In der vergangenen Woche war ich im Evangelischen Kloster Drübeck Zeuge einer „Fortbildung” von Religionslehrern. Die Haare stehen mir heute noch immer zu Berge…
Die Grundidee hinter der Fortbildung ist lobenswert: Da Lehrerinnen und Lehrer im Religions- und Ethikunterricht heute von ihren Schülern mit gesellschaftlichen Fragen konfrontiert werden, die zu ihren Studienzeiten noch nicht aktuell waren, ist ein kleines Update zum Thema „gerechte Gesellschaft” sicher von allgemeinem Interesse. So weit so gut. Kontrovers wurde es, als die Kirche als Referenten ausgerechnet Dr. Gregor Gysi verpflichtete, der unter anderem laut Abschlussbericht des Immunitätsausschusses des Deutschen Bundestages zwischen 1975 und 1986 als IM für die Staatssicherheit tätig gewesen sein soll (nachzulesen im Plenarprotokoll 14/198).
Gegen die Kritik durch DDR-Opferverbände und den Evangelischen Arbeitskreis der CDU wehrten sich die Veranstalter mit dem Hinweis, Gysi sei zwar als Referent eingeladen, die Mehrzahl der Lehrer stünde seinen Ideen aber äußerst kritisch gegenüber. Auch der Moderator – Herr Dr. Hahn vom PTI – würde sich von Gysi sicher nicht vereinnahmen lassen, so dass man der Vorwurf einer als Fortbildung „getarnten” Wahlwerbung getrost vergessen könne. Vielmehr sei ein besonders kritischer Diskussionsabend geplant, in dessen Verlauf Gysi auch mit „harten Fragen” zu rechnen habe.
Eine harte Debatte zwischen Gysi und Religionslehrern – das klingt doch nach einer spannenden Veranstaltung! Kurzerhand entschlossen meine Frau und ich uns dazu, in den hinteren Bänken des Auditoriums Platz zu nehmen, um der „kritischen Diskussion” beizuwohnen. Aus der wurde jedoch nichts, denn die angekündigte „Lehrer-Fortbildung” entpuppte sich als politische Werbeveranstaltung. Dem Referenten ist dabei kein Vorwurf zu machen, denn wenn man einem Politiker – gleich welcher Partei – ein Forum bietet und ihