Vor kurzem hat sich Ludmilla ja über den offenbar geplanten LEO-Abschuss geärgert – und über das MdB Carsten Schneider, der in der FTD sinngemäß zu Protokoll gab, dass es doch eigentlich vollkommen ausreiche, wenn die USA für uns den Weltraum erforschen.
Ein Beispiel von vielen, wie man nach etlichen, für die Forschung enttäuschenden Entscheidungen der letzten zehn Jahre leider konstatieren muss. Wie stehen unsere MdB also zu Wissenschaft, Forschung und universitärer Lehre? Und welche Erfahrungen und Qualifikationen befähigen sie eigentlich dazu, den Wert und die Erfolgschancen wissenschaftlicher Projekte zu bewerten?
Die Lebensläufe unserer Abgeordneten durchzustöbern ist fast so spannend, wie sich mit ihren Nebenverdiensten auseinanderzusetzen. Wer sich ein wenig in der parteilichen Gremienarbeit auskennt weiß, dass es nicht immer die fachlichen Qualifikationen oder Fähigkeiten sind, die einen Kandidaten in der Partei nach oben bringen. Häufig ist das persönliche Netzwerk des Anwärters bei den entscheidenden Abstimmungen sehr viel wichtiger. Ein solches Netzwerk wiederum lässt sich am besten durch die Mitarbeit in Gremien, Ausschüssen und Parteiorganisationen kultivieren. Und dafür wiederum braucht man vor allem eins: Zeit.
Da der Name Nils Annen in den letzten Monaten ohnehin im Zusammenhang mit der Frage nach der beruflichen Qualifikation von Abgeordneten durch die Presse gegeistert ist, greife ich die politische Karriere von Herrn Annen an dieser Stelle auf, um das grundsätzliche Problem zu verdeutlichen, dass ich in reinen Politkarrieren sehe. Ich möchte aber vorausschicken, dass es mir nicht um das „Bashing” eines einzelnen Abgeordneten geht. Nils Annen ist mir persönlich nicht unsympathisch und ich kann mich mit etlichen seiner Ansichten durchaus identifizieren – mal ganz abgesehen von seiner Zustimmung zur furchtbaren Vorratsdatenspeicherung. Es muss dennoch erlaubt sein zu hinterfragen, was ihn für seine Arbeit im Bundestag eigentlich qualifiziert.
Der Werdegang von Nils Annen lässt sich hier nachlesen und so zusammenfassen:
Abitur -> Zivildienst -> Studium -> JuSos -> MdB -> Studienabbruch
Nils Annen ist 35 Jahre alt, verfügt über keinerlei Ausbildung und kein abgeschlossenes Studium und (soweit die diversen Lebensläufe im Internet erkennen lassen) im Grunde über keinerlei praktische Arbeitserfahrung. Im realen Leben wäre er mit diesem Hintergrund ziemlich aufgeschmissen, nicht aber in der Politik, denn seit 2005 sitzt Nils Annen im Bundestag. Hierhin hat es ihn aufgrund seiner Mitarbeit in fast allen wichtigen Gremien für junge Linke verschlagen: Praktikant bei der Friedrich-Ebert-Stiftung, Vizepräsident der International Union of Socialist Youth, Mitglied im JuSo-Bundesvorstand, später JuSo-Vorsitzender, dann im SPD-Parteivorstand.
Sein Studium der Geschichte und Geographie musste er vor einigen Monaten nach ganzen 27 Semestern (immerhin fast 14 Jahre) wegen mehrfachen Nichtbestehens der Latinums-Prüfung abbrechen. In seinem Ortsverband in Eimsbüttel entschuldigte er sich mit der Begründung, seine politische Arbeit habe ihm einfach keine Zeit mehr gelassen, das Studium ordnungsgemäß abzuschließen. Angesichts der Tatsache, dass Annen zum Zeitpunkt seiner Wahl bereits 22 der 27 Semester seines Studiums hinter sich gebracht hatte (immerhin ganze 11 Jahre), mutet diese Erklärung allerdings seltsam an.
