Das ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts. Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video.
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Sternengeschichten Folge 275: Der Mikrolinseneffekt
In der letzten Folge der Sternengeschichten habe ich ausführlich über den Gravitationslinseneffekt gesprochen. Albert Einstein hatte ja in seiner berühmten Allgemeinen Relativitätstheorie festgestellt, dass jede Masse den Raum krümmen kann. Und dass Lichtstrahlen der Krümmung des Raums folgen. Anders gesagt: Massen können also den Weg von Lichtstrahlen verändern und daher genau so wirken, wie optische Bauteile das tun. So wie Linsen in einer Brille oder einem Teleskop Lichtstrahlen ablenken, können das auch Sterne, Galaxien oder Planeten tun. Sie können “Gravitationslinsen” sein und im Laufe der letzten Jahrzehnte haben Astronomen die Auswirkungen solcher Linsen beobachtet. Sie verzerren das Licht ferner Galaxien oder erlauben es uns die Verteilung dunkler Materie im Universum zu bestimmen. Über all das habe ich ausführlich in der letzten Folge gesprochen.
Man kann mit dem Gravitationslinseneffekt aber auch noch andere coole Dinge tun. Zum Beispiel Planeten entdecken. Hier muss man das Phänomen allerdings ein klein wenig anders betrachten. Wir haben es nun nicht mehr mit Quasaren, Galaxien und anderen riesigen Objekten in gewaltigen Entfernungen zu tun. Sondern mit Sternen und Planeten die sich vergleichsweise nahe, also innerhalb unserer Milchstraße befinden. Wenn von uns aus gesehen ein Stern genau vor einem anderen vorüber zieht, funktioniert das Prinzip der gravitativen Lichtablenkung genau so. Nur sind hier im Allgemeinen die von der Gravitationslinse – also dem Vordergrundstern – erzeugten Bilder des Hintergrundsterns so nahe beieinander, das wir sie nicht getrennt voneinander wahrnehmen können.
Alles was wir beobachten, ist eine kleine Helligkeitsveränderung des Hintergrundsterns. Er erscheint uns heller, als er es ohne die Linse wäre, denn die Gravitationslinse “biegt” ein wenig Licht in unsere Blickrichtung das ansonsten von uns ungesehen in den Tiefen des Alls verschwunden wäre.
Aber wie soll man so was überhaupt bemerken? Wir haben ja keine Ahnung, ob ein Stern jetzt heller ist, als er es sein sollte. Wir wissen ja nicht, wie hell ein Stern sein sollte. Dazu müssten wir wissen, wie weit entfernt der Stern genau ist, wie groß er ist, welche Masse er hat, und so weiter. Nur dann können wir genau berechnen, wie hell er theoretisch erscheinen sollte und könnten bemerken, dass er heller ist. Aber solche detailierten Angaben haben wir nur für sehr wenige Sterne und in der Milchstraße gibt es ein paar hundert Milliarden von den Dingern!
Diese Sterne bewegen sich allerdings auch und genau das ist der Schlüssel zum Mikrolinseneffekt. Es kann sein, dass von uns aus gesehen ein Stern genau an einem anderen vorüber zieht. Die Linse bewegt sich also vor einem Hintergrundstern vorüber und erzeugt bei diesem Vorbeigang einen ganz charakteristischen Anstieg und Abfall seiner Helligkeit. Natürlich ändern viele Sterne ihre Helligkeit aus jeder Menge von Gründen (von denen ich einige in Folgen 64 und 65 der Sternengeschichten erklärt habe). Die Helligkeitsänderung durch den Mikrolinseneffekt unterscheidet sich aber deutlich davon und kann so identifiziert werden.
Jetzt bleibt aber immer noch ein Problem. Es gibt jede Menge Sterne in der Milchstraße und wir haben bei so gut wie allen keine Ahnung, wohin sie sich bewegen. Viele Sterne leuchten auch viel zu schwach, als das wir sie beobachten können. Wenn so ein schwach leuchtender Stern die Rolle der Gravitationslinse spielt, dann merken wir das erst, wenn das Ereignis schon stattfindet. Wir können also nicht vorhersagen, wann und wo ein Mikrolinsenereignis stattfinden wird. Es ist auch rein statistisch sehr unwahrscheinlich, das so etwas vorkommt. Will man Mikrolinsenereignisse beobachten will, muss man sehr, sehr viele Sterne auf einmal beobachten – nur dann hat man eine Chance, ein paar davon zu detektieren.
