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Sternengeschichten Folge 419: Der Vredefort-Krater
Vredefort ist eine Stadt in Südafrika. Obwohl es vielleicht übertrieben ist, dem Ort die Bezeichnung “Stadt” zu widmen. Dort wohnen nur wenig mehr als 1000 Leute. Aber trotzdem ist Vredefort, in der Provinz “Freistaat”, circa 126 Kilometer südlich von Johannesburg gelegen, berühmt. Nicht weil dort irgendetwas für den Rest der Welt bedeutsames vorgefallen ist. Die Stadt wurde erst 1876 gegründet. Sie nimmt eine Fläche von gerade mal 17 Quadratkilometer ein. Das, weswegen der Name “Vredefort” zumindest in bestimmten Bereichen der Wissenschaft überall bekannt ist, ist mehr 70.000 Quadratkilometer groß und entstand vor mehr als 2 Milliarden Jahren.
Die geologische Ära die damals herrschte wird “Paläoproterozoikum” genannt. Sie beginnt ungefähr 2,5 Milliarden Jahre vor der Gegenwart und endet vor 1,6 Milliarden Jahren. Die Welt war damals noch völlig anders als heute. Hätten wir eine Zeitmaschine und würden wir ins Paläoproterozoikum zurückreisen, wären wir ziemlich schnell tot. In der Atmosphäre der Erde gab es damals noch so gut wie keinen Sauerstoff. Die Kontinente waren leblose Wüsten; das einzige damals vorhandene Leben befand sich im Wasser und bestand aus einzelligen Mikroben. Aber das Paläoproterozoikum war auch genau die Zeitspanne in der sich die Erde zu dem Planeten zu wandeln begann, den wir heute kennen. Die junge Erde war noch unruhig und tektonisch sehr aktiv. Kontinente bildeten sich und zerfielen wieder; schneller als sie das heute tun (aber natürlich noch immer sehr langsam, verglichen mit menschlichen Zeitskalen). Dadurch veränderten sich Meeresströmungen; das ständige Hin-und-Her bei den Kontinenten führte dazu das immer wieder Kohlenstoff im Gestein gebunden bzw. in die Atmosphäre freigesetzt wurde. Zusammen mit den restlichen tektonischen Aktivitäten führte all das zu Klimaschwankungen und die verstärkten die Erosion des Gesteins. Oder anders gesagt: Es gelangte immer mehr Zeug vom Land in die Meere und dort warteten winzige Lebewesen, die das als Nahrung verwenden konnten. Es war eine ganz besondere Art von Bakterium, die quasi als Abfallprodukt ihres Stoffwechsels das Gas Sauerstoff freisetzten. Langsam aber stetig reicherte sich der Sauerstoff in der Atmosphäre an. Im Paläoproterozoikum war dadurch immerhin schon mehr als 1 Prozent davon in der Atmosphäre konzentriert. Das ist wenig im Vergleich zu den fast 20 Prozent die wir heute haben. Aber für die damaligen Lebewesen war das mehr als genug. Das frühe Leben auf der Erde kam nämlich wunderbar ohne Sauerstoff aus; hatte sich auch ohne Sauerstoff entwickelt – es war ja auch vorher keiner da gewesen. Das nun aber von den Bakterien produzierte hoch reaktive Gas war giftig für so gut wie alle Lebewesen und je weiter der Sauerstoffgehalt stieg, desto mehr davon starben aus.
Es war das größte Massensterben der Erdgeschichte, aber zum Glück ein Massensterben das recht langsam verlief. Einige Lebensformen passten sich an die neuen Bedingungen an und von ihnen stammen fast alle Lebewesen ab die heute auf der Erde leben und für die Sauerstoff nicht giftig sondern essentiell zum Überleben ist. Der Sauerstoff der in die Atmosphäre gelangte konnte sich dort auch zu Ozon verbinden und die Ozonschicht bilden. Die hielt nun die für Lebewesen gefährliche UV-Strahlung der Sonne von der Erdoberfläche ab und das erste Mal in der Erdgeschichte war es für das Leben nicht mehr riskant die Ozeane zu verlassen. Also breiteten sich die Lebewesen auf die Kontinente aus – wo sie seitdem nicht mehr verschwunden sind.
