Gestern habe ich in meiner Serie über die wissenschaftliche Arbeit von Stephen Hawking über das Singularitäten-Theorem geschrieben. Damit wurde er Ende der 1960er Jahre als Wissenschaftler bekannt und hat maßgeblich zu einem besseren Verständnis des Anfangs unseres Universums beigetragen. In den Jahren danach hat Hawking sich dann aber intensiv den Objekten gewidmet, die heute am meisten mit seinem wissenschaftlichen Werk in Verbindung gebracht werden: Den schwarzen Löchern.
Der Weg dorthin führt aber über ein Phänomen, dass man bei der Vielfalt an Hawkings Themen oft übersieht. 1970 hat er gemeinsam mit Gary Gibbons einen Artikel über Gravitationswellen geschrieben (“Theory of the Detection of Short Bursts of Gravitational Radiation”). Dieses Phänomen hat ja erst seit 2016 so richtig viel Schlagzeilen gemacht. Damals wurde der erste konkrete Nachweis von Gravitationswellen bekannt gegeben (siehe hier und die Links in diesem Artikel). Aber schon 1958 hat der Physiker Joseph Webber die Messung von Gravitationswellen verkündet (siehe dazu hier). Man ist sich bis heute nicht ganz sicher, ob es sich um einen Messfehler handelt oder ob damals wirklich schon echte Gravitationswellen detektiert worden sind (wobei die Meinung eher zu “Messfehler” tendiert). Aber die theoretische Physik hat sich auf jeden Fall mit Webbers Messungen beschäftigt und auch Hawking hat in dem Artikel von 1970 über Detektionsmethoden spekuliert, die Klarheit schaffen können. Kurz danach erschien ein weiterer Artikel von Hawking: “Gravitational Radiation from Colliding Black Holes”. Auch darin ging es um Gravitationswellen – die Arbeit ging aber weit über die Frage nach ihrer Detektion hinaus.
In diesem Artikel veröffentlichte Hawking das, was heute als sein “area theorem” bekannt ist. Hawking stellte fest, dass schwarze Löcher bei Kollisionen zwar durchaus Gravitationswellen abstrahlen können. Es verliert also Energie – die Fläche die der sogenannte Ereignishorizont umschließt kann aber trotzdem nicht schrumpfen: Bei der Kollision zweier schwarzer Löcher ist der Ereignishorizonts des bei der Verschmelzung entstehenden Lochs größer als die Summe der Größe der Horizonte der beiden einzelnen Löcher. Der Ereignishorizont ist eigentlich genau das, was wir von außen als “schwarzes Loch” wahrnehmen. Er ist die Grenze, an der die Fluchtgeschwindigkeit die Lichtgeschwindigkeit übersteigt. Anders gesagt: Bis zum Ereignishorizont kann man sich einem schwarzen Loch nähern und wenn man dann schnell genug ist, kann man sich von ihm auch wieder entfernen. Hinter dem Ereignishorizont müsste man dann aber überlichtschnell sein, um der Gravitationskraft des schwarzen Lochs zu entkommen und das ist unmöglich. Deswegen ist alles, was sich hinter dem Ereignishorizont befindet, von außerhalb nicht sichtbar. Nichts kann von dort entkommen und deswegen wissen wir auch nicht, was tatsächlich dahinter ist.
Hawking jedenfalls stellte fest, dass der Ereignishorizont eines schwarzen Lochs bei physikalischen Prozessen nicht schrumpfen kann. Das erinnert an eine völlig andere physikalische Disziplin, nämlich die Thermodynamik. Dort gibt es vier fundamentale Aussagen, die sogenannten Hauptsätze der Thermodynamik. Der zweite davon besagt (in einer von vielen möglichen Formulierungen), dass die Entropie (vereinfacht gesagt ein Maß für die Unordnung eines physikalischen Systems) niemals abnehmen kann. Einerseits bestand also ein formaler Zusammenhang zwischen der Entropie eines physikalischen Systems und der Fläche des Ereignishorizonts eines physikalischen Systems. Andererseits müssen auch schwarze Löcher eine Entropie besitzen, denn sonst würden sie ja den zweiten Hauptsatz verletzen. Wenn wir mal beim vereinfachten Bild der Entropie der Unordnung bleiben, könnten wir uns ein wirklich unordentliches Zimmer vorstellen (und ja, wir könnten es aufräumen – würden dabei aber Energie verbrauchen, die in Form von abgegebener Wärmeenergie die Entropie der Umgebung erhöht und somit die neu geschaffene Ordnung im Zimmer wieder ausgleicht). Würden wir dieses Zimmer in ein schwarzes Loch werfen, dann wäre die ganze Unordnung, das heißt die Entropie, hinter dem Ereignishorizont verborgen und für den Rest des Universums komplett unzugänglich. Wir hätten also effektiv die Entropie des Universums verringert und das widerspricht dem zweiten Hauptsatz.
