Amerika hat gewählt – und ausnahmsweise ist die Welt zufrieden. Bei aller gebotenen Euphorie und Hoffnung für die Zukunft sind meines Erachtens auch Worte der Vorsicht angebracht.
Dass die Bush-Administration in den letzten acht Jahren viele Fehler gemacht und etliche unpopuläre Entscheidungen getroffen hat, ist sicher unbestritten. Ein „electoral purge” war allein schon deshalb zu erwarten – und nun ist er eingetreten. Wer noch eine Bestätigung dafür brauchte, dass unsere Medien bei einer Auseinandersetzung zwischen Republikanern und Demokraten nach acht Jahren Bush nicht mehr neutral berichten können, musste sich gestern Nacht nur die ZDF-Übertragung ansehen. Alles keine Überraschung und nicht anders zu erwarten. Die Mehrheit der Amerikaner hofft nun auf „change” – und auch die Mehrzahl der Deutschen dürfte mit dem Wahlausgang mehr als zufrieden sein.
Barack Obama ist ein erstaunlich sympathischer junger Politiker mit hervorragenden rhetorischen Fähigkeiten und dem großen Talent, vor allem junge Menschen zu begeistern. Seine Positionen zu erneuerbarer Energietechnik, zum Klimawandel und zur Außenpolitik sind auch aus meiner Sicht denen von John McCain klar vorzuziehen – auch wenn McCain einen deutlich „grüneren” Kurs als G.W. Bush eingeschlagen hat. Es fällt mir dennoch schwer, mich voll auf den allgemeinen Freudentaumel einzulassen und die Obama-Präsidentschaft zu bejubeln.
Das Problem sind die hohen Erwartungen auf der einen und die unkritische Berichterstattung auf der anderen Seite. Selbst im optimalen Fall eines guten und kompetenten Politikers wünsche ich mir kritische Berichterstattung und parteiinterne Diskussionen, keine haltlose Glorifizierung. Das hat noch keinem politischen System gut getan und es stünde auch den amerikanischen Medien gut zu Gesicht, die bisherige Form der sehr einseitigen Berichterstattung nicht über die nächsten vier Jahre aufrecht zu erhalten, sondern auch die Entscheidungen einer Obama-Administration – wenn angebracht – zu hinterfragen. Momentan befürchte ich eher eine Hofberichterstattung – im krassen Gegensatz zu der erfreulich kritischen Berichterstattung über die Bush-Politik der letzten Jahre.
Die enorm hohen Erwartungen, die nicht nur die amerikanischen Wähler, sondern auch die Menschen aus aller Welt in Obama setzen und setzen werden, machen mir ebenfalls Sorgen. Die Entscheidung dieser Nacht war eine demokratische, der Vorsprung ist eindeutig und auch der Jubel aus allen Teilen der Welt lässt keinen Zweifel daran, dass die Mehrheit der Menschen sich über Obamas Wahlsieg freut. Diese klare Entscheidung muss auch jeder Skeptiker anerkennen – es soll aber nicht ungesagt bleiben, dass die übertriebenen und fast schon messianischen Erwartungen an den Kandidaten mit ziemlicher Sicherheit irgendwann enttäuscht werden dürften.
Ich wage nicht zu prognostizieren, wie viele der heutigen Jubilanten in zwei oder drei Jahren bitter enttäuscht sein werden, vermute aber, es wird so einige geben. All diejenigen Politiker, Künstler und Journalisten, die in den letzten Monaten leidenschaftlicher für Barack Obama gekämpft haben, als jemals für einen Kandidaten zuvor, werden sich in den nächsten Jahren auch daran messen lassen müssen, wie sich ihr Kandidat in der Rolle des Präsidenten schlägt. Viele ganz konkrete Probleme – Irak-Krieg, Energiepolitik, Wirtschaftskrise, Vertrauensverlust oder Terrorismus – werden sich nicht einfach durch „hope” und „change” lösen lassen, auch wenn dies sicher gute Voraussetzungen sind.
Über Barack Obama weiß man weniger als über jeden anderen Präsidenten der letzten hundert Jahre. Er hat kaum etwas veröffentlicht, nur wenige Jahre im „public office” zugebracht, hat im Senat häufig nur mit „present” abgestimmt – und abgesehen von der historischen Einmaligkeit seiner Kandidatur und seiner Fähigkeit, Menschen mitzureißen, deutet kaum etwas darauf hin, dass es sich bei Obama wirklich um einen Ausnahmepolitiker handelt. Es hat bisher nur wenige „policy speeches” gegeben, die nicht stark von Hoffnungsbotschaften und emotionalen Aufrufen durchsetzt gewesen sind. Die freie Presse ist ihrer Aufgabe, alle Kandidaten kritisch zu durchleuchten, leider nur unzureichend nachgekommen. Während die Fehler von Sarah Palin, die für den Vize-Job in der Tat eine fragwürdige Wahl gewesen ist, recht ausführlich in den Medien durchgekaut worden sind, war bei Obama und Biden starke Zurückhaltung zu spüren.
Auch viele amerikanische Wissenschaftler haben sich in bislang noch nicht dargewesenen Umfang für die Obama-Kandidatur eingesetzt – das sieht man schon, wenn man sich einmal flüchtig auf ScienceBlogs.com umsieht. Ich freue mich natürlich für die Kollegen, die heute sicher vom Feiern erschöpft sein werden. Erst in den kommenden Monaten und Jahren wird sich jedoch zeigen, ob diese Freunde tatsächlich angebracht gewesen ist. Ich bin und bleibe äußerst skeptisch ob der sehr unkritischen Betrachtung und der enormen und bisher noch nicht erlebten „Anhimmelung” eines Politikers, der ebenso viel kritische Aufmerksamkeit verdient wie jeder seiner Amtsvorgänger.
Meine Prognose: Wir werden in den nächsten Tagen und Wochen noch viel Aufbruchsstimmung der Form „hope” und „change” erleben – und vielleicht wird sich die Begeisterung sogar noch bis zur Amtsübergabe am 21. Januar halten lassen. Danach beginnt die Zeit der Realpolitik – und ich befürchte, dass viele Leute ziemlich schnell sehr enttäuscht sein werden von der „one party rule”. Barack Obama ist kein John Kennedy – und 2009 ist mit 1961 nicht zu vergleichen. Noch hoffe ich, dass uns allen das ganz böse Erwachen erspart bleibt – rechnen tue ich damit allerdings nicht.
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