In diese – zumindest aus heutiger Sicht und aus Sicht des irdischen Lebens das mit Sauerstoff kein Problem hat – optimistische Zeit platzt das, um das es in dieser Folge geht. Nämlich das Ding, das für den Ruhm der Stadt Vredefort verantwortlich ist. Dass diese südafrikanische Region aus geologischer Sicht besonders ist, wusste man schon länger. Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts sah man, dass sich dort eine gewaltige Struktur befindet: Seltsame kreisförmige Hügelketten die einen Kreis von mehr als 70 Kilometer Durchmesser beschreiben in deren Mitte sich die Landschaft aufwölbt; seltsame Gesteine die man so in dieser Gegend nicht findet. Geologische Schichten die nicht so verlaufen, wie sie normalerweise verlaufen sollten, und so weiter. Kurz gesagt: In dieser Ecke der Welt musste irgendein sehr dramatisches Ereignis passiert sein, bei dem in kurzer Zeit sehr viel Energie freigesetzt wurde und die ganze Gegend ordentlich durchgerüttelt hat. Aber was?
Noch in wissenschaftlichen Arbeiten aus den 1980er und 1990er Jahren wird die “Vredefort-Struktur” als “Kryptoexplosionsstruktur” bezeichnet. “Krypto” heißt nichts anderes als “versteckt” oder “geheim” und bezieht sich nicht auf Vredefort selbst. Diese Dutzende Kilometer große Struktur konnte man kaum übersehen. “Versteckt” war die Ursache dafür und im Wesentlichen gab es zwei Möglichkeiten: Ein gewaltiges tektonisches Ereignis wie einen Vulkanausbruch. Oder ein Objekt aus dem All ist genau dort auf die Erde gefallen.
Heute sind Asteroideneinschläge für uns nichts Außergewöhnliches. In Science-Fiction-Filmen und Büchern passiert so etwas ständig; wir lesen auch immer wieder von wissenschaftlicher Forschung die sich mit Einschlagskratern beschäftigt und sehen Bilder der unzähligen Krater auf Mond, Mars und anderen Himmelskörpern des Sonnensystems. Aber man darf nicht vergessen, dass man tatsächlich lange Zeit davon überzeugt war, dass große Einschläge auf der Erde so gut wie nicht vorkommen. Bei der Geburt des Planeten, in der Frühzeit des Sonnensystems – da war so etwas möglich. Aber heute nicht mehr; nicht seit sich alles wieder beruhigt und der Planet sich gebildet hat. Die paar Krater die man zweifelsfrei auf der Erde sehen konnte mussten Vulkankrater sein oder bei extrem seltenen Ereignissen entstanden.
Die Meinung änderte sich erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als geologische Untersuchungen zum Beispiel im Nördlinger Ries in Süddeutschland zeigten, dass das Gestein dort so gewaltigen Kräften ausgesetzt war, die nur beim Einschlag eines Objekts aus dem All entstehen konnten. Dann fand man in den frühen 1990er Jahren den Chixulub-Krater in Mexiko der vor 65 Millionen Jahren entstand und konnte zeigen, dass die Folgen dieser Kollision ein Massensterben verursacht haben bei dem unter anderem die meisten Dinosaurier verschwunden sind. Man akzeptierte, dass Asteroideneinschläge auf der Erde während ihrer ganzen Geschichte vorkommen und vorgekommen sind und mit diesem neuen Blick auf die Dinge fand man auch in Vredefort eindeutige Hinweise auf einen außerirdischen Ursprung.
Aus der “Kryptoexplosionsstruktur” wurde der “Vredefort-Einschlagskrater”. Im Gestein der Umgebung fand man “Strahlenkegel”, also Bruchflächen mit einer ganz speziellen Form die nur bei den enorm hohen Drücken entstehen die ein Asteroideneinschlag zustande bringt. Im Jahr 2014 wurde eine spezielle Form von Gestein entdeckt, dass sich bildet wenn Magma aus dem Erdinneren langsam abkühlt. Eine Datierung zeigte ein Alter von 2,02 Milliarden Jahren – genau so alt wie der Vredefort-Krater selbst. Das Gestein muss sich also gebildet haben, als nach dem Einschlag dort ein regelrechter Lavasee gebrodelt hat.
