Unter dem vielsagenden Titel: “Studentin in Rage – meine Armut kotzt mich an!” findet sich im SPIEGEL der “zornige Zwischenruf” einer Studentin – der allein schon wegen der schreienden Überschrift besser in die BILD-Zeitung gepasst hätte.
“Clubs, Shoppen, Sonntagsbrunch: Das Studentenleben kann so schön sein. Wenn das Geld reicht. Trotz zweier Jobs kann die Berliner Studentin Julia, 25, nicht mithalten. Ihr Kontostand sagt Njet […] Ein zorniger Zwischenruf.”
Moment mal – Studentenleben = “Clubs, Shoppen, Sonntagsbrunch”? Bei dieser Definition von Studentenleben hätte mein Konto zu Studienzeiten vermutlich auch nicht lange durchgehalten. Schon der erste Satz unterschlägt, dass ein Studium – zu größten Teilen finanziert durch die Allgemeinheit – hauptsächlich zwei Zielen dient: Dem Erwerb von Kenntnissen und Fähigkeiten zur Vorbereitung auf das spätere Berufsleben und der Förderung von Wissenschaft und Forschung.
Aber vielleicht wird der Artikel ja noch besser….
“Die Leute strömen in den bunt erleuchteten steinigen Palast moderner Clubkultur. Sie sind stylish, gut gelaunt und haben ein hippes Smalltalk-Thema auf den Lippen. Ich bin im Berghain mit Freunden meiner Freundin; junge, dynamische, kommunikative Menschen. […] Der Weg zur Bar, an Fotos pornografischer Art vorbei….”
Nein, leider geht es erst einmal in diesem Stil weiter. Was ist eigentlich ein Berghain? Eine kurze Google-Suche klärt auf: Es handelt sich um einen exklusiven Techno-Club in Berlin-Friedrichshain, über den sich in der Wikipedia folgendes finden lässt: “Das Berghain ist vor allem für seine langen, ausschweifenden und sexuell freizügigen Partys bekannt, die bis in den Abend hinein reichen können. Es ist verboten, Fotos oder Videos im Inneren des Gebäudes zu machen, um den Gästen ein Höchstmaß an Freiheit und persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten zu gewährleisten.”
Nun ja – in seiner Freizeit kann und soll ja jeder tun und lassen was er oder sie möchte. Ob allerdings ein “zorniger Zwischenruf” gerechtfertigt ist, weil man sich während des Studiums nicht allabendlich in solchen Etablissements bewegen kann, das sei mal dahingestellt….
“Ich ordere locker wie gewohnt zwei Wodka-Kirsch, meine Freundin hat morgen Geburtstag, da lade ich sie ein, selbstverständlich. Wir wollen ja reinfeiern. […] Sorry, denke ich, aber diese elf Euro werden nicht die letzten sein heute abend. […] 20 Euro hätte der Eintritt gekostet; ich habe den Ausgehvorschlag nicht moniert. Ist ja auch irgendwie unelegant, immer als armer Schlucker dazustehen.”
Mal sehen… 20 Euro Eintritt sowie 11 Euro für zwei Wodka-Kirsch – macht 31 Euro innerhalb von nur wenigen Minuten. Natürlich ordert unsere Studentin hier “locker, wie gewohnt” – schließlich möchte sie ja “reinfeiern”. Nur zum Verständnis: 20 Euro Eintritt und 5,50 Euro pro Getränk – wer sich das als Student nicht leisten kann, ist keineswegs “arm”. Und eine echte Freundschaft zeichnet sich auch dadurch aus, dass man sich die Wahrheit sagen und aus einem teuren Abend aussteigen kann. Dass das Leben nur dann lebenswert ist, wenn man “elegant darstehen” kann, halte ich außerdem für ein Gerücht, zumal die Studienzeit ja gerade dazu dienen soll, einen möglichst optimalen Einstieg ins spätere Berufsleben zu finden, dass dann ja gerne von mehr Eleganz geprägt sein kann.
“Um das [Studium] zu finanzieren, arbeite ich in zwei Jobs nebenher, das schon zu Schulzeiten, durchgängig. Verkäufer, Marktstand, Promoter, Fernsehrunner und Tischeschieber – ich habe so ziemlich alles durch.”
Versicherungsvertreter, Nachhilfelehrer, PC-Techniker, Tutor, studentische Hilfskraft und Laboraufsicht – auf ein paar Nebenjobs komme ich auch, wenn ich an meine Studienzeit denke. In manchen Wochen fielen neben dem Studium locker 30 Stunden Arbeit an, von denen nicht unbedingt immer jede bezahlt wurde (Tutoren werden wissen wieso). Auch das ist für einen Studenten kein ungewöhnlicher Zustand. Aber was ist eigentlich ein Fernsehrunner? Google spuckt hier nur ein Suchergebnis aus – den “zornigen Zwischenruf”.
