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Drei Bedingungen für das bedingungslose Grundeinkommen
von Stefan Siegert
Ich bin Industriekaufmann und Diplom-Ökonom, habe lange Zeit in der Privatwirtschaft gearbeitet und bin seit einigen Jahren als Entwicklungshelfer tätig, aktuell auf den Philippinen.
Das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) wird seit ca. 10 Jahren immer wieder als neues Gesellschaftsmodell ins Gespräch gebracht. Viele aktuelle oder zukünftige Probleme in der Arbeitswelt (z.B. zunehmende Digitalisierung und Automatisierung bei gleichzeitiger Abnahme des Arbeitskräftebedarfs im traditionellen Sinne) sowie gesellschaftlich relevante Fragestellungen (soziale Ungleichheit oder als ungerecht empfundene, monetäre Wertschätzung unterschiedlicher Arbeit) scheinen sich damit vielversprechend lösen zu lassen. Bedingungslosigkeit auf einer Seite lässt sich allerdings nur schwer ohne neue Bedingungen auf der anderen Seite umsetzen. In diesem Artikel möchte ich ein paar dieser Bedingungen nennen, die zu erfüllen wären, um ein BGE realisieren zu können. In der aktuellen, häufig sehr polarisierten Diskussion, in der es oft anscheinend nur absolute Gegner oder Befürworter eines BGEs gibt, scheinen mir solch rationale Überlegungen mitunter etwas zu kurz zu kommen.
Eine Bedingung für ein BGE, die zumindest recht häufig noch genannt, wenn auch eher selten wirklich durchgerechnet wird, ist die Finanzierbarkeit. Der Finanzierungsbedarf am Beispiel Deutschland ist relativ leicht zu kalkulieren: Wenn 82,5 Mio. Einwohner jeweils 1.500 € BGE monatlich bekommen, kostet das BGE 82,5 Mio. x 1,500 € = 123,75 Mrd. € pro Monat oder 1,485 Billionen € pro Jahr. Dieses Geld müsste aus Steuermitteln aufgebracht werden, eine andere Quelle fällt mir jedenfalls nicht ein,
Der Bundeshaushalt, also alle Einnahmen des Staates auf Bundesebene, belaufen sich aktuell auf ca. 350 Mrd. €, die Einnahmen aller Bundesländer zusammen betrug 2017 368,2 Mrd. € und die aller Kommunen 2015 218 Mrd. €, in der Summe also 936,2 Mrd. €. Wollte man nun all diese Mittel zur Finanzierung eines BGEs einsetzen (eine sehr unrealistische Annahme, denn natürlich gibt jede Gebietskörperschaft auch Geld für andere Dinge aus), wäre selbst dann noch eine Finanzierungslücke von rund 550 Mrd. € pro Jahr zu schließen.
Womit man bei der nächsten Bedingung wäre, nämlich einem radikal veränderten Steuersystem. Verändert insofern, dass selbst bei Beibehaltung aller aktuellen Steuern zusätzlich noch einmal viel mehr Einnahmen generiert werden müssten. In der Tat fallen zwar einige Posten aus dem bisherigen Budget weg (Hartz IV, das von den Kommunen oder der Zuschuss zum Rentensystem, der vom Bund bezahlt wird), aber es ließe sich kaum vermeiden, den Staatshaushalt um 50% zu erhöhen. Dazu könnte man entweder pauschal alle Steuersätze anpassen (Mehrwertsteuer von 19% auf 28,5% usw.) oder man müsste neue Steuern einführen.
Deutschland ist ein reiches Land, da ist sicherlich bei der Einkommens-, Zinsertrags-, Erbschafts- oder Vermögenssteuer noch Luft nach oben. Leider sollte man auch hier die Erwartungen nicht allzu hoch schrauben. Das Vermögen der 500 reichsten Deutschen beträgt insgesamt 692,25 Mrd. €. Selbst im theoretischen Extremfall einer 100%igen Vermögenssteuer, also einer kompletten Enteignung (Auch dies ist wieder nicht sehr realistisch, beispielsweise gehören Dieter Schwarz, dem reichsten Deutschen, die Immobilien, in denen sich die Lidl-Filialen befinden. Möchte man ihn nun mit einer 100%igen Vermögenssteuer belegen, müsste er diese Gebäude verkaufen, allerdings nicht an die Albrecht-Familien, denen Aldi gehört, denn die wären ja gleichzeitig damit beschäftigt, Käufer für ihre eigenen Gewerbeimmobilien zu finden.) wäre ein BGE höchstens 16 Monate lang finanzierbar.
