Via E-Mail erhielt ich neulich eine interessante Frage von einem Blogleser – wenn Solarstrom und Windenergie so viel besser sind als Strom aus Kohle- oder Atomkraftwerken, warum muss der Staat sie dann so stark subventionieren?
Der Grund dafür liegt in den versteckten Kosten der Stromherstellung aus Kohle oder Uran, die in der Wirtschaftswissenschaft auch als „externe Effekte“ oder „Externalitäten“ bezeichnet werden. Extern deshalb, weil weder der Hersteller noch der Konsument eines Gutes (in diesem Fall der Energie) alle tatsächlichen Kosten für Herstellung und Verbrauch tragen müssen. Ein Teil dieser Kosten wird statt dessen von mehr oder weniger unbeteiligten Dritten – eben extern – übernommen.
Wie kann man sich das vorstellen? Denken wir einfach mal an ein „schädliches“ Produkt – beispielsweise an Alkohol. Wer zuviel davon trinkt, steigt hinterher vielleicht angeheitert ins Auto und verursacht einen Unfall beim Ausparken oder kommt betrunken nach Hause und verprügelt seine Kinder. In beiden Fällen entsteht ein Schaden – im ersten Fall ein eher materieller im zweiten dagegen ein immaterieller. Die Kosten des Auffahrunfalls können wir leicht ermitteln, denn es handelt sich um die Summe von Reparaturkosten, Gerichtskosten, Einsatzkosten der Polizei etc. – eben einfach die Summe aller Ausgaben, die aufgrund des Unfalls getätigt werden müssen. Die Seele eines geschlagenen Kindes hat natürlich keinen Preis, dennoch entstehen durch die Mißhandlung im weitesten Sinne auch „Kosten“, denn vielleicht benötigt das Kind ja psychiatrische Hilfe oder aber versagt aufgrund der seelischen Belastung in der Schule und kann daher später einmal nicht für sich selbst Sorge tragen.
Im Grunde müssten all diese Kosten anteilig im Preis einer Flasche Bier enthalten sein – sie sind es aber nicht, denn sonst wäre Bier sehr viel teurer. Statt dessen werden sie von der Gesellschaft als solcher übernommen – ähnlich dem Prinzip der Solidargemeinschaft einer Versicherung. Wir alle zahlen die externen Kosten für Bier in Form eines höheren Unfallrisikos, in Form von Verkehrstoten und kaputten Ehen und Familien. Sowohl der Hersteller als auch der Konsument müssen im Moment des Verkaufs bzw. des Konsums nicht dafür aufkommen – auch wenn den Konsumenten zumindest in einigen Fällen die negativen Folgen seines Tuns selbst auch noch in Mitleidenschaft ziehen können.
Solche „Externalitäten“ gibt es bei vielen Produkten. Im Preis von Zigaretten ist keine Abgabe für das Leid von kranken und sterbenden Passivrauchern und ihren Angehörigen enthalten. Der Preis von Stich- oder Schusswaffen beinhaltet keine Abgabe für die Schäden, die mit diesen Produkten angerichtet werden. Auch im Preis von Schokolade und Bonbons findet sich keine Summe, die für die Kosten von gesellschaftlicher Gewichtszunahme und sinkender Lebenserwartung durch falsche Ernährung kompensieren würde. Bei näherer Betrachtung stellt man fest, dass sehr viele Produkte eigentlich viel billiger sind als sie sein dürften: Alkohol, Zigaretten, Waffen, Süßigkeiten, Kaffee, Urlaubsreisen in Länder mit Entführungsgefahr…. In letzter Konsequenz gehören hierzu auch im Grunde „unverdächtige“ Produkte wie die Dreierpackung T-Shirts für 3,99 EUR, für deren Herstellung irgendwo in Asien Kinder wie Sklaven gehalten werden.
Alle diese Produkte kosten im Grunde genommen viel zu wenig. Die schädlichen Auswirkungen, die bei Herstellung und Konsum entfaltet werden, sind im Preis nicht enthalten und werden nicht vollständig vom Hersteller oder Konsumenten übernommen. Einen Teil der Kosten zahlen wir stattdessen alle solidarisch, auch wenn der Staat (zumindest bei einigen Produkten) durch eine erhöhte Abgabenlast für etwas Ausgleich sorgen kann. Diese erhöhte Abgabenlast trifft über die Tabaksteuer beispielsweise Raucher und über die Ökosteuer Vielfahrer. Dennoch werden über die zusätzlichen Abgaben die negativen externen Effekte kaum wirklich ausgeglichen, da die Gelder ja auch nicht entsprechend umgelegt werden können (oder sollen).
Die über die Ökosteuer eingenommenen Euros fließen beispielsweise hauptsächlich in die Rentenkasse und nicht in die Wiederaufforstung – und ein hypothetischer Zoll auf in Asien hergestellte Billigprodukte würde den T-Shirt-Preis zwar um ein paar Cent anheben – diese würden ja aber nicht in die Verbesserung der Lebensumstände dortiger Kinderarbeiter fließen. Auch Raucher – obwohl sie das selbst gerne anders sehen – zahlen über die Tabaksteuer nicht den vollen Preis für die externen Effekte ihrer Sucht, da sie zwar insgesamt eigene medizinische Kosten kompensieren, nicht aber für das erhöhte Krebsrisiko von Dritten aufkommen – und schon gar nicht für den furchtbaren Tod, den eben leider auch viele Passivraucher erleiden müssen.
