Das ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts. Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video.
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Sternengeschichten Folge 349: ‘Oumuamua – Der interstellare Asteroid
Am 19. Oktober 2017 hat der Astronom Robert Weryk von der Universität Hawaii einen Komet entdeckt. Das ist an sich nichts besonderes; wir entdecken hunderte neue Kleinkörper im Sonnensystem in jedem Jahr. Die Entdeckung wurde mit dem Pan-STARRS Teleskop gemacht. Das steht für “Panoramic Survey Telescope And Rapid Response System” und sein Zweck ist unter anderem genau die Suche nach Asteroiden und Kometen. Weil das neu entdeckte Objekt sich auf einer Umlaufbahn um die Sonne zu befinden schien die typisch für Kometen ist, erhielt es auch den Namen der für Kometen vorgesehen ist: C/2017 U1 (PANSTARRS). “2017 U1” steht für den Zeitraum der Entdeckung, die zweite Oktoberhälfte 2017; “PANSTARRS” ist die “Person” bzw. in dem Fall das Programm mit dem er entdeckt wurde und “C” bezeichnet nicht-periodische Kometen mit einer Umlaufdauer von mehr als 200 Jahren.
Als man das Ding aber dann weiter beobachtete, stellte man fest, dass da kein Schweif ist und auch keine Staubwolke, die das Objekt umgibt. Sowas würde man bei einem echten Kometen aber unbedingt erwarten. Im Gegensatz zu Asteroiden kommen sie aus den äußeren Bereichen des Sonnensystems und enthalten deswegen auch sehr viel gefrorenes Material. Das taut bei der Annäherung an die Sonne auf, wird gasförmig und reißt jede Menge Staub von der Oberfläche mit sich. Der bildet eine Staubhülle und den Kometenschweif. In dem Fall schien es sich dann aber doch um einen Asteroid zu handeln, der kein gefrorenes flüchtiges Material enthält. Also gab man dem Objekt nun eine Bezeichnung wie sie für Asteroiden vorgesehen ist: 2017 U1, und setzte noch ein “A” vor den Namen um zu markieren, dass man es zuerst für einen Kometen gehalten hatte.
So richtig kompliziert wurde es aber erst, als man sich die Bahn des Asteroiden im Laufe der Zeit genauer ansehen konnte. Bei seiner Entdeckung war er 33 Millionen Kilometer von der Erde entfernt; 85 mal weiter als der Mond. Seine größte Annäherung an die Erde hatte der Asteroid da schon hinter sich; die fand fünf Tage vorher bei einem Abstand von 24 Millionen Kilometer statt. Aber das ist nicht das, was so bemerkenswert war. Normalerweise bewegen sich Asteroiden in annähernd der gleichen Ebene wie die Planeten. Manche von ihnen haben Bahnen die ein bisschen dazu geneigt sind. Aber dieses Objekt kam nahezu senkrecht auf die Ebene der Planeten zu! Eine Berechnung der Bahn zeigte, dass es am 9. September 2017 der Sonne am nächsten gekommen war und dabei eine Geschwindigkeit von 87,3 Kilometer pro Sekunde hatte! Das ist enorm schnell für einen Asteroid. Das ist sogar ZU schnell für einen Asteroid. Das ist so schnell, dass die Gravitationskraft der Sonne nicht ausreicht, um dieses Objekt dauerhaft in eine Umlaufbahn zu zwingen.
