Über die verrückten Verschwörungstheoretiker-Filmchen zum LHC hatte Florian ja schon berichtet. Höchste Zeit dass nun – zwei Tage vor dem Start – die professionellen Vertreter unter den LHC-Gegnern auch noch mal zu Wort kommen.
Damit meine ich natürlich nicht den Herrn, der im LHC ein Sternentor zum Planeten Nibiru sieht, den ja – wie jeder Adventurespieler weiß, schon die Nazis vergeblich gesucht haben. Gemeint ist auch nicht der Chaosforscher Otto Rössler, der schon mal aus der großen Aula der Uni Tübingen getragen werden musste, weil er die Wände mit blauer Farbe beschmierte. Und auch dem anonymen Irren, der einige der LHC-Forscher seit Tagen mit Todesdrohungen belästigt, soll natürlich kein Raum gegeben werden.
Wobei man sich schon fragt, wen eine Todesdrohung ernsthaft davon abbringen sollte, den Weltuntergang einzuläuten, der ja nunmal – das ließe sich kaum vermeiden – auch den Tod der CERN-Mitarbeiter zur Folge hätte. Die Antwort kennt wohl nur der Schreiber selbst…
Einigen LHC-Gegnern, wie beispielsweise dem Physiker Dr. Walter Wagner (nach dessen Bio und Veröffentlichungen ich allerdings noch immer suche), ist es dagegen gelungen, eine zumindest für den Laien verständlich wirkende Kausalkette zusammenzubasteln, die man in etwa so zusammenfassen könnte:
Wenn die LHC-Wissenschaftler die genauen Mechanismen des Experiments bereits kennen würden – wofür dann das Experiment noch durchführen? Wenn sie aber nicht genau vorhersagen können, was passieren wird – wie können sie dann eine sichere Aussage über die Risiken treffen?
Die von ihm geführte Medienkampagne gegen das LHC-Experiment hat sich seit den ersten wirren und verschwommenen youTube-Videos deutlich professionalisiert, wie man an diesem Videoclip klar erkennen kann:
Wow. Zur Veranschaulichung noch ein zweiter Film, für den sich ebenfalls die Gruppe um Dr. Wagner (die auch hinter der gescheiterten Klage steht) verantwortlich zeichnet:
Eines der wesentlichsten Probleme der Wissenschaftskommunikation ist hier klar erkennbar: Für einen Laien ist es unmöglich zu erkennen, welche Seite im Recht ist. Da die Medien fatalerweise dazu tendieren, im Sinne der journalistischen Ausgewogenheit beiden Seiten meist gleichen Raum zu gewähren, und die Materie an sich zu komplex ist, als dass sich jemand, der nicht “vom Fach ist”, eine tragfähige Meinung bilden könnte, ist das Ergebnis eine öffentliche Diskussion, die von den beteiligten Wissenschaftlern wiederum nur unter großen Schwierigkeiten nachvollzogen werden kann.
Ich will an dieser Stelle gar nicht weiter auf die LHC-Diskussion als solche eingehen (vor allem, da ich auch nicht “vom Fach bin”), sondern vielmehr auf interessante Parallelen hinweisen, die meines Erachtens nach zwischen der LHC-Debatte und vielen anderen “Wissenschafts-Kontroversen” zu erkennen sind – vom Streit um den Klimawandel bis hin zur Gentechnik-Diskussion. Es erscheint mir bemerkenswert, dass in allen Debatten trotz stark unterschiedlicher Inhalte fast gleiche Argumentationen und Stilmittel zu beobachten sind:
1) “Scientists are divided” – Die Wissenschaftler sind sich nicht einig. Ein häufig ins Feld geführtes Argument, das jedoch längst nicht immer zutrifft. Es basiert offenbar auf einem öffentlichen Eindruck vom Wissenschaftsbetrieb, der sich in einem Satz zusammenfassen ließe: “Wann waren die sich jemals über etwas einig?”. Dabei wird vergessen, dass es sehr wohl naturwissenschaftliche Grundsätze gibt, die in der wissenschaftlichen Community nicht angezweifelt werden – man denke nur an die Gravitation oder die Tatsache, dass die Erde um die Sonne kreist und nicht umgekehrt. Diese Tatsache steht nicht im Widerspruch zum Kernauftrag der Wissenschaft – dem ständigen Erneuern des Wissens und der rigorosen Prüfung neuer Theorien.
