Das habe ich auch noch nicht erlebt: Einer meiner Studenten hat einen Großteil seiner Semesterarbeit abgeschrieben – und zwar bei mir!
Sachen gibt’s, die gibt’s gar nicht. Gerade sitze ich gemütlich mit der Semesterarbeit eines meiner Studenten aus dem Marktforschungs-Grundlagenkurs am Schreibtisch, als mich beim Lesen plötzlich ein starkes Gefühl von Déjà-vu überkommt. „Das könnte fast von Dir sein” denke ich noch, wische den Gedanken aber gleich wieder beiseite. Immerhin saß der Student auch in einer meiner Vorlesungen und hat sicher bloss ein paar Formulierungen übernommen. Nach zwei weiteren Seiten und einem kurzen Check im Internet komme ich jedoch leider zu einem ganz anderen Schluss – der Text ist tatsächlich von mir!
Dass Studenten gelegentlich Texte aus dem Internet kopieren und als eigene Ergüsse einreichen ist ja leider, leider, leider, leider, leider nichts neues.
Wenn man nun aber schon meint, abschreiben zu müssen, dann doch bitte nicht bei dem Dozenten, der die Arbeit später bewerten muss! Soviel Quellenarbeit muss ich schon verlangen – denn wenigstens bei wem man abschreibt, sollte man wirklich wissen. Klar, einige zusätzliche „und” und „oder” finden sich in der Arbeit – und bei manchen Sätzen sogar ein bei mir noch fehlendes Komma (Danke fürs Fehlerlesen), alles in allem lässt sich aber feststellen, dass ganz locker mehr als die Hälfte direkt bei mir abgeschrieben ist.
Der absolute Irrwitz – und schon das zweite Mal diesen Monat, dass ich mich über einen meiner Studenten wirklich ärgern muss. Keine drei Wochen ist es her, dass ich zum ersten Mal in meinen drei Jahren als Lehrbeauftragter einen Studenten wegen eines Betrugsversuchs aus einer meiner Klausuren (in MIS/BIS) werfen musste.
Wirklich bedauerlich und vor allem unnötig, da ich gewiss nicht zu den Lehrkräften gehöre, die von Studenten übermenschliche Leistungen verlangen. Mit ein wenig Interesse, Fleiß und gutem Willen kann man es im Grunde in fast allen meinen Vorlesungen zumindest auf „den grünen Zweig schaffen” – abgesehen vielleicht von der Vertiefungsrichtung Marktforschung, für die man schon ein wenig Spass an der Mathematik mitbringen sollte.
Warum also solche Betrugsversuche? Weil man zu bequem ist, um tatsächlich zu lernen oder eine gute Arbeit selbst zu verfassen? Weil man denkt, man würde es ohne Betrug nicht schaffen? Weil man auf eine bessere Note spekuliert? Weil der Druck des Arbeitsmarktes einen dazu zwingt, so schnell wie möglich mit dem Studium abzuschließen, um einen „perfekten” Lebenslauf vorweisen zu können? Because I can?
Ich weiß es nicht – und bis es mir jemand vernünftig erklärt, wird es mir vermutlich auch ein Rätsel bleiben. Ich weiß nur eins: Wer es bis an eine Hochschule geschafft hat, hat in der Regel das nötige geistige Rüstzeug zum Studium (es sei denn, man hat sich auch durchs Abitur „gecheatet”), auch wenn es an Disziplin und Ausdauer manchmal noch mangeln mag. Niemand muss betrügen, um durch eine meiner Klausuren zu kommen oder bei mir eine Semesterarbeit zu verfassen.
Dass es dennoch ab und zu jemand versucht, stimmt mich traurig, auch wenn das Problem natürlich nicht neu ist. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass einer unserer besten Professoren eines Tages so wütend in die Vorlesung kam, dass er erst einmal seinen Frust von der Seele reden musste, bevor er sich auf den Stoff konzentrieren konnte. Einer seiner Diplomanden hatte eine in einer Online-Börse gekaufte Diplomarbeit eingereicht und angesichts der Aufdeckung seines Betrugs nur mit den Schultern gezuckt und sinngemäß geantwortet, er habe ja noch einen Versuch frei. Von akademischer Ethik keine Spur.
Sechs Jahre ist das inzwischen her – und wenn man sich die wachsende Zahl der Promotionsberatungen und Online-Seminararbeitsbörsen so ansieht, beschleicht einen doch das Gefühl, dass sich in der deutschen Hochschullandschaft etwas ganz dramatisch in die falsche Richtung entwickelt.
Damit dies nicht zu sehr nach Studentenschelte klingt (die es eigentlich auch gar nicht sein soll), sei noch erwähnt, dass es ja leider auch immer wieder Professoren gibt, die Arbeiten ihrer Studenten oder Assistenten als ihre eigenen Werke ausgeben und ihre Publikationsliste mit Veröffentlichugen aufblähen, für die sie nicht einen Satz geschrieben haben. Darüber hinaus finden sich an unseren Hochschulen auch genügend Studenten, die ihre Nachmittage in der Bibliothek verbringen, anstatt mal eben Google anzuwerfen und sich eine passende Textpassage für die Hausarbeit zu besorgen.
Wie wäre es also mal mit einem „Aufstand der Anständigen” – einer Initiative gegen Plagiate und Betrügereien und für die Rückkehr zu akademisch-ethischen Arbeitsweisen an deutschen Hochschulen? Der Anfang ist schon gemacht, was aber momentan noch fehlt ist eine bundesweite Initiative. Ich überweise gerne die erste Spende!
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