Was ist eigentlich das Ziel universitärer Bildung? Die Vermittlung von akademischen Arbeits- und Denkweisen, von Wissen und Fachkompetenzen? Oder die “Produktion” von Absolventen, deren Kompetenzprofil sich 1:1 mit den Anforderungen zukünftiger Arbeitgeber deckt?
In einem Interview mit der Süddeutschen hat sich Franziska Pankow vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) dazu geäußert, wie sie den sich im Rahmen des Bologna-Prozesses verändernden Bildungsauftrag deutscher Hochschulen interpretiert:
Die Hochschulen dürfen jetzt nicht nachlassen, ihre Studieninhalte im Sinne von “Employability” an den Anforderungen des Arbeitsmarktes auszurichten.
Zum Begriff “Employability” findet sich in der Wikipedia die folgende Definition:
Die individuelle Employability ist das Ergebnis der Übereinstimmung bzw. Differenz zwischen den Anforderungen der Arbeitswelt einerseits und den persönlichen, fachlichen, sozialen und methodischen Kompetenzen sowie der individuellen Gesundheit und Arbeitsfähigkeit andererseits.
Obwohl den fachlichen Kompetenzen also durchaus noch ein Wert zugesprochen wird, wird klar, um was es geht: Der Inhalt von akademischen Ausbildungen soll sich noch viel stärker als bisher an den Anforderungen des Arbeitsmarktes orientieren. Ich habe es in diesem Blog schon öfter geschrieben und werde es in Zukunft sicher noch öfter schreiben müssen:
Es gab einmal eine Zeit (so lange ist es noch nicht her), da hatte eine akademische Ausbildung einen Wert an sich und ein akademisch geprägter Lebenslauf war auch dann vorzeigbar, wenn er nicht haargenau den Vorgaben von McKinsey, Roland Berger & Co entsprach. Die Idee, dass es an den Hochschulen (besonders an den Fachhochschulen) nur noch darum gehen müsste, die Absolventen für den Arbeitsmarkt “fit zu machen”, d.h. ihnen exakt die Fähigkeiten zu vermitteln, mit denen große Unternehmen sie ohne eine Nachschulung einstellen können, ist der Grundstein einer furchtbaren Fehlentwicklung, die uns als Gesellschaft irgendwann teuer zu stehen kommen kann.
Bei jedem, für den die “Freiheit von Forschung und Lehre” nicht nur eine hohle Phrase ist, sollte im übrigen spätestens bei den folgenden Aussagen die rote Warnlampe hell aufleuchten. Auf die Frage, wie eine höhere Employability erreicht werden könnte, antwortet Frau Pankow nämlich:
Die Unternehmen müssen aktiver werden und sich durch Mitarbeit in Hochschul- und Studienräten in die Gestaltung von Studiengängen stärker einbringen.
Und was genau sollte das Ziel dieses Engagements sein?
Auf die Ausbildung von für sie passgenauem Nachwuchs Einfluss zu nehmen und sicherzustellen, dass Führungskräfte die Chance erhalten, sich in berufsbegleitenden Master-Programmen weiterzubilden.
Prost Mahlzeit, kann ich dazu nur sagen. Wenn sich der Lehrplan irgendwann nur noch an den Bedürfnissen der freien Wirtschaft orientiert, bekommt man sicher eine Menge praktisch hoch qualifizierter Absolventen, die ihre tägliche Arbeit mit Bravour leisten – aber wie sieht es mit Forschern und Querdenkern aus, mit Leuten, die über den Tellerrand der täglichen Berufsanforderungen hinaussehen und neue, vielleicht bahnbrechende Ideen hervorbringen können? Was – um es einmal ganz drastisch zu formulieren – ist ein akademischer Titel denn noch wert, wenn die Anforderungen für dessen Vergabe von McKinsey, VW, Roland Berger und Coca Cola festgelegt werden?
Nehmen wir mal als Beispiel einfach mal meine Studienrichtung – die Wirtschaftsinformatik. Die meisten Wirtschaftsinformatiker werden ja SAP-Berater und IT-Consultants. Dennoch haben wir im Studium so einiges gelernt, dass man als guter IT-Consultant so gar nicht braucht, wie zum Beispiel:
- Geschichte der Informationstechnologie
- Multivariate statistische Datenanalyse
- Schreiben von wissenschaftlichen Texten
- Wissenschaftliches Arbeiten und Recherchieren
Alles für eine Karriere als IT-Consultant mehr oder weniger überflüssig. Also nichts wie raus damit und am besten gleich ersetzen durch:
- Büroorganisation
- Teamwork-Training
- Präsentationstraining
- Rhetorik im Kundengespräch
Schon viel besser. Wenn man jetzt den verbleibenden Stoff noch in ein Semester weniger quetschen könnte und den Auslandsaufenthalt in den USA gleich zur Pflicht machen würde, könnte man die Employability der Absolventen sicher glatt verdoppeln.
Ein überzogenes Beispiel? Ein wenig auf die Spitze getrieben, sicherlich. Feststellbar ist aber: Die immer stärker zunehmende Arbeitsmarktorientierung der Universitäten und Fachhochschulen lässt die Grenzen zwischen akademischem Studium und reiner Berufsausbildung verwischen. Wünschen wir uns wirklich Hochschulen, deren Gremien von Unternehmen bestimmt werden und deren Lehrpläne sich an den Anforderungen ausrichten, die auf dem Personalmarkt gerade gefragt sind? Was wird dann aus dem Wert einer akademischen Ausbildung? Wo bleibt die Zeit für Studierende, während des Studiums selbst zu forschen, anstatt von einem Praktikum zum anderen zu hechten, um ja viele große Unternehmensnamen für den Lebenslauf zusammenzubekommen?
Im Interview mit der SZ behauptet Frau Pankow übrigens auch:
Lange Studienzeiten haben sich durch die Einführung des Bachelors verringert, die Zahl der Abbrecher geht zurück.
Und auch da kann man geteilter Meinung sein. Erst im Juni diesen Jahres erschien beispielsweise im Tagesspiegel ein Artikel mit dem vielsagenden Titel “Bachelor-Abbrecher legen die Wirtschaft lahm”, aus dem ich kurz zitieren möchte:
Die Hälfte der DAX-Konzerne hat angesichts des Fachkräftemangels die hohe Abbrecherquote von Bachelor-Studenten kritisiert. Die Hochschulen müssten die hohen Abbrecherzahlen in den Studiengängen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT) rasch in den Griff kriegen, forderte Telekom-Personalvorstand Thomas Sattelberger.
Kommentare (9)