Einer der meistgelesenen Artikel im „Frischen Wind” war die Zusammenfassung der nahezu unfassbaren Wahlcomputer-Pannen bei den hessischen Landtagswahlen Anfang des Jahres. Seit heute verhandelt Karlsruhe über die Statthaftigkeit von Computern in der Wahlkabine.
Zur Erinnerung: In Hessen kamen – wie auch schon bei der Bundestagswahl 2005 – Wahlcomputer des niederländischen Unternehmens NEDAP zum Einsatz. Im Fahrwasser dieses Einsatzes haben sich etliche denkwürdige Vorgänge ereignet. So wurde beispielsweise Wahlbeobachtern der Zutritt zu den Wahllokalen verweigert oder es wurden Wahlcomputer vor der Wahl in den Privatwohnungen von Politikern gelagert. In einem Fall übergab man den Computer vor der Öffnung des Wahllokals versehentlich einer Gruppe dort versammelter Privatpersonen – in der Annahme, dies seien die Wahlhelfer. Gefragt wurde nicht.
Nach dem ersten NEDAP-Einsatz vor drei Jahren veranlasste der Physiker und IT-Experte Ulrich Wiesner ein Wahlprüfungsverfahren, das jedoch vom Wahlausschuss zurückgewiesen wurde. Über die daraufhin von ihm eingereichte Verfassungsbeschwerde wird nun ab heute in Karlsruhe verhandelt. Dabei geht es – meiner Ansicht nach – um nichts weniger als den Fortbestand transparenter, nachvollziehbarer und vor allem näherungsweise betrugssicherer, demokratischer Wahlen. Diese stehen nämlich auf dem Spiel, sollte in Karlsruhe zugunsten der NEDAPs entschieden werden. In diesem Fall könnten schon zur Bundestagswahl im kommenden Jahr in sehr viel mehr Wahlkreisen Computer die Wahlurnen ersetzen.
Die Gefahr für die Demokratie geht dabei weniger von Pannen wie der eingangs erwähnten Lagerung der Geräte in Privatwohnungen aus – obwohl auch solche Vorfälle natürlich ernstzunehmende Regelverstöße darstellen. Computerwahlen sind vielmehr inhärent unsicher, da sie keinen „paper trail” hinterlassen. Aus diesem Grund kann man sich nie wirklich sicher sein, wie ein Ergebnis zustande gekommen ist. Der Knopfdruck in der Wahlkabine ist – wie es auch sein sollte – frei und geheim. Der Wahlcomputer wird zur “black box” der Demokratie: Es gibt keinen Wahlzettel, keinen Stimmenzähler, keinen zweiten Stimmenzähler und keinen Wahlbeobachter, der die Arbeit der Stimmenzähler kontrollieren könnte. Statt dessen spuckt der Computer am Ende des Tages die tabellierten Ergebnisse aus – und wir müssen uns darauf verlassen, dass „die schon stimmen werden”.
Mich als Informatiker beängstigt ein solches Wahlszenario ungemein, vor allem, da seit vielen Jahren etliche in Sachen IT-Sicherheit sehr viel qualifiziertere und erfahrenere Informatiker lautstark gegen den Einsatz von Wahlcomputern protestieren – und einfach niemand auf sie hören will. Ihre Argumente werden regelmäßig von Nicht-Informatikern und Nicht-Experten abgeschmettert, die in Wahlprüfungskomissionen, politischen Gremien oder Gerichtshöfen sitzen. Dies ist in etwa so, als ob Ihnen eine kleine Armee von Ärzten einstimmig eine Diagnose stellt – und Sie mit den Befunden ins nächste Wahlkreisbüro oder zum nächsten Gericht rennen, weil Sie der Meinung sind, dass eine medizinische Diagnose nur dann etwas wert ist, wenn sie von Nicht-Medizinern bestätigt wird.
Was passiert eigentlich, wenn jemand in der Wahlkabine einen Aufkleber mit dem Spruch “Dieser Wahlcomputer wurde manipuliert” auf die Rückseite des Gerätes klebt, der erst bei dessen Abbau gefunden wird? Sind dann alle auf diesem Computer abgegebenen Stimmen ungültig? Oder wird der Aufkleber einfach ignoriert? Wie aber kann man sich sicher sein, dass nicht doch jemand das Gerät manipuliert hat? Und warum gibt es für die Zulassung von Feuerlöschern größere Hürden als für die Zulassung von Wahlcomputern?
Was ist mit der kurzsichtigen Großmutter, die seit 50 Jahren ihre Stimme immer nur per Kreuz auf dem Papier abgegeben hat? Wie kann man sich sicher sein, dass auch sie so gewählt hat, wie sie dies wollte? Was ist mit dem angeblich nicht manipulierbaren NEDAP-Wahlcomputer, den eine deutsch-holländische Gruppe von IT-Experten hacken und zum Schachcomputer umfunktionieren konnte? Dem gleichen Wahlcomputer, der zur Bundestagswahl 2005 bereits in 1831 Wahllokalen eingesetzt wurde?
Von besagter Expertengruppe des CCC existiert übrigens ein umfangreicher “Wahlcomputer-Report“, in dem Sicherheitslücken, Manipulationsmöglichkeiten und generelle Probleme mit Wahlen am Computer detailliert dargestellt werden. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass sowohl Software als auch Hardware der Systeme angreifbar sind, dass die Versiegelungen und Plomben an den Geräten keinen wirksamen Schutz bieten und dass jede unabhängige Überprüfung des Wahlergebnisses dank fehlendem “paper trail” zum Scheitern verurteilt ist. Alles in allem genügend Gründe, um zu zwei Erkenntnissen zu gelangen:
Wahlcomputer sind nicht sicher – bitte, bitte glaubt es doch endlich!
und
Wenn wir flächendeckende Computerwahlen einführen, können wir uns nie wieder wirklich sicher sein – warum sollten wir dieses Risiko freiwillig eingehen?
Da kann man nur hoffen, dass in Karlsruhe eine kluge Entscheidung getroffen werden wird – und dass den Stimmen der Experten diesmal mehr Gewicht beigemessen wird, als dies bei ähnlichen Entscheidungen in der Vergangenheit leider immer wieder der Fall gewesen ist.
PS: Wie viel Zeit benötigen “Insider” (Wahlhelfer, Techniker), um das Betriebssystem eines NEDAP zu manipulieren? Genau 60 Sekunden – Videobeweis siehe unten. Ein kurzer Stop auf dem Weg vom Abstellraum zum Wahllokal reicht bereits aus – die Manipulation einer Wahl mit Stift und Papier erfordert dagegen erheblich mehr Aufwand und ist sehr viel riskanter.
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