Aber warum will man Mikrolinsenereignisse eigentlich beobachten? Zum Beispiel, weil man dann eben auch auf die Existenz von Sternen schließen kann, die zu schwach leuchten als das wir sie sonst beobachten würden. Wenn wir einen Mikrolinseneffekt beobachten, dann wissen wir, dass da irgendwo auch eine Gravitationslinse sein muss. Aus der Helligkeitsveränderung können wir ableiten, wie groß und schwer der Stern sein muss, der diese Rolle spielt. Wir könnten auch Objekte wie braune Zwerge finden, also die Zwischendinger zwischen Planeten und Sternen, die viel zu schwach leuchten, um gut beobachtbar zu sein. Vor einigen Jahrzehnten dachten viele Wissenschaftler ja noch, die ominöse dunkle Materie könnte tatsächlich einfach nur ganz normales Zeug sein, das halt einfach nicht leuchtet. Planeten, braune Zwerge, und so weiter. Wenn das so wäre, dann müsste der ganze Kram, der da in der Milchstraße zwischen den Sternen rumschwirrt, aber auch ständig Mikrolinseneffekte verursachen. Entsprechende Beobachtungskampagnen haben aber nichts gefunden, was diese Hypothese bestätigt. Dunkle Materie kann also kein normales Zeug sein – es muss sich um etwas anderes handeln, wie ich ja schon in Folge 25 der Sternengeschichten erzählt habe.
Aber auch wenn man nicht genug Mikrolinsenereignisse gefunden hat, um die dunkle Materie erklären zu können, hat man doch welche gefunden. Und da waren ein paar sehr interessante dabei. Im Jahr 2003 hat OGLE ein Ereignis beobachtet, das von einer Gravitationslinse in 29.000 Lichtjahren Entfernung verursacht wurde. OGLE steht für das “Optical Gravitational Lensing Experiment”, ein Beobachtungsprojekt das von der Universität Warschau in Polen durchgeführt wird. Man beobachtete bei einem Stern die für ein Mikrolinsenereignis typische Helligkeitsveränderung. Nur das es hier nicht ganz so typisch war. Die Helligkeit stieg an, fiel ab, stieg dann kurz wieder an, um erneut und endgültig abzufallen. Dieser zweite, kurze Anstieg der Helligkeit hätte eigentlich nicht stattfinden sollen. Zumindest dann nicht, wenn der Stern der die Linse darstellt, einfach nur ein einzelner Stern ist. Der zweite kurze Helligkeitsanstieg deutet darauf hin, dass der Stern von einem Planeten umkreist wird. Und auch dieser Planet wirkt kurzfristig als Linse, und erzeugt den zusätzlichen Helligkeitsanstieg.
Man hatte damals das erste Mal den Planeten eines anderen Sterns durch die Anwendung des Gravitationslinseneffekts entdeckt. Diesem ersten Planeten – der übrigens den schönen Namen OGLE-2003-BLG-235b trägt – sind mittlerweile viele weitere gefolgt. Die Technik funktioniert gut, ist aber knifflig. Denn so ein Mikrolinsenereignis findet nur einmal statt. Es dauert ein paar Tage und ist dann vorbei. Um zweifelsfrei von einer Entdeckung sprechen zu können, braucht man aber eine Bestätigung. Das passiert hier durch Kooperation. Es gibt neben OGLE noch weitere Beobachtungskampagnen, wie zum Beispiel das neuseeländische MOA-Projekt (wobei MOA für “Microlensing Observations in Astrophysics” steht). Nur wenn mehrere unabhängige Kampagnen das gleiche Ereignis beobachten, ist die Entdeckung abgesichert.
Mit dem Mikrolinseneffekt kann man aber nicht nur Planeten entdecken, die andere Sterne umkreisen. Man kann auch Planeten entdecken, die gar keinen Stern umkreisen sondern ganz alleine durch die Milchstraße fliegen. Sie können auch ganz ohne Stern als Gravitationslinse wirken. Über diese “vagabundierenden Planeten” habe ich schon in Folge 154 gesprochen und dort auch erklärt, wo diese Planeten herkommen. Dank der Beobachtung der von ihnen ausgelösten Mikrolinsenereignisse und entsprechenden statistischen Hochrechnungen wissen wir mittlerweile, dass die Milchstraße voll mit diesen ungebundenen Planeten ist. Es gibt davon mindestens so viele, wie es Sterne gibt!
Das sind beeindruckende Ergebnisse. Noch beeindruckender finde ich es aber, dass wir sie bekommen haben, in dem wir Sterne und Planeten selbst als Teleskope benutzt haben um Dinge sehen zu können, die wir sonst nicht gesehen hätte. Das soll uns Astronomen erst mal jemand nachmachen!
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