben geneigt ist, finden wir die reale Sonne je nach Jahrezeit unterschiedlich weit vom Himmelsäquator entfernt. Auch das erzeugt einen Unterschied zwischen den beiden Uhrzeiten, der bis zu plus oder minus 10 Minuten betragen kann.
Kombiniert man diese beiden Effekte dann erhält man die Zeitgleichung. Nur an vier Tagen im Jahr stimmen die wahre und die mittlere Sonnenzeit überein und zwar am 13. April, dem 13. Juni, dem 1. September und dem 25. Dezember. Die größten Abweichungen finden wir am 11. Februar und am 3. November; im Februar läuft die wahre Sonnenzeit der mittleren Sonnenzeit um ein bisschen mehr als 14 Minuten hinterher; im November geht sie fast 16,5 Minuten vor.
Die Zeitgleichung ist ein mathematisches Diagramm beziehungsweise eine Tabelle voller Zahlen. Man kann sie aber auch in der Realität sichtbar machen. Dazu braucht man nur eine Kamera und mindestens ein Jahr lang Zeit. Man sucht sich einen Ort von dem aus man den Himmel gut sehen kann und macht ein Bild der Sonne am Himmel. Am nächsten Tag wiederholt man das und zwar vom exakt gleichen Ort aus und auch zur gleichen Zeit (und hier ist jetzt die mittlere Ortszeit gemeint). Macht man das für jeden Tag des Jahres und überlagert all diese Aufnahmen, dann wird man sehen wie die Sonne eine seltsam verbogene “Acht” am Himmel gezeichnet hat. Diese “Acht” nennt man “Analemma” und sie entsteht weil wir das Foto jeden Tag zur gleichen mittleren Sonnenzeit gemacht haben, die reale Sonne aber eben nicht jeden Tag zur gleichen Zeit am gleichen Ort des Himmels steht weil sich wahre und mittlere Sonnenzeit unterscheiden.
Das Analemma kann man auch auf manchen Sonnenuhren finden. Die messen ja, wie schon beschrieben, die wahre Sonnenzeit. Wenn wir eine Sonnenuhr benutzen wollen um die mittlere Sonnenzeit zu bestimmen dann müssen wir aus der Zeitgleichung den entsprechenden Unterschied bestimmen und die Zeit der Sonnenuhr damit korrigieren. Viele Sonnenuhren haben daher annalemmaförmige Markierungen an denen diese Korrekturen direkt ablesbar sind.
Analemmata (oder lautet die Mehrzahl vielleicht doch “Analemmas”) kann man übrigens nicht nur von der Erde aus beobachten. Hier bei uns ist die Figur aber am schönsten! Die Bahn des Mars weicht zum Beispiel viel stärker von der Kreisbahn ab als die der Erde. Während auf der Erde die Effekte aus Neigung der Erdbahn und Abweichung von der Kreisbahn in etwa gleich groß sind dominiert die elliptische Bahn die Zeitgleichung auf dem Mars. Dort würde man am Himmel auch keine “Acht” fotografieren sondern ein Analemma bekommen das eher wie eine Träne aussieht. Auf dem Jupiter würde man ein Analemma fotografieren das einem Oval ähnelt und auf Venus und Merkur könnte man gar kein Analemma aufnehmen da die Drehung dieser Planeten um ihre Achse fast so lange bzw. länger dauert als ein Umlauf um die Sonne. Wer eine außerirdische “Acht” am Himmel sehen will muss zu Saturn, zum Uranus oder zum Neptun reisen – wird aber dort Schwierigkeiten haben eine feste Oberfläche zu finden auf der sich die Kamera aufstellen lässt.
Die Acht am Himmel lässt sich also nur von der Erde aus fotografieren. Das zu tun hat zwar keinen wirklichen praktischen Zweck und ist, wie schon gesagt, ein wenig aufwendig. Aber es muss ja nicht alles im Leben einen konkreten Zweck erfüllen. Und man kann seine Zeit definitiv dümmer verschwenden als auf der Suche nach dem Analemma.
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