Selbstverständlich hat jeder Bürger dieses Landes das gleiche Recht, sich politisch zu betätigen und für den Bundestag zu kandidieren – und damit natürlich auch jeder Student. Eine Parteikultur, in der man sich allein durch die Mitarbeit in möglichst vielen Gremien und ohne sonstige erkennbare fachliche Qualifikation bis in den Bundestag hocharbeiten kann, die ist dennoch ein Problem. Dies trifft auf alle anderen Parteien ebenso zu wie auf die SPD. Solche reinen „Parteikarrieren” sind in meinen Augen dazu geeignet, das Vertrauen der Bürger in die parlamentarische Arbeit zu untergraben und die Politikmüdigkeit zu stärken.
Man kann natürlich nicht verlangen, dass jeder Politiker ein Universalexperte sein soll. Aber wer im Bundestag sitzt, sollte doch auch schon außerhalb des Plenarsaals Erfahrungen gesammelt und berufliche oder akademische Kenntnisse aufgebaut haben – und nicht nur in Parteigremien und parteinahen Stiftungen oder Jugendorganisationen tätig gewesen sein.
Der eine oder andere wird es sicher unfair finden, dieses Problem, dass leider ein allgemeines ist, an der Person von Nils Annen festzumachen. Dem stimme ich prinzipiell zu – denn die Kritik an einer einzelnen Person, auch wenn sie nur exemplarische Funktion hat, ist immer etwas, das gut überlegt sein will. Ich habe mich dennoch dazu entschlossen, Annen als Beispiel herauszugreifen, da ich bei einer Recherche seiner Arbeit auf abgeordnetenwatch.de über diese Antwort zu einer durchaus berechtigten Kritik an der geplanten doppelten Diätenerhöhung des Bundestages gestoplert bin:
“Abgeordnete verdienen weniger als viele Führungskräfte in der Wirtschaft. Sicherlich wird niemand aus finanziellen Gründen Bundestagsabgeordneter. Denn ein Mandat ist immer nur ein Job auf Zeit, bei der nächsten Wahl kann alles wieder anders aussehen, und es gibt keine Garantie dafür, dass ein Abgeordneter danach wieder reibungslos in seinen alten Job zurückfindet.
Das wiederum ist fast schon eine Unverschämtheit, denn die Antwort suggeriert durchaus bewusst, dass Nils Annen sich mit seinen Qualifikationen jederzeit zwischen einer hochbezahlen Spitzenposition in der freien Wirtschaft und seiner politischen Tätigkeit entscheiden könnte oder dass es einen „alten Job” gäbe, in den er aufgrund seiner Abgeordnetentätigkeit vielleicht nicht mehr zurückkehren könnte. Dies mag für manche Abgeordnete durchaus gelten, längst nicht aber für alle – und diejenigen, die nicht so argumentieren können, sollten sich dies auch verkneifen.
Heute gehört Annen zur politischen Elite dieses Landes, entscheidet über Stammzellenforschung, Atomwiedereinstieg, Vorratsdatenspeicherung und vieles mehr. Nebenbei arbeitet er als Mitglied der so genannten „Walden-Connection” am politischen Austausch zwischen SPD und Linkspartei, ist stellvertretender Sprecher der parlamentarischen Linken, Mitglied in den Ausschüssen für Menschenrechte und Rüsungskontrolle und Mitglied des Kuratoriums des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Uni Hamburg. Er hat damit – und das kann bei allem nötigen Respekt vor der Person nicht anders gesagt werden – sehr viel mehr Gewicht und Einfluss als es angesichts seiner akademischen und beruflichen Qualifikation angemessen erscheint.
Hierin liegt eines der Grundprobleme der gegenwärtigen politischen Landschaft. Wer ist zeitlich und finanziell dazu in der Lage, eine politische Karriere überhaupt anzustreben? Wen wählen wir in unsere Parlamente? Etwa die vielbeschäftigten Experten, die auch überall sonst heiß begehrt sind? Die Idealisten, die sich aus höheren Motiven zur Politik berufen fühlen? Oder vielleicht doch eher die Parteikarrieristen, die sich ihre Kandidaturen und Listenplätze in Gremien und Ausschüssen erarbeiten, für die ein normaler Arbeitgeber unmöglich die Zeit aufwenden könnte?
Anders gefragt: Wer hat größere Chancen auf ein politisches Amt – Carsten Schneider und Nils Annen oder Ludmilla Carone und Georg Hoffmann?
Und wer würde dort bessere Arbeit leisten? Wen würden wir uns dort wünschen?
Aber welcher Wissenschaftler würde für die Politik seine Forschungen aufgeben…?
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