Der deutsche „Chef de Mission” in Peking nimmt in der ARD offiziell die chinesische Zensur in Schutz: Die widerwärtige Heuchelei und Anbiederei, der man sich zur Zeit allenthalben angesichts der Olympiade ausgesetzt sieht, hat wieder mal einen neuen Höhepunkt erreicht.
Michael Vesper, ehemaliger grüne Landesminister, Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes und „Chef de Mission” (also quasi der Leiter des deutschen Olympia-Teams) hat sich in einem ARD-Interview als prinzipienloser Opportunist geoutet. Als sein Interviewpartner auf die Themen Internetzensur und Informationspolitik zu sprechen kam, blockte Vesper die Kritik mit dem Verweis ab, in allen Ländern der Welt würde doch auf die eine oder andere Art und Weise das Internet zensiert. Vesper beließ es jedoch nicht bei dieser ominösen (und unrichtigen) Aussage, sondern setzte noch einen oben drauf, indem er die chinesische Staatszensur mit der Sperrung rechtsradikaler Webseiten verglich:
„Bei uns sind es rechtsradikale Seiten, die gesperrt werden. Und es ist natürlich auch in China so, dass einzelne Seiten gesperrt werden.”
Dabei vergaß Vesper zu erwähnen, dass die chinesische Führung keine Neonazi-Webseiten sperrt, sondern die von Amnesty International, dem Roten Kreuz, Human Rights Watch, BBC, CNN und etlichen anderen Organisationen, die „verbotenes Gedankengut” im Netz verbreiten. Im ihrem Bestreben, Olympia maximal zu kommerzialisieren, liefern sich die Sportfunktionäre aus aller Welt ganz eigene Wettkämpfe im Menschenverletzungs-Rechtfertigen und Prinzipienverbiegen. Wie tief muss ein grüner Spitzenpolitiker (und Gründungsmitglied der Partei) eigentlich sinken, um die chinesische Zensur sämtlicher internationaler Menschenrechtsorganisationen mit der Sperrung einer Neonazi-Webseite in Deutschland gleichzusetzen? Werden in China im Grunde nicht gerade sämtliche Ideale des IOC und der internationalen Sportverbände mit Füßen getreten?
Eigentlich nicht, denn wenn man sich die Geschichte der neuzeitlichen Spiele näher ansieht, wird schnell klar, dass Macht und Kommerz schon immer den Vorrang vor den hehren Ideen von Brüderlichkeit und Menschenwürde hat, die das IOC permanent wie ein Schild vor sich herträgt. China ist nicht das erste Land, in dem die Geschichte der Olympischen Spiele mit dem Blut von Dissidenten und Regimekritikern geschrieben wird.
Aber wer erinnert sich schon noch an die Massenhinrichtungen vor den Spielen von 1968 in Mexico City? Über 500 Demonstranten – Studenten, Eltern und Professoren – wurden wenige Tage vor der Eröffnung der Spiele vom Militär auf dem Universitätscampus gegenüber dem Olympiastadion niedergeschossen, tausende weiterer friedlicher Protestanten kamen ins Gefängnis. Ihr Verbrechen? Sie hatten dagegen protestiert, dass das Gewaltregime von Gustavo Díaz Ordaz die Olympiade schamlos dazu ausnutzen wollte, sich international in einem guten Licht zu präsentieren, während im eigenen Land die Menschenrechte mit Füßen getreten wurden. Und was tat das IOC? Absolut gar nichts natürlich, schließlich konnte man den finanziellen Erfolg der Spiele so kurz vor deren Beginn unmöglich wegen einer Lappalie wie dem Massakar von Tlatelolco gefährden.
Der spätere IOC-Präsident Lord Killanin schrieb dazu später in seinen Memoiren:
„Brundage [sein Vorgänger im Amt] hatte den Präsidenten Díaz Ordaz gewarnt: Sollte es an den olympischen Sportstätten Demonstrationen geben, würden die Spiele abgeblasen. Die Strategie, die die Regierung auf jenem Platz [dem Universitätscampus, auf dem die Hinrichtungen stattfanden] verfolgte, gewährleistete, dass es nicht dazu kommen würde.“
Desillusionierend – in der Olympia-Geschichte jedoch keineswegs ein Einzelfall. Auch vor der Moskau-Olympiade im Jahr 1980 gab es großangelegte Säuberungen und Schauprozesse, 1988 setzte sich das unrühmliche Schauspiel in Südkorea fort, wo Studentenproteste brutal niedergeknüppelt wurden und 700000 Menschen eine Zwangsumsiedlung über sich ergehen lassen mussten, mit der Platz für all die schönen neuen Sportstätten geschaffen wurde. Das Paradebeispiel für eine von der Staatspropaganda mißbrauchte Olympiade sind natürlich die Spiele von Berlin im Jahre 1936, anlässlich derer sich das Hitler-Regime selbst feiern und natürlich die Mär vom “arischen Supermenschen” medienwirksam ausschlachten konnte.