An dieser Stelle kommt man mit klassischen Finanzierungsüberlegungen und Steuern also erst einmal nicht weiter, Man könnte einfach Geld drucken, wie das viele Staaten kurz vor dem Staatsbankrott in der Vergangenheit gerne gemacht haben. Das Problem hierbei war, das damit automatisch immer eine enorme Geldentwertung einherging, die Inflationsraten stiegen überproportional. Für das BGE würde dies bedeuten, dass die Preise steigen würden und damit das BGE wieder zu erhöhen wäre – ein Teufelskreis.
Inflation ist allerdings ein interessantes Stichwort, das einen zwangsläufig zu einer weiteren Bedingung führt: einer Neudefinition von Geld. Geld erfüllt in seiner jetzigen Form verschiedene Funktionen, es dient als Tausch- und Zahlungsmittel, als Wertaufbewahrungsmittel und als Recheneinheit. Eine Gesellschaft, die ihrer Währung vertraut, verlässt sich darauf, dass diese Funktionen erfüllt werden. Das bedeutet z.B., dass man für einen bestimmten Betrag einen Gegenwert in Form von Waren, Dienstleitungen oder auch Arbeitskraft bekommen kann. Wird nun in so großem Maße, wie beim BGE angedacht, Geld ohne Gegenleistung zur Verfügung gestellt, hätte dies einen enormen Einfluss auf die Funktionen Wertaufbewahrungsmittel und Recheneinheit. Die Folgen wären also auch ganz ohne Geld zu drucken inflationäre Tendenzen.
Bisher ist noch kein Ort der Welt bekannt, an dem die dortige Währung nicht exakt diesen, sich auch gegenseitig bedingenden, Geldfunktionen folgt. Um mit dem BGE nicht in die Inflation zu treiben, wäre also ein ganz neues Geld zu erfinden, wie auch immer das aussehen mag.
Fazit: Selbst bei nur diesen drei Themen wird die Komplexität der extremen Auswirkungen auf andere Bereiche bei Einführung eines BGEs sehr deutlich. Es wäre eben nicht damit getan, es „einfach mal auf lokaler Ebene auszuprobieren“, wie es gerne gefordert wird. Im kleineren Rahmen ließe sich vielleicht noch die Finanzierung regeln, ggf. auf Kosten anderer Gebietskörperschaften, und die Auswirkungen auf die nationale oder globale Geldstabilität hielten sich ebenfalls in Grenzen. Würde man dagegen eine gesamte Volks- oder Weltwirtschaft mit einbeziehen, wären die oben erwähnten Konsequenzen unvermeidbar.
Die anfangs erwähnten Missstände des abnehmenden Arbeitskräftebedarfs aufgrund zunehmender Automatisierung usw. sind jedoch vorhanden und fordern Antworten. Es scheint nur sehr schwierig zu sein, solche Probleme durch bedingungslose, finanzielle Zuwendungen zu beheben, da dies an anderen Stellen nur noch viel mehr Fragen aufwirft und unkalkulierbare Risiken zur Folge hätte.
Vielleicht sollte man das BGE mal etwas anders andenken.
Vor einiger Zeit war wieder der kostenlose ÖPNV im Gespräch, der ja zumindest Transportleistung für alle Bürger bedingungslos anbieten würde. Wie wäre es dann noch mit sozialem Wohnungsbau in einer neuen Form, in der jeder eine Wohnung kostenlos gestellt bekommt? Dazu eine Kantine, in der man jederzeit unentgeltlich essen kann, und die Grundversorgung wäre gesichert ohne gleich das ganz große BGE-Rad zu drehen. Das würde ebenfalls viel Geld kosten, aber es käme zielgerichtet der Bevölkerung zugute, die dann, ähnlich wie beim BGE, eben nicht mehr unbedingt jede Arbeit annehmen muss. Außerdem würde dieses Modell nicht zu ganz so großen Verwerfungen auf anderen Ebenen führen.
So etwas ähnliches hat man schon mal versucht, nannte sich Sozialismus. Nun ja. Und das BGE klingt am Ende eben doch spannender und spektakulärer. Aber vielleicht sollte man so eine Alternative zumindest einmal durchrechnen …
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