Im alternativen Olympia-Telegramm im “Frischen Wind” gibt es wie immer viele Informationen zu den Olympia-Geschichten, über die nicht im TV berichtet wird.

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Für alle meine Mit-Boykotteure, die auch diese Woche lieber zu einem guten Buch gegriffen haben, anstatt die fortgesetzten Menschenrechtsverletzungen und Propaganda-Spektakel durch die Erhöhung der Einschaltquote zu würdigen, gibt es an dieser Stelle eine kurze Zusammenfassung der dieswöchigen Ergebnisse. Besonders zu bemängeln ist, dass in den heimischen Medien diese Woche mal wieder das Schlagwort der “grünen Spiele” herumgereicht wurde, was angesichts der im Vorfeld dieser Olympiade vorgefallenen massiven Umweltzerstörungen meines Erachtens nach nur als bewußtes “Greenwashing” gewertet werden kann.

Zu den “grünen Spielen von Peking” werde ich in der nächsten Woche auf jeden Fall noch etwas schreiben, für die Olympia-Zusammenfassung dieser Woche möchte ich mich dagegen erst einmal auf die “heißen” Themen Menschenrechte und Manipulationen konzentrieren.

So beschert uns der SPIEGEL diese Woche ein Interview mit dem Choreografen der olympischen Eröffnungszeremonie, dessen Masseninszenierungen denen einer Frau R. aus D. kaum nachstehen. Zhang Yimou verrät unter anderem, warum er die chinesische Kultur der westlichen für überlegen hält – und wieso er ausgerechnet die Nordkoreaner bewundert:

“Darsteller gehorchen Befehlen, sie können es wie Computer tun. Das ist der chinesische Geist.” Dann macht sich Zhang über die Ausländer lustig, die so etwas “nicht erreichen könnten”, allein schon wegen der “Menschenrechte”.

Er klagt über seine Erfahrungen bei Versuchen, außerhalb Chinas Opern zu inszenieren. Die westlichen Darsteller arbeiteten nur viereinhalb Tage in der Woche, zwei Kaffeepausen am Tag legten sie ein, und dann konnten sie noch nicht mal gerade in Reihen stehen. Und sie gehörten auch noch irgendwelchen “Organisationen” an. “Sie haben alle Arten von Institutionen und Gewerkschaften”. Die Chinesen erreichten wegen ihrer Kultur binnen einer Woche, wofür die Europäer einen Monat bräuchten. Nur die Nordkoreaner seien noch besser.

Da laufen einem doch olympische Schauer über den Rücken. Denn was genau es bedeutet, eine chinesische Propaganda-Inszenierung zu leiten, darüber lässt Yimou keinen Zweifel:

Die KP-Spitze habe jede Phase der Proben für die Eröffnungsveranstaltung kontrolliert, berichtet er. Die Zeremonie “erlebte den höchsten Grad politischer Beobachtung seit der Gründung der Volksrepublik”. Dies habe einen “kühlen Kopf” erfordert. “Da hat man weder die Chance etwas zu erwidern oder zu erklären”, noch könne man die Einwände der Führung ignorieren. “Selbst wenn du denkst, diese Änderungen sind unnötig, so muss ich sie doch machen.”

Da läuft einem doch glatt das Herz über vor soviel Nicht-Mißbrauch der olympischen Ideale für staatliche Propaganda. Aber wie das IOC uns immer wieder versichert, findet dieser Mißbrauch ja für einen guten Zweck statt, denn ganz bestimmt wird sich durch die Olympiade die Menschenrechtslage in China schwer verbessern.

Die ersten Verbesserungen sind übrigens bereits eingetreten, denn immerhin steht es jedem Bürger Chinas inzwischen frei, eine öffentliche Protestkundgebung in einer der genehmigten “Demonstrationszonen” zu beantragen. Bloss dumm, dass man für einen solchen Antrag direkt mit einem Ausflug ins Arbeitslager belohnt wird – eine Regel, die erschreckenderweise auch auch für betagte Demonstranten gilt:

Earlier this week, two elderly Chinese women – Wu Dianyuan, 79, and her neighbor Wang Xiuying, 77 – who applied to protest were told they would be sent to a labor camp for a year. They were still at home Thursday under the surveillance of a government-sanctioned neighborhood watch group, Wang’s son Li Xuehui said.

Ein Fall, über den sogar n-tv berichtet hatte:

Die chinesischen Behörden haben nach Angaben von Menschenrechtlern zwei ältere Frauen zur Umerziehung verurteilt, die in den ausgewiesenen Protestzonen während der Olympischen Spiele demonstrieren wollten. Die 79-jährige Wu Dianyuan und die 77-jährige Wang Xiuying seien 2001 ohne Entschädigung aus ihrer Häusern in Peking vertrieben worden, berichtete die Organisation Human Rights in China. Zu Olympia beantragten sie fünf Mal die Erlaubnis dagegen zu demonstrieren. Die Behörden hätten beide daraufhin zehn Stunden lang befragt und zu einem Jahr Umerziehung durch Arbeit verurteilt.

