Der Artikel ist Teil einer Serie zum Buch ”Die Himmelsscheibe von Nebra – Der Schlüssel zu einer untergegangenen Kultur im Herzen Europas”* von Harald Meller und Kai Michel. Die restlichen Artikel der Serie findet man hier.
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Die “Himmelsscheibe von Nebra” gibt ihre Geheimnisse nur zögerlich preis. Das fing schon mit der Suche nach ihrem Fundort an und ging weiter bei der Suche nach der Herkunft des Goldes aus dem sie gemacht wurde. Ihre Echtheit musste sorgfältig geprüft werden. Und dann war da natürlich die enorm wichtige Frage nach der astronomischen Botschaft, die sie verschlüsselt. Schon auf den ersten Blick war klar, dass es mit kalendarischen Daten zu tun haben muss, aber wie komplex das astronomische Wissen der Scheibe wirklich ist, zeigte sich erst später. Und es bleibt die ganz große Frage: Wer hat die Scheibe gebaut?.

Schlicht – aber ist da wirklich keine Mythologie?

Der Archäologie war bisher keine Gesellschaft in Mitteleuropa bekannt, die komplex genug war, um das astronomische Wissen der Himmelsscheibe zu schaffen und vor allem auch zu benötigen. Die Anordnung der Symbole auf der Scheibe erklärt eine komplizierte Regel zur Organisation des Kalenders und sagt ihren Besitzern, wann Schalttage einzuführen sind und wann nicht. Denn nur durch Schalttage kann verhindert werden, dass die Zyklen die durch den Mond einerseits und die Sonne andererseits vorgegeben werden, nicht komplett auseinander laufen. Aber wozu haben die Menschen vor fast 4000 Jahren so ein umfassendes Wissen über einen genauen Kalender benötigt? Oder war der Kalender vielleicht gar nicht so wichtig?

Das Problem an der Sache ist das, das man bei der Erforschung der Geschichte immer hat: Es geht um die Vergangenheit und da waren wir nicht dabei! In dem Fall ist es noch schlimmer, denn aus der fraglichen Zeit und Religion haben wir auch keine schriftlichen Aufzeichnungen. Wir wissen nicht, was die Menschen damals gedacht oder geglaubt haben. Wir haben nur die Artefakte, die wir aus der Erde gegraben haben und wenn wir die interpretieren wollen, müssen wir darauf achten, das nicht im Kontext der Gegenwart zu tun.

Wenn wir die Himmelsscheibe von Nebra heute betrachten, dann erscheint sie seltsam nüchtern. Sie erscheint in ihrer klaren Darstellung fast schon modern, wie ein Verkehrsschild oder Piktogramm. Da sind keine Verzierungen und keine mythologischen Ausschmückungen. Es gibt nur klare, geometrische Symbole und keine Bilder von Göttern; keine Tiere, Menschen, und so weiter.

Aber: Ist das wirklich so? Ist die Scheibe absichtlich nüchtern und ohne Beiwerk gehalten? Oder erscheint uns das nur so, weil wir die Scheibe mit unseren modernen Augen betrachten? Um das zu klären beschäftigen sich Harald Meller und Kai Michel, die Autoren des Buchs ”Die Himmelsscheibe von Nebra – Der Schlüssel zu einer untergegangenen Kultur im Herzen Europas”*, nun mit der Mythologie und dem, was sie die “Entzauberung der Welt” nennen.

Denn genau das hat die moderne Wissenschaft ja in einem gewissen Sinne getan. Sie erklärt die Welt in der wir leben auf eine rationale Art und Weise, ohne Rückgriff auf Mythologie, Religion und übernatürliche Vorgänge. Das wurde ihr immer wieder mal vorgeworfen; allerdings zu Unrecht. Aber auch wenn es uns heute vollkommen normal erscheint, das naturwissenschaftliche Wissen über die Welt als getrennt von Mystik und Glaube zu betrachten, war das nicht immer so.

