Normalerweise gibt es nach der Verkündung eines Preisträgers weltweites Lob der Forscherkollegen zu hören. Nicht so in diesem Jahr, denn die Vergabe der schwedischen Preise für Physik und Medizin sorgt für erhebliche Verstimmungen.
Der SPIEGEL berichtet:
Italienische Wissenschaftler sind aufgebracht über die Vergabe des Physik-Nobelpreises 2008: Es sei unfair, dass der Physiker Nicola Cabibbo nicht bedacht worden sei, urteilte das Nationale Institut für Kernphysik (INFN). Cabibbo habe die Grundlagen entwickelt, die die japanischen Preisträger Makoto Kobayashi und Toshihide Maskawa lediglich erweitert hätten. Das Resultat war die sogenannte Cabibbo-Kobayashi-Maskawa-Matrix (CKM-Matrix). “Das ‘K’ und das ‘M’ der Formel wurden geehrt, während das ‘C’ außen vor gelassen wurde”, kommentierte die Zeitung “La Repubblica”.
Ludmilla hatte die Kontroverse ja gestern schon einmal hier kommentiert, wirklich viel getan hat sich seitdem allerdings nichts – außer, dass das Interview von Roberto Petronzio inzwischen übersetzt vorliegt:
“Das ist wirklich bitter”, sagte INFN-Präsident Roberto Petronzio. “Kobayashis und Maskawas einziger Verdienst ist es, die Idee von Cabibbo auf vereinfachte Weise generalisiert zu haben.” Die beiden Japaner sollen für bahnbrechende Erkenntnisse zur Symmetriebrechung und zur dritten Familie von Quarks den Nobelpreis bekommen, gemeinsam mit dem US-Forscher Yoichiro Nambu. Das hält auch der Ehrenpräsident der italienischen Physikervereinigung, Renato Angelo Ricci, für einen “unglaublichen Skandal”. “Cabibbo hat den ersten und wesentlichen Teil der Entdeckung gemacht”, sagte Ricc, der Mailänder Zeitung “Corriere della Sera”.
Das klingt sonst eher anders, wenn sich die Wissenschaftler aus der ganzen Welt über die Verdienste ihrer ausgezeichneten Kollegen äußern. Und damit ist es noch nicht genug, denn auch wegen des Medizin-Nobelpreises regt sich Unmut – diesmal jedoch in Frankreich:
Wissenschaftler verlangen, dass neben den designierten Preisträgern Luc Montagnier und Françoise Barré-Sinoussi auch Jean-Claude Chermann bedacht wird. Ein am Dienstag gegründetes Unterstützungskomitee für Chermann ist nach eigenen Angaben deshalb bereits beim Nobelkomitee in Stockholm vorstellig geworden. In der Hoffnung, “ein bedauerliches Versäumnis” noch beheben zu können, wiesen Chermanns Anhänger dabei darauf hin, dass er an der Entdeckung des Aids-Erregers HIV ebenso maßgeblich beteiligt gewesen sei wie Montagnier und Barré-Sinoussi.
Auch dass Robert Gallo, der als erstes den Zusammenhang zwischen HI-Viren und AIDS nachweisen konnte, ging bekanntlich leer aus. Und das, obwohl er – offenbar zu Recht – als einer der Pioniere auf dem Gebiet der AIDS-Forschung gilt:
Robert Gallo, der mittlerweile sein eigenes Institut für Virenforschung an der Universität Maryland leitet, äußerte sich anlässlich der Bekanntgabe des Preises am Montag „enttäuscht”. In einer Pressemitteilung sprach er jedoch seinem „französischen Kollegen und langjährigen Freund” seine Gratulation aus. Luc Montagnier seinerseits betonte in einem Interview, dass Gallo den Preis ebenso verdient hätte wie er selbst und Françoise Barré-Sinoussi.
Kurios. Ich kann mich nicht erinnern, dass es nach den Nobelpreis-Ankündigungen jemals solche Misstöne aus der wissenschaftlichen Community gegeben hat. Da ich weder zu HIV-Forschung noch die CP-Verletzung inhaltlich viel beitragen könnte, fällt es mir schwer, die diesjährige Kontroverse einzuschätzen. Eins scheint mir jedoch sicher zu sein: So etwas hat es in den letzten Jahren nicht gegeben. Da wird Kobayashi und Maskawa vorgeworfen, sich auf dem Rücken von Cabibbo zu profilieren, Gallo wird von den einen als Plagiator beschimpft, wärend die anderen seine Verdienste klar über die von Montagnier stellen.
Was sagen die Leser dazu – vor allem die, die mehr in den Themen “drinstecken”. Sind die diesjährigen Misstöne gerechtfertigt oder nicht?
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