Und tatsächlich hat sich die Umlaufbahn bei näherer Betrachtung auch nicht als Umlaufbahn erwiesen. Die Planeten, die Asteroiden und die Kometen bewegen sich ja alle in mehr oder weniger langgestreckten Ellipsen um die Sonne. Die Form dieser Ellipsen wird durch eine Zahl beschrieben die man “Exzentrizität” nennt. Ein Kreis hat eine Exzentrizität von 0; die Bahn der Erde eine von 0,017. Je größer die Exzentrizität, desto stärker weicht die Bahn von der Kreisform ab und desto langgestreckter ist die Ellipse. Die Erde hat eine fast kreisförmige Bahn, der Planet mit der größten Exzentrizität ist Merkur mit 0,2. Bei Asteroiden und Kometen kann die Exzentrizität durchaus auch viel größere Werte erreichen. Größer als 1 kann sie aber nie werden, denn dann ist die Bahn keine elliptische Umlaufbahn mehr. Bei dem seltsamen Asteroid betrug der Wert 1,2 – was bedeutet das er keiner elliptischen Bahn UM die Sonne folgt. Sondern einer sogenannten hyperbolischen Bahn, die zwar auch um die Sonne herum führt, aber nur ein einziges Mal.
Oder anders gesagt: Dieser Asteroid kam von außerhalb des Sonnensystems, hat die Sonne umrundet und als wir ihn entdeckten war er gerade wieder auf dem Weg aus dem Sonnensystem hinaus. Es war ein “interstellarer Asteroid” und es war der erste den man entdeckt hatte. Es war aber schon zuvor ziemlich klar, dass es diese Objekte geben muss. Ich habe ja in den Sternengeschichten schon oft von den chaotischen Prozessen erzählt die bei der Entstehung von Planetensystemen ablaufen. Zum Beispiel in Folge 154, als es um die vagabundierenden Planeten ging, also Planeten die sich ohne an einen Stern gebunden zu sein durch die Milchstraße bewegen. Sie tun das deswegen, weil sie kurz nach ihrer Entstehung aus ihrem Planetensystem geworfen worden sind. Sie sind in der hektischen Frühphase eines Planetensystems einem anderen Himmelskörper zu nahe gekommen und durch die gravitative Wechselwirkung so stark beschleunigt worden um im interstellaren Raum zu landen. Und was einem ausgewachsenen Planeten passieren kann, kann den viel kleineren Kometen und Asteroiden natürlich ebenfalls passieren. Man kann abschätzen, wie oft so etwas passiert und wie viele solcher Asteroiden und Kometen sich zwischen den Sternen herumtreiben müssen: Knapp 200 Quadrillionen; also eine Zahl mit 26 Nullen!
Man kann damit außerdem abschätzen, wie oft so ein Ding im Durchschnitt auf seinem Weg durchs All auf das Sonnensystem trifft und wie viele davon wir mit den Teleskopen die wir derzeit haben entdecken können. Dann kommt man auf einen Wert von circa einem Objekt alle 5 Jahre, wenn man ein Teleskop von der Stärke des Pan-STARRS-Teleskop als Grundlage nimmt. Und tatsächlich war dieses Teleskop ziemlich genau seit 5 Jahren in Betrieb bevor es 2017 den interstellaren Asteroiden entdeckt hat. In Zukunft werden wir also weitere solche Objekte finden können und viel mehr, da die Teleskope immer besser werden.
Wir wissen also, wo solche Objekte prinzipiell herkommen, wo dieser eine Asteroid im Detail herkommt ist aber unbekannt. Rechnet man seine Flugbahn zurück, dann ist dort kein passender Stern aus dessen Planetensystem er hinaus geschleudert sein könnte. Aber wir wissen nicht, wie oft seine Bahn unterwegs durch irgendwelche anderen nahen Begegnungen mit Sternen beeinflusst worden ist. Wir wissen leider auch nicht, wie das Objekt eigentlich genau aussieht. Wir haben es ja erst entdeckt, als es schon auf dem Rückweg in den interstellaren Raum war und seit seiner Entdeckung hat es sich extrem schnell immer weiter entfernt. Es war also nicht viel Zeit für detaillierte Beobachtungen. Wir wissen auf jeden Fall, dass es starke Helligkeitsschwankungen zeigt. Das bedeutet normalerweise, dass die Form des Asteroid stark von einer Kugelform abweichen muss. Denn auch ein Asteroid rotiert ja um seine Achse und eine Kugel zeigt dabei immer eine gleich große Oberfläche in Richtung Erde und reflektiert immer eine gleich große Menge an Sonnenlicht zu uns. Schwankt die Helligkeit stark, muss die Form anders sein; zum Beispiel sehr langgestreckt. Dann sehen wir mal die lange Seite des Asteroids und mal die schmale Seite und je nachdem mehr oder weniger Licht. Wir wissen aber nicht wie genau und um welche Achse der Asteroid rotiert und auch nicht aus welchem Gestein er besteht und wie viel Licht er reflektiert und absorbiert. Je nachdem kann er extrem lang und schmal sein – 800 Meter lang und nur 80 Meter breit und dick – oder aber auch kleiner und nicht ganz so schmal; also 360 oder auch nur 160 Meter lang und zwischen 180 und 80 Meter breit.
