Ein Kriegsverbrecher, der sich eine neue Identität zulegen muss, steht in der Regel vor dem Problem der Berufswahl. Da Militär und Politik aus offensichtlichen Gründen als Betätigungsfelder ausscheiden, sind die Gesuchten häufig gezwungen, wenig interessante Karrierewege zu beschreiten. Radovan Karadžić hat eine interessante Alternative entdeckt – als “Alternativmediziner” feierte er auch in Österreich berufliche Erfolge.
Über die österreichische Alternativmedizin-Szene schreibt ja sonst eher Florian (das Thema ist ja auch nicht gerade meine Baustelle). Zur folgenden Story kann ich mir jedoch einen kleinen Kommentar nicht verkneifen. Wie der SPIEGEL heute berichtet, soll der mutmaßliche serbische Kriegsverbrecher neben seiner Heimat auch in unserem schönen Nachbarland als Heilpraktiker und Alternativmediziner “Pera” tätig gewesen sein:
Er war ganz in Schwarz gekleidet, trug lange Haare und Bart und wirkte mit einer langen Kette mit Kreuz um den Hals wie ein orthodoxer Priester: So sah der Arzt aus, an den sich eine frühere Wiener Patientin erinnert – zusammen mit ihrem Mann wandte sie sich Mitte 2006 […] an den angeblichen “Wunderheiler”, der den Namen “Pera” trug. […]
Karadzic hat dem Bericht zufolge während seiner Fluchtjahre mehrfach in Wien gewohnt, bei den bis zu dreitägigen Aufenthalten kam er demnach bei serbischen Familien unter und arbeitete als Alternativmediziner unter falscher Identität.
Der österreichische KURIER gibt Einblick in Peras Behandlungsmethoden:
“Wir haben jahrelang versucht, ein Baby zu bekommen”, erzählt Frau Graf im KURIER-Gespräch. Keine Methode war erfolgreich, “so habe ich mich schließlich an jeden Strohhalm geklammert und auch meine Familie hat immer wieder versucht, mir zu helfen”. Eines Tages, es war Mitte 2006, bekam sie einen Anruf von ihrer in Wien lebenden Tante. “Sie sagte mir, dass ein Wunderheiler aus der alten Heimat da sei, der könne mir helfen.” Das Ehepaar suchte Alternativmediziner Pera auf. […]
Nach der “Behandlung” verkaufte der Wunderheiler der Frau Tropfen um 25 Euro. Als sie später ein weiteres Fläschchen orderte, “hätten sie 50 Euro gekostet. Als ich nicht bereit war, den Preis zu zahlen, wurde er grantig.”
Nun liegt es mir fern, noch einen weiteren Thread für die im “Frischen Wind” immer noch tobende Homöopathie-Diskussion öffnen zu wollen – aber diese Geschichte hat mich doch stutzig gemacht. Karadzic wird bereits seit 1996 international gesucht – das sind satte 12 Jahre, die er sich als Wunderheiler in Österreich, Heilpraktiker in Italien (zumindest laut KURIER) und Alternativmediziner in Belgrad über Wasser halten konnte.
12 Jahre lang haben sich demnach immer wieder Opfer Menschen gefunden, die für überteuerte Wasserfläschchen und Handauflegen beachtliche Summen hingeblättert und damit das langjährige Versteckspiel finanziert haben. Man kann wohl mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vermuten, dass nach 1996 in Karadzic nicht urplötzlich der Wohltäter erwacht ist und er einem inneren Bedürfnis folgend als “Heiler” durch die Lande zog. Vielmehr liegt der Verdacht nahe, dass es dem Mann gelungen ist, eine mehr oder weniger vollständig auf Scharlatanerie und Nepp basierende zweite Karriere aufzubauen.
Das hierfür nötige Wissen hat er sich auf der Universität erworben: In Jugoslawien und Dänemark studierte er in den 60er und 70er Jahren Psychologie und war als Experte für Neurosen und Depressionen in mehreren Krankenhäusern tätig. Schon zu dieser Zeit soll er dem Autor Chuck Sudetic zufolge sein Gehalt mit gefälschten medizinischen Gutachten kräftig aufgebessert haben, bevor es ihn 1989 dann in die Politik zog (Blood and Vengeance: One Family’s Story of the War in Bosnia. New York, 1999: Penguin Books).
Ein Psychologe und geschickter Menschenverführer also, der überzeugend auftreten kann und genau weiß, “welche Knöpfe” gedrückt werden müssen. Vielleicht ist es nicht überraschend, dass er sich die Alternativmedizin als finalen Karrierezweig ausgesucht hat, denn schließlich ist es leider üblich, hier nicht so sehr nach Qualifikationen oder Ergebnissen zu fragen – für einen gesuchten Menschen sicher von Vorteil. Auch die Aura des Mysteriösen, mit der sich so mancher Wunderheiler gerne umgibt, kommt einem Flüchtigen sicher zugute und wird – im Gegensatz zu vielen anderen Berufsbildern – im alternativmedizinischen Bereich leider oft genug als vollkommen normal hingenommen.
Erschreckend ist es auf jeden Fall, dass ein gesuchter Kriegsverbrecher ausgerechnet in Österreich und Italien, zwei aufgeklärten EU-Mitgliedsstaaten, über so viele Jahre lang als Heilpraktiker und Wunderheiler tätig werden konnte. Allein eine vernünftige Überprüfung seiner Tätigkeiten durch das Gesundheitsamt oder eine kritische Nachfrage oder Beschwerde eines seiner Patienten hätte für ihn schon vor Jahren das Aus einläuten können. Nichts davon ist offenbar passiert, was für mich die Frage aufwirft, ob angesichts solcher Geschehnisse nicht – bei allem Verständnis für die Alternativmedizin und ihre Anhänger – die Rufe nach einer staatlichen Kontrollinstanz wieder lauter werden sollten.
Denn wenn selbst ein international gesuchter Kriegsverbrecher sich als Homöopath und Heilpraktiker durchs Leben schlagen kann und nicht entdeckt wird – wie viele Quacksalber und Scharlatane mögen sich noch unter dem selben Deckmantel verstecken?
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