Das IOC hat alle diese Machtspielchen mitgemacht und sich gnadenlos an der Marke „Olympia” bereichert. Und wer hätte auch protestieren sollten? Karl Ritter von Halt vielleicht, der als ehemaliger Leiter des „NS-Fachamts für Leibesübung” und SA-Oberführer trotz seiner Vergangenheit noch bis 1960 dem IOC angehörte? Ein Mann der Berichten zufolge mit Himmler persönlich auf „KZ-Inspektionstour” ging? Oder vielleicht Juan Antonio Samaranch, den langjährigen IOC-Präsidenten und ehemaligen Sportminister der faschistischen Franco-Regierung, der dem spanischen Diktator stets treu ergeben war?
Bereits seit Jahrzehnten stehen die Olympischen Spiele nicht mehr für antike Ideale oder weltumspannende Verbrüderung sondern dienen als Deckmäntelchen für undurchsichtige Geschäftemacherei, nicht selten auf Kosten von Freiheit und Menschenrechten. Sportfunktionäre biedern sich den Diktatoren und Verbrechern dieser Welt geradezu an, während sie jegliche Kritik an sich selbst als unehrenhaft zurückweisen und sich als Gralshüter eines „Olympischen Ideals” verstehen, dass jenseits jeder Kritikwürdigkeit liegt.
Die Spiele von Peking reihen sich hier nahtlos ein. Die Versprechen bezüglich „mehr Offenheit und Demokratie” wurden bereits vor Beginn der Spiele gebrochen, der IOC-Präsident Jaques Rogge ignoriert konsequent die Hilferufe internierter chinesischer Menschenrechtler und kritisiert statt dessen westliche Demonstranten, China verweigert Sportlern wegen ihrer politischen Ansichten die Einreise und unterdrückt jede Form des öffentlichen Protests. Einer ZDF-Reporterin, die sich mit tibetischen Mönchen unterhalten wollte, wurde von Polizei in Zivil der Zutritt zum Kloster mit der Begündung verwehrt, die Mönche seien gerade alle im Urlaub. Auch der erste Deutsche Olympia-Besucher sitzt bereits in einem chinesischen Gefängnis – er hatte die tibetische Fahne als Zeichen des Protests mitgeführt und wurde deshalb vor zwei Tagen von chinesischen Polizisten verschleppt.
Sogar das spektakuläre Feuerwerk zur Eröffnungsfeier war nichts anderes als ein Fake – teilweise computergenerierte Bilder, die unsere Medien bereitwillig gesendet haben. Und in wessen Taschen werden wohl die 894 Millionen US-Dollar wandern, die NBC allein für die US-Übertragungsrechte des Olympischen Schwimmsports hingeblättert hat? 894 Millionen Dollar für TV-Bilder von Schwimmwettkämpfen! Wofür werden die ausgegeben? Verbesserung der Menschenrechtslage? Förderung des Sports? Bekämpfung von Armut und Hunger? Oder doch nur neue BMWs und Privatjachten für chinesische Funktionäre und IOC-Mitglieder?
Für alle diejenigen, die – wie ich – die Heuchelei unserer Jubel-Sportfunktionäre nicht mehr ertragen können – habe ich alternativ ein Stück echte Berichterstattung der in China zensierten BBC anzubieten: Den Originalbericht vom 4. Juni 1989 – dem Tag, an dem exakt dieselbe Partei, die sich heute in der Olympiastadt Peking selbst feiert, 7000 friedliche Demonstranten auf dem Platz des Himmlischen Friedens vom Militär ermorden ließ.
Und damit gebe ich wieder zurück an die GEZ-finanzierten Olympischen Beifallklatscher…
Lesetipp zum Olympia-Abgewöhnen: Andrew Jennings: Das Olympia-Kartell – Die schäbige Wahrheit hinter den fünf Ringen, Rohwohlt-Verlag, 1996 [amazon]
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