Aber egal, sehen wir mal wie es weitergeht….
“Ich gehe bei Aldi und Netto einkaufen, viele Produkte von Plus und Lidl sind einfach zu teuer.”
Das würde ich gerne nachempfinden, bei 20 Euro Clubeintritt und 11 Euro für zwei Wodka-Kirsch fällt es mir allerdings schwer zu verstehen, wieso man zwar durchzechte Nächte finanzieren kann, nicht aber einen Einkauf von Grundnahrungsmitteln bei Plus oder Lidl. Einzig und allein aus dem Wunsch heraus, bei anderen Studenten, die sich diesen Lebensstil (vielleicht) leisten können, “besser darzustehen”?
“Meine Klamotten sind fast alle markenlos. Obwohl ich gern Adidas, Bench und Diesel bei mir im Schrank hängen hätte, rege ich mich oft über andere auf, die kleidungstechnisch aus diversen hippen Modezeitschriften stammen könnten. Meine Freunde leben ein Leben, das sich von meinem gravierend unterscheidet.”
Solange der gravierendste Unterschied das fehlende Logo auf der Jeans ist, würde ich mir noch keine Sorgen machen. Eventuell hilft es, sich einmal vor Augen zu führen, dass der Wunsch nach “Markenklamotten” lediglich das Egebnis enorm cleverer Marketing-Strategien ist. Auch wer sich als Student keine Markenklamotten leisten kann, ist nicht “arm”.
“In mir baut sich eine Aggression auf, die in letzter Zeit immer stärker wird. Das ständige Essengehen oder Brunchen am Sonntag reizt mich […] “
Falls die Ursache der Aggressionen doch im permanent niedrigen Kontostand zu finden sein sollte, würde es eventuell schon helfen, auf “ständiges Essengehen und Brunchen” zu verzichten….
“Ich würde viel lieber meine Neigungen ausleben und mich von dem ganzen Arbeits- und Sozialstress mal erholen, eine Woche Urlaub machen. Keine Billig-Pauschaltour, sondern vielleicht nach Skandinavien, Wellness, Sauna und so weiter. Ohne dabei auf den Preis schauen zu müssen.”
Dass Studentenjobs die Finanzierung solcher Wünsche nicht hergeben, ist nachvollziehbar. Warum jemand allerdings meint, dass ein solcher Luxus mit Auslandsreisen, Wellness etc. bereits während der Studienzeit unbedingt sein muss, das bleibt schleierhaft. Nochmal: Die Studienzeit dient primär der Vorbereitung auf ein späteres, (auch finanziell) lohnendes Berufsleben, welches dann hoffentlich die Finanzierung solcher Wünsche gestattet.
“Eigentlich ist mein Lebenslauf nicht schlecht. Ich war im Ausland zum Studieren und habe Praktika in den USA und Afrika absolviert. Ich habe keine Probleme, mich in Fremdsprachen einzulernen und auf Menschen zuzugehen, arbeite nebenbei in der Uni, habe soziale Kompetenzen und beginne bald mit meiner Abschlussarbeit.”
Ist das nicht phänomenal? Und all das, all diese Chancen zu lernen, zu begreifen, über sich hinaus zu wachsen, all das haben dieser Staat und seine Bürger zu großen Teilen mitfinanziert. Dass da für Wellness, Sauna, Reisen nach Skandinavien und Clubbesuche im Berghain kein Geld mehr übrig war, sollte man doch verzeihen können. Apropros “soziale Kompetenzen”: Sowohl in Afrika als auch in Amerika hätte sich die Chance geboten, sich einmal mit echter Armut auseinanderzusetzen. Mit Menschen, die heute nicht wissen, was sie morgen essen sollen – und für die schon der Schulbesuch manchmal ein echter Luxus ist.
“Meine Ex-Freundin hat mich damals angemotzt, dass ich mit meinem Selbstmitleid allein fertig werden müsse. Stimmt auch. Also reiche ich, ohne mit der Wimper zu zucken, den 50 Euro-Schein gen Bar, um Mitternacht, um meine Freundin und ihre Freunde auf eine Runde Sekt einzuladen.”
Ganz falsche Schlussfolgerung – mal abgesehen davon, dass der Text vor Selbstmitleid nur so trieft. Aber eine Schlussfolgerung, zu der Julia natürlich berechtigt ist – schließlich leben wir in einem freien Land. Ein freies Land mit einer freien Presse, die allerdings manchmal besser daran täte, sich über das Gedruckte mehr Gedanken zu machen. Es gibt durchaus Studenten die – sei es durch Armut, sei es durch Behinderung oder andere gesundheitliche Einschränkungen – mit größeren Problemen zu kämpfen haben, als sich den Besuch im Berghain nicht leisten zu können (aber natürlich dennoch hinzugehen)….
Übrigt bleibt ein zorniger Zwischenruf, den man auch für eine Satire halten könnte….
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