Wie auch immer der Asteroid im Detail aussieht – im Juni 2018 stellte man fest das es vielleicht doch kein Asteroid ist. Die beobachtete Bahn wies nun Hinweise auf sogenannte “nichtgravitative Kräfte” auf. Das klingt dramatisch, heißt aber nur, dass neben der Gravitationskraft der Sonne eine sehr kleine zusätzliche Kraft seine Bahn verändert. Das kann zum Beispiel der Strahlungsdruck der Sonne sein, oder die Auswirkungen asymmetrischer Erwärmung und Abkühlung wie ich in Folge 112 der Sternengeschichten erklärt habe. In dem Fall geht man davon aus, dass das Objekt ein wenig Masse verloren hat; das also doch Staub von seiner Oberfläche ins All entkommen ist, so wie bei einem Kometen und die dadurch verursachte Änderung der Masse verursacht natürlich auch eine Änderung in der Flugbahn.
Das Objekt trug nun also die Bezeichnung für einen Asteroid UND einen Kometen. Aber auch das kennen wir aus dem Sonnensystem; hier gibt es eine sogenannte “aktive Asteroiden” die Eigenschaften von Asteroid und Komet zeigen. Aber weil es sich bei dem interstellaren Besucher trotz allem um eine ganz neue Klasse von Himmelskörper handelt, hat man sich entschieden dem Objekt einen komplett neuen Namen zugeben. Er bekommt den Buchstaben “I” vor seine Namen gestellt, für “interstellares Objekt” und dazu noch die Zahl “1” weil es das erste dieser Objekte ist und man noch mehr zu finden hofft. Das Ding heißt nun also offiziell “1I” oder “1I/2017 U1”. Oder “1I/’Oumuamua” – den diesen letzten Namen hat das Objekt am 6. November 2017 als offiziellen Eigennamen verliehen bekommen. Er stammt aus dem Hawaiischen und bedeutet so viel wie “zuerst erreichen” – weil er uns zuerst erreicht hat, vermutlich.
Wir jedenfalls werden diesen interstellaren Himmelskörper nicht erreichen. Er ist einfach zu schnell als das man irgendeine Raumsonde auf sinnvolle Art und Weise zu ihm schicken kann um ihn aus der Nähe zu erforschen. Um so viel Geschwindigkeit aufzuholen bräuchten wir gigantische Raketen die wir nicht haben. Wir können nur hoffen, den nächsten Besucher aus dem interstellaren Raum früher zu entdecken. Am besten schon, wenn er noch auf dem Hinweg ist und wir genug Zeit haben, eine Mission zu planen. Denn das sollten wir auf jeden Fall tun. Eine Raumsonde zu einem anderen Stern zu schicken um dort vor Ort zu untersuchen wie es anderswo aussieht wird noch sehr lange unmöglich sein. Wenn dann also ein Teil so eines fremden Systems so nett ist, direkt bei uns vorbei zu kommen, sollten wir uns das nicht entgehen lassen! Durch die Erforschung der interstellaren Himmelskörper könnten wir Dinge lernen, die anders nicht zu lernen sind.
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