2) “Some scientists believe” – Ich als Statistiker muss bei dieser Floskel immer gleich an den Begriff “Statistik der kleinen Zahlen” denken. Auf der Basis von dem, was zwei oder drei Leute denken oder vielleicht denken, lässt sich schließlich nicht nur eine überzeugende Marketing-Strategie sondern notfalls sogar ein ganzes Weltbild ableiten. Übersehen wird dabei die Tatsache, dass man immer zwei oder drei studierte Leute findet, die bereit dazu sind, auch völlig hahnebüchene Theorien zu unterstützen – und schon ist die Aussage “some scientists believe” sachlich und inhaltlich korrekt. Erinnert sei an dieser Stelle beispielsweise an die österreichische Ärztin, der zufolge sich Viren, Bakterien und Pilze bei Bedarf ineinander umwandeln können.
3) Der geheimnisvolle, einzelne Satz. Hierbei handelt es sich um einen einzelnen, lesbarern Satz in einem umfangreichen Dokument. In amerikanischen “attack ads” schon seit jeher ein Klassiker, wird diese Technik seit einiger Zeit auch in der öffentlichen Diskussion um wissenschaftliche Inhalte eingesetzt. Wer sich schon einmal mit einem längeren wissenschaftlichen Dokument auseinandergesetzt hat weiß, dass man einen einzelnen Satz oft ganz schön aus dem Zusammenhang reißen kann – wer diese Erfahrung jedoch noch nicht selbst gemacht hat, kann den Aussagewert eines solchen Einzelsatzes aber verständlicherweise nur schwer einschätzen.
(“Die Tests kamen zu dem Ergebnis, dass das Getränk XYZ krebserregend wirkt” ist ein Satz, der für sich gesehen eine Bedeutung hat, der inhaltlich jedoch ganz anders zu interpretieren ist, wenn der darauffolgende Satz lautet “Eine gesundheitliche Gefährdung ist jedoch nur zu befürchten, wenn über einen längeren Zeitraum mehr als 6 Liter XYZ am Tag konsumiert werden”. Für die öffentliche Diskussion gilt: XYZ ist krebserregend – und Punkt.)
4) Spielchen mit der Wahrscheinlichkeit – Meiner Ansicht nach immer ein besonders grausames Vergehen, da seit dem Taxi-Problem bekannt sein sollte, dass die meisten Menschen dazu neigen, komplexe Wahrscheinlichkeiten falsch einzuschätzen bzw. sehr kleine Wahrscheinlichkeiten überzubewerten. Wäre es nicht so, würde der Staat nicht jedes Jahr Millionen mit Lotto verdienen, das, wie es mein ehemaliger Statistik-Professor auszudrücken pflegte, im Grunde nichts weiter ist als eine Strafsteuer für Rechenschwache.
(Dahinter steckt auch das Problem, dass der wissenschaftliche und der allgemein gebräuchliche Wahrscheinlichkeitsbegriff sich stark voneinander unterscheiden. Ein “könnte sein” in einem wissenschaftlichen Dokument ist anders zu interpretieren als ein “könnte sein” im Treppenhaus – was aber leider häufig unterschlagen wird.)
Diese vier Stilmittel sind mir bis jetzt in fast jeder öffentlichen Diskussion um Wissenschaft begegnet, die mit entsprechender Leidenschaft geführt wurde. Fast immer (aber eben interessanterweise auch nicht immer) ist die Seite, die sie verwendet, im Unrecht. Jedes dieser Stilmittel ist dazu geeignet, ein falsches Bild davon zu vermitteln, wie Wissenschaft funktioniert bzw. was wissenschaftliche Denkweisen ausmacht. Und – da bin ich sicher – jedes Stilmittel erfüllt seinen Zweck sehr gut – verwischen, vernebeln, verunsichern.
Eine professionelle Wissenschaftskommunikation muss in der Lage sein, solchen Angriffen effektiv zu begnen. Dabei dürfte es nicht ausreichen, den klischeehaften Typen mit Brille und Laborkittel vorzuschicken, der allein schon durch seine Gesichtsgestik kommuniziert, dass er jeden für dämlich hält, der seiner Argumentation nicht folgen kann. Dies würde zwangsweise bedeuten, dass die Wissenschaftskommunikation an inhaltlichem Niveau verlieren muss – um auf der anderen Seite an Unterhaltungs- und PR-Niveau aufzustocken. Natürlich kann man sich so etwas eigentlich nicht wirklich wünschen. Notwendig werden könnte es dennoch irgendwann.
Was übrigens die Visualisierung des Weltuntergangs angeht, hat die BBC schon vor Jahren eine Version abgeliefert, gegen die selbst die Videoclips der Wagner-Gruppe blass aussehen:
Kommentare (21)