Bis jetzt waren das nur eine formale Entsprechung zwischen schwarzen Löcher und der Thermodynamik. Dann aber nahm der theoretische Physiker Jakob Bekenstein die Analogie wörtlich. Und definierte 1972 die Entropie eines schwarzen Lochs als Fläche des Ereignishorizonts (multipliziert mit ein paar fundamentalen Konstanten).
Das alles hängt auch direkt mit dem berühmten Keine-Haare-Theorem schwarzer Löcher zusammen. Das stammt zwar nicht von Stephen Hawking selbst, aber er hat sich – wie wir später noch sehen werden – intensiv damit beschäftigt. Natürlich hat ein schwarzes Loch keine Haare. Die Frisur steht nur symbolisch für die äußeren Eigenschaften die wir bestimmen können. Und hier zeigt sich bei einer Analyse der zuständigen Gleichungen aus der allgemeinen Relativitätstheorie, dass es völlig egal ist, welche Eigenschaften die Materie hat, die irgendwann zu einem schwarzen Loch kollabiert. Ist es einmal kollabiert und hat sich ein Ereignishorizont gebildet (und ist es stationär, d.h. im Ruhezustand, in dem alle anderen Einflüsse und Schwingungen abgeklungen sind), dann können wir von außen nur noch wahrnehmen, welche Masse es hat, welche elektrische Ladung und was für einen Drehimpuls. Ein schwarzes Loch hat exakt diese drei Eigenschaften; mehr kann man darüber nicht wissen. Es hat “keine Haare”; es gibt also keine Möglichkeit, einzelne schwarze Löcher irgendwie zu “individualisieren”. Das ist zumindest der aktuelle Stand des Wissens; genaugenommen ist das Keine-Haare-Theorem nur eine Keine-Haare-Vermutung, die zwar für einige Spezialfälle aber nicht allgemein mathematisch bewiesen ist.
Zusammen mit John Bardeen und Brandon Carter publizierte Stephen Hawking im Jahr 1973 eine Arbeit mit dem Titel “The four laws of black hole mechanics”. Darin formulierten sie vier Aussagen über schwarze Löcher, die analog zu den vier Hauptsätzen der Thermodynamik betrachtet werden können. Und zwar diese hier:
- Nullter Hauptsatz: Die gravitative Beschleunigung am Ereignishorizont eines stationären, nicht-rotierenden schwarzen Lochs hat überall den gleichen Wert.
- Erster Hauptsatz: Bei äußeren Störungen ändert sich die Gesamtenergie eines schwarzen Lochs auf eine ganz bestimmte Weise (die konkret zu formulieren jetzt hier zu weit führen und ohne viel Erklärung auch nicht weiter zu einem besseren Verständnis beitragen würden).
- Zweiter Hauptsatz: Die Fläche des Ereignishorizonts kann entweder gleich bleiben oder wachsen aber nie schrumpfen.
- Dritter Hauptsatz: Es ist nicht möglich ein schwarzes Loch zu erzeugen, dessen Schwerebeschleunigung am Ereignishorizont gleich null ist.
Vergleicht man diese Aussagen mit der klassischen Thermodynamik, dann sieht man schnell die Zusammenhänge. Der nullte Hauptsatz entspricht dort der Aussage, dass die Temperatur eines physikalischen Systems sich immer in einem thermischen Gleichgewicht befindet. Der erste Hauptsatz ist das, was wir in der Thermodynamik als Energieerhaltungssazu kennen. Die Entsprechung des zweiten Hauptsatzes habe ich weiter oben schon ausgeführt. Und der dritte Hauptsatz ist der thermodynamischen Aussage analog, nach der man ein physikalisches System niemals bis zum absoluten Nullpunkt abkühlen kann.
Die Verbindung zwischen schwarzen Löcher und Thermodynamik ist faszinierend – aber auch verwirrend. War das jetzt tatsächlich nur eine formale Entsprechung? Und was war mit den Widersprüchen, die sich da auftun? Bekensteins Interpretation der Fläche des Ereignishorizonts hat, zusammen mit Hawkings area-theorem zwar gezeigt, dass hier keine Verletzung des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik vorliegt. Wenn ich was in ein schwarzes Loch werfe, dann wird dessen Entropie und damit die Fläche seines Ereignishorizonts größer und alles ist ok (sehr vereinfacht gesagt jedenfalls). Aber wenn schwarze Löcher wirklich Objekte sind, die der Thermodynamik folgen, dann müssen sie auch eine Temperatur haben. Und wenn sie eine Temperatur haben, dann müssen sie Strahlung abgeben. Das ist aber genau das, was schwarze Löcher per Definition nicht tun!
Diesen Widerspruch löste Hawking dann wenig später mit einer Entdeckung, die bis heute zu seinen bedeutendsten Beiträgen zur theoretischen Physik gehören. Dazu dann aber mehr im nächsten Teil der Serie.
Kommentare (25)