Sind die heimliche und manchmal auch nicht so heimliche Verehrung unserer Kultur für das Automobil und die Ignoranz gegenüber allen negativen Folgen, die mit dem massiven Individualverkehr verbunden sind, Symptome eines tieferliegenden gesellschaftlichen Problems oder einfach nur Ausdruck allgemeiner Bequemlichkeit?
Als vor einigen Monaten die neue “BMW-Autowelt” bei München eröffnet wurde, verglich der bayrische Ministerpräsident Günther Beckstein die Architektur des Hauptgebäudes mit den Münchener Gotteshäusern. Als ich die Rede Becksteins im Radio hörte, stellten sich mir ob dieses Vergleichs ein wenig die Nackenhaare auf, da sich in meinem Gedankenfluss unwillkürlich der Nebensatz bildete “und ähnlich wie in einem Gotteshaus, können wir in dieser Autowelt nun endlich dem Automobil huldigen und die individuelle Mobilität preisen”.
Die furchtbare Tendenz, Autos zu vermenschlichen, wird primär durch die Werbung gefördert. Autos spielen in Werbespots und Werbeanzeigen häufig eine “Charakterrolle” und sind ihren menschlichen Mitspielern oft gleichgestellt. Die Tendenz jedoch, Autos fast schon zu vergöttern, die totale Mobilität und den überbordenden Individualverkehr geradezu zu idolisieren – diese Tendenz lässt sich nicht einfach mit gutem Marketing erklären.
Bei diesem Thema fällt mir stehts ein hervorragendes Buch des Journalisten Franz Alt ein – “Der ökologische Jesus”. Das ist selbstverständlich ein ungewöhnlicher Titel und Franz Alt selbst ist bekanntlich auch keine unumstrittene Person – vielen seiner (politischen) Ansichten könnte ich mich beispielsweise kaum anschließen. Aber Franz Alt hat bereits vor Jahren den ökologischen und auch ökonomischen Wahnsinn des immer stärker zunehmenden Individualverkehrs eloquent zu Papier gebracht – und mit jeder einzelnen seiner Aussagen Recht behalten (heute bloggt er übrigens auf der “Sonnenseite“, die immer einen Besuch wert ist). Ich habe das Buch vor Jahren gelesen und schätzen gelernt, und dies vor allem wegen erfreulicher Klartext-Passagen wie dieser:
“Ökologische Verkehrswende heißt Abschied nehmen von einer Verkehrspolitik, die sich als Autopolitik versteht. Die Monokultur Auto ist so wenig lebensfreundlich wie jede Monokultur. Sie zerstört unsere Überlebenselemente Wasser, Luft und Boden und die Nerven der Menschen. Und sie führt exakt in die Immobilität. Manchmal sind im Radio die Staunachrichten schon länger als die Weltnachrichten. Jahr für Jahr gibt es neue Rekordmeldungen für Autostaus. Der bisherige Spitzenwert liegt bei 140 Kilometer Stau zwischen Hamburg und Flensburg. Der deutsche Mensch verbringt am Ende dieses Jahrhunderts mehr Stunden im Stau (67) als beim Sex (40) pro Jahr. Welch armselige Lebensqualität!” (“Der ökologische Jesus”, Kapitel 5)
So klar und deutlich wünsche ich mir häufig den politischen Diskurs mit seinen verwässerten und viel zu oft in alle möglichen Richtungen interpretierbaren Positionen. Beim kürzlichen “Wiederlesen” des Buchs fiel mir eine Passage ganz besonders auf, an die ich mich gar nicht mehr erinnern konnte. Der Tenor ist ebenso interssant wie provokant – das Auto als Potenzersatz und Mittel zur Erhöhung des eigenen Selbstwertgefühls. Und auch diese philosophische Perle möchte ich an dieser Stelle niemandem vorenthalten:
“Das Hauptproblem beim Auto ist ein psychologisches – hauptsächlich bei uns Männern stecken hinter der Abhängigkeit vom Auto und der Sucht, Auto zu fahren, Potenzprobleme. Es geht so oft um männliches Imponiergehabe, Macht über Raum und Zeit und soziale Selbstdarstellung. Viele Männer pflegen ihr Auto gründlicher als ihre Beziehung. Auf ein mögliches Leben ohne Auto reagieren sie wie auf eine Kastration. Das Auto als Symbol phallischer Macht.” (“Der ökologische Jesus”, Kapitel 5)
Die weiteren Ausführungen Franz Alts möchte ich an dieser Stelle aus Gründen der Pietät lieber verschweigen, wer möchte, kann sie im “ökologischen Jesus” gern selbst nachlesen. Auf jeden Fall ein schöner, ein irgendwie auch beruhigender Gedanke, mit dem man sich selbst wieder aufbauen kann, nachdem man dem Raser auf dem Zebrastreifen nur um Haaresbreite entkommen ist….
Aber mal ernsthaft: Ist etwas dran an der These? Das Auto als Stütze für ein schwaches Ego? Autofahren als Mittel zur Ausübung von Macht und Kontrolle? Das Auto als Gegenstand eines Zivilisationskultes zur Erhöhung des eigenen Selbstwerts?
Auf jeden Fall ein Gedanke, der Stoff genug für die eine oder andere spannende Diskussion bietet (vor allem natürlich mit überzeugten Autofahrern) ….
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