Heute können wir halbwegs rekonstruieren was damals passiert ist. Ein Brocken aus dem All mit einem Durchmesser von 10 bis 15 Kilometer muss auf die Erde geprallt sein. Das sagt sich so einfach, aber was bei so einem Ereignis tatsächlich passiert ist für uns eigentlich unvorstellbar. Quasi in Sekunden wurde ein Krater mit mindestens 100 Kilometer Durchmesser und 40 Kilometer Tiefe ausgehoben. Ein Stück der Erde, 100 Kilometer weit und 40 Kilometer tief wurde aus dem Planeten geschlagen, oder besser gesagt: Schlagartig pulverisiert! In das entstandene Loch könnte man mehr als vier Mount Everests übereinanderstapeln! Und wenn man einen Deckel drauf legen wollte, müsste der mehr als doppelt so groß wie die Insel Mallorca sein! Dieses gewaltige Loch blieb aber nicht lange bestehen sondern verformte sich rasch. In Folge 220 habe ich ja schon ausführlich über die Entstehung von Einschlagskrater gesprochen. Der ursprüngliche Krater stürzte weiter in sich zusammen und wurde immer größer. Das durch die enormen Kräfte verformbar gemachte Gestein federte quasi zurück, ein bisschen so wie die Wasseroberfläche nachdem man einen Stein hinein geworfen hat. In der Mitte bildete sich ein Zentralberg der von ringförmigen Hügelketten umgeben ist. Als alles vorbei war, muss der endgültige Krater fast 300 Kilometer durchmessen haben, mit einer Fläche so groß wie Bayern!
Wenn damals an Land irgendwelche nennenswerten Lebewesen gelebt hätten, hätten sie dieses Ereignis nur schwer überstanden. Es war einer der gewaltigsten Asteroideneinschläge auf der Erde von denen wir wissen. Selbst in Grönland und Russland hat man noch Material gefunden das damals in Südafrika in die Luft geschleudert worden ist. Aber zum Glück war das Leben damals winzig und vor allem im Ozean. Und hat dort weiter Sauerstoff produziert. Die Erde hat diesen Treffer ebenfalls weggesteckt und im Laufe der Zeit haben Erosion und neue geologische Ablagerungen den Krater abgeschliffen und verdeckt. Heute kann man ihn nur noch aus der Luft erkennen oder wenn man vor Ort mit geologischen Kenntnissen und genauen Blick spazieren geht.
Wir haben Glück, dass wir den Vredefort-Krater überhaupt untersuchen können. Viele kleinere Krater die sich in der Vergangenheit der Erde gebildet haben sind durch die Erosion komplett verschwunden. Und viele ältere Krater als Vredefort ebenfalls obwohl in der noch tieferen Vergangenheit der Erde vermutlich noch größere Brocken auf unseren Planeten gefallen sind. Derzeit bleibt Vredefort aber noch an der Spitze, zumindest was die Größe angeht. Er ist der größte bekannte Einschlagskrater der Erde und immerhin noch der zweitälteste. Erst im Januar 2020 hat man in Westaustralien die fast nicht mehr erkennbaren Überreste eines Asteroideneinschlags gefunden, der vor 2,2 Milliarden Jahren stattgefunden haben muss. Im Gegensatz zu Vredefort ist dort aber wirklich nichts mehr zu sehen. Man hat ihn nur anhand von Gesteinsproben identifizieren können; aus der Luft oder auf Satellitenbildern sieht man gar nichts. Im Gegensatz zu Vredefort der trotz seines Alters von oben betrachtet immer noch recht beeindruckend ist. Und uns eindrucksvoll daran erinnert, dass wir in einem dynamischen Sonnensystem leben wo ab und zu sehr große Steine vom Himmel fallen können.
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