Bloss gut, dass die Behörden hier schnell gehandelt haben – immerhin hätte der Anblick von zwei demonstrierenden Rentnerinnen das schöne Propaganda-Bild der harmonischen Spiele mächtig ins Wanken bringen können. Auch jüngere Aktivisten haben in China wenig Chancen. So sind beispielsweise fünf amerikanische Studenten, die am Dienstag in der Nähe des Olympia-Stadions einen friedliche Pro-Tibet-Lichterkette organisieren wollten, vom Fleck weg verhaftet worden – und sind seitdem verschwunden:

Five Americans have been detained in Beijing following a pro-Tibetan protest in which they spelled out “Free Tibet” with blue lights near China’s national stadium, The New York Times is reporting. The activists, members of Students of a Free Tibet, have not been in contact with their organization since their arrest on Tuesday, the Times reported.

Der offizielle US-Olympiasender NBC ließ sich durch die Verschleppung eigener Landsleute durch chinesische Sicherheitskräfte natürlich nicht davon abhalten, die täglichen Weltrekorde des US-Ausnahmeschwimmers Michael Phelps gebührend zu feiern. Phelps liefert sich zur Zeit übrigens einen heftigen Streit mit dem Mount Sinai Medical Center und etlichen US-Gesundheitsexperten. Nach seiner Siegesserie hat er nämlich den ersten von sicherlich vielen Marketing-Verträgen unterschrieben – und wirbt nun – mit Goldmedallien vor der Brust – ausgerechnet für Kinder-Dickmacher der Firma Kellog’s:

Olympic legend Michael Phelps will appear on boxes of the Kellogg’s brand sugar cereal, drawing sharp criticism from health experts worried about the message he’ll be sending to children across America. “I would not consider Frosted Flakes the food of an Olympian,” said nutritionist Rebecca Solomon of Mount Sinai Medical Center. “I would rather see him promoting Fiber One. I would rather see him promoting oatmeal. I would even rather see him promoting Cheerios.”

Aber wer hört schon auf Ernährungswissenschaftler, vor allem dann, wenn sie zur Olympiade so schlechte Stimmung verbreiten. Pecunia non olet – das wussten schon die alten Römer. Und während Phelps für dicke Kinder Werbung macht, schicken die Chinesen dünne Kinder mit gefälschten Pässen in den olympischen Ring. Nachdem in der letzten Woche bereits die New York Times sowie etliche US-Blogger Indizienbeweise dafür ausgegraben hatten, dass ein Großteil der chinesischen Leichtatlethik-Mannschaft das Mindestalter zur Teilnahme noch nicht einmal ansatzweise erreicht hat, hat ein US-Computerspezialist jetzt nachgelegt:

In the Baidu cache, which apparently has not been hit with the scrub brush (yet), two spreadsheets published by the Chinese government on sport.gov.cn both list He Kexin’s birthday as 01-01-1994, making her 14 years old. […] Google’s cached copy of the spreadsheet does not contain Kexin’s age record, and Baidu’s does. This does not necessarily imply that Google allowed its data to be rewritten by Chinese censors, but the possibility does present itself.

Das IOC sah sich durch die anhaltende öffentliche Diskussion offenbar dazu gezwungen, eine eigene “Ermittlung” in Sachen Altersverfälschung zu starten – die allerdings zu wenig überraschenden Ergebnissen gelangte:

The IOC said Friday there is still no proof anyone cheated, though it asked the International Gymnastics Federation to investigate “what have been a number of questions and apparent discrepancies,” spokeswoman Giselle Davies said. […] “The information we have received seems satisfactory in terms of the correct documentation — including birth certificates.”

Da das IOC einer Regierung, die eine 79-jährige Frau wegen nichts und wieder nichts ins Arbeitslager schickt, offenbar nicht zutraut, eine Geburtsurkunde zu fälschen, wird die Geschichte vermutlich nie aufgeklärt werden. Kinder hin oder her – immerhin haben sie gewonnen. Dem chinesischen Sportler Tan Zongliang ist dies leider nicht gelungen, weshalb ihm das chinesische Staatsfernsehen eine öffentliche Entschuldigung abforderte:

In the interview, a CCTV journalist asked Tan: “In your first shot you only got 7.9 points. What is the reason for this?” “I was maybe a little bit anxious,” the 36-year-old replied, before adding: “Overall my performance was fine.” “But you came into the finals leading on points,” the reporter chipped away. “The result really is a shame. Feel bad?” The reporter continued the grilling until Tan lowered his head and apologised to his motherland. He said: “I have been doing this sport for 23 years. I have been nurtured by my country in that time. I have let my country down.”

Der olympische Geist ist wahrhaft lebendig.