Um diese düsteren Gedankengänge einmal kurz zu unterbrechen – es gibt natürlich auch positive externe Effekte. Wer beispielsweise ein Buch kauft, erwirbt ja im Grunde nicht nur bunt bedrucktes Papier, sondern auch das Wissen und das Know-How, das vielleicht zwischen den Buchdeckeln steckt. Ein gutes Buch kann zur geistigen Bereicherung beitragen oder aber auch zu mehr Erfolg in Schule oder Beruf. Die sich hieraus ergebenden positiven Effekte für die Gesellschaft sind ebenfalls nicht im Buchpreis enthalten – Bücher würden sonst sehr viel weniger kosten. Da aber zufriedene Arbeitgeber oder Schullehrer kein Geld an den Verlag überweisen, findet auch in diesem Fall eine Kompensation der externen Effekte nicht statt.
Produkte mit positiven „Nebeneffekten“ gibt es übrigens auch einige: Bücher, Bildungsreisen, Theaterkarten, Fahrkarten für den öffentlichen Personennahverkehr, berufsbegleitende Fernstudienprogramme…. Und – fällt Ihnen etwas auf? Viele dieser Produkte werden durch den Staat auf die eine oder andere Art und Weise subventioniert, beispielsweise durch einen verminderten Mehrwertsteuersatz oder die Möglichkeit, entstandene Kosten von der Steuer abzusetzen. In dieser Subventionierung drückt sich das gesellschaftliche Interesse an einem erhöhten Konsum dieser Produkte aus.
Und damit schlagen wir wieder den Bogen zurück zur Eingangsfrage nach den unterschiedlichen Preisen von Atom-, Kohle- und Solarstrom. Beim Kohlestrom ergeben sich hohe externe Kosten vor allem durch die Zerstörung der Natur beim Kohleabbau sowie durch die Veränderungen des Klimas aufgrund des freigesetzten CO2 (und, wie vor einigen Tagen im Saarland zu beobachten war, auch durch kleinere Erdbeben). Beim Atomstrom sind die externen Kosten stärker verborgen und drücken sich eher in Risiken aus, beispielsweise dem Risiko eines atomaren Unfalls oder eines Terroranschlags auf ein KKW. Auch diese Kosten sind im Strompreis gar nicht oder nur anteilig enthalten, weshalb der Strom aus solchen Kraftwerken eigentlich viel günstiger ist, als er sein dürfte. Bei Solarstrom oder Windenergie sieht das natürlich anders aus – hier entstehen keine negativen, im Grunde aber auch keine positiven Effekte. Der Preis deckt sich in viel stärkerem Maße mit den echten Kosten – und liegt damit leider über dem Preis für Kohle- oder Atomstrom.
Da es aus gesellschaftlicher Sicht aber wünschenswert ist, dass anteilig mehr Energie aus regenerativen Quellen konsumiert wird, und sich die durch die Gesellschaft getragenen externen Kosten somit reduzieren, wird regenerative Energie deutlich stärker subventioniert als fossile oder atomare Energie. Ähnlich wie der Kauf eines Buches oder einer Busfahrkarte stärker subventioniert wird als der Kauf von Zigaretten oder Schnaps, bei dem man ja sogar noch draufzahlen muss.
Falls hier ein Volkswirtschaftler mitliest, dem sich aufgrund der vereinfachten Darstellung nun der eine oder andere Magenmuskel zusammengezogen hat, sei an dieser Stelle zur Beruhigung noch erwähnt, dass die Externalitäten-Problematik auch sehr viel differenzierter betrachtet werden kann. Alle wichtigen Aspekte sind jedoch meines Erachtens nach gebührend gewürdigt worden, so dass die Frage nach dem Sinn und Unsinn der Solarstrom-Subventionierung zumindest im Ansatz gut beantwortet sein dürfte – für allumfassende Betrachtungen ist ein Blog ohnehin nicht das richtige Medium. Wer sich also näher mit der Thematik beschäftigen möchte, greift besser zu einem guten Buch, das ja im Gegesatz zu diesem Blog auch noch subventioniert wird. Und das nicht ohne Grund…
Die Frage, warum an der Natur, die ja eigentlich allen Menschen gleichsam „gehört“, so viel mehr Raubbau betrieben wird, als an privatem Besitz, beschäftigt die Volkswirtschaftler übrigens ebenfalls schon lange. Das Problem ist auch als „tragedy of the commons“ bekannt – und wer sich näher damit befasst, findet in der Literatur tolle Geschichten von überweideten Wiesen und ausgetrockneten Brunnen. Vielleicht ein gutes Thema für einen weiteren Blogpost. Mal sehen, auf welche Resonanz die Idee von „volkswirtschaftlichen Betrachtungen zum Umweltschutz“ stößt – falls sich genügend Leser dafür begeistern können, ließe sich das Thema sicher noch vertiefen…
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