Blitze macht der Gott! (Bild: Hans Thoma, gemeinfrei)

Was aber auf jeden Fall immer schon war, war der Drang der Menschen, die Welt verstehen zu wollen. Das ist heute nicht anders als vor 4000 Jahren. Nur dass man damals keine Wissenschaft hatte, um das zu bewerkstelligen. Also mussten die Menschen andere Wege finden, um die Welt für sie greifbar zu machen. Wenn etwas in der Welt passiert, dann musste etwas dafür verantwortlich sein. Ein Mensch, ein Tier, oder irgendein anderer Akteur. Dieser Drang, in den Dingen das Wirken von Akteuren zu erkennen, ist tief in unserer Psyche verwurzelt und es ist ja gerade die große Leistung der Wissenschaft, diesem instinktiven Drang durch ihre klare Methodik entgegen zu wirken. Ohne Wissenschaft ist es dagegen nur sinnvoll, wenn man bei Abwesenheit von erkennbaren Akteuren nach übernatürlichen Mächten sucht. Wenn etwas passiert, bei dem kein Verursacher zu finden ist bzw. etwas, das so beeindruckend ist, dass man es menschlichen Akteuren nicht zutraut (Naturkatastrophen, etc), dann macht man Dämonen oder Götter dafür verantwortlich!

Das mögen wir heute für Aberglaube halten und wir lehnen (zurecht) Ideologien wie den Kreationismus ab, bei denen übernatürliche Wesenheiten als “wissenschaftliche” Erklärung dienen sollen. Aber früher war das nur natürlich und sinnvoll. Die Astrologie etwa, die heute nur noch reiner Aberglaube ist, hatte damals eine wichtige Funktion. Wenn wir heute über die Sterne der Himmelsscheibe sprechen, dann haben wir alle in unseren Köpfen das Bild, das die Wissenschaft in den letzten Jahrhunderten über diese Himmelskörper entwickelt hat. Wir wissen, dass Sterne weit entfernte Objekte sind; riesengroß und heiß und hell leuchtende Kugeln aus Gas. Und selbst wer kein Experte für Astronomie ist, denkt bei Sternen nicht an Götter und Dämonen, sondern an reale, physikalische, unbelebte Objekte im Universum.

Das war vor 4000 Jahren undenkbar. Kein Mensch wäre damals auf die Idee gekommen, bei Sternen an das zu denken, was heute mit dem Wort “Stern” assoziert wird. Das war damals unmöglich; es gab schlicht und einfach keine Alternative zu einer irgendwie gearteten mythologischen Interpretation des Himmels!

Der Himmel sah früher anders aus als heute… (Bild: gemeinfrei)

Die Himmelsscheibe von Nebra ist zweifellos ein Objekt, das für die Menschen damals von großer Bedeutung war. Sie ist ebenso zweifellos ein Objekt, das mit Sonne, Mond und Sternenhimmel zu tun hat. Aber wenn wir herausfinden wollen, WAS sie für die Menschen bedeutet hat, dann dürfen wir uns nicht von der schlichten Darstellung täuschen lassen. Wir erkennen heute dort den Sternhaufen der Plejaden und sehen, dass seine Position am Himmel zur Einteilung des landwirtschaftlichen Jahres verwendet werden kann. Wir machen uns Gedanken über Schalttage, über Mond- und Sonnenkalender und wie man damals die Zeit organisiert hat. Aber wer DAMALS auf die Scheibe und die dort abgebildeten Himmelsobjekte geblickt hat, hat dort vermutlich etwas ganz anderes gesehen. Da waren Gottheiten, Dämonen, übernatürliche Wesen – das musste man nicht explizit abbilden; das war das, was sowieso automatisch in allen Köpfen war. Die Bewegung der Plejaden am Himmel; die Bewegung von Sonne und Mond war viel mehr als das, was wir heute astronomisch daraus ablesen. Es war Wissen über die Wesenheiten, die die Vorgänge in der Welt bestimmen!

Wenn man verstehen will, was die Menschen damals in der Himmelsscheibe gesehen haben, dann muss man auch berücksichtigen, was die dort abgebildeten “Objekte” (die nur für uns und unsere heutige Weltsicht “Objekte” sind) für eine Bedeutung hatten. Das ist schwer, weil es eben keine schriftlichen Quellen über den Glauben der mitteleuropäischen Volker der Bronzezeit gibt. Aber man kann sich an anderen Zivilisationen orientieren und genau das tun Harald Meller und Kai Michel auch in ihrem Buch und genau das tun wir im nächsten Artikel der Serie!

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Kommentare (1)

  1. #1 Suvada
    Erdene
    11. März 2019

    Wir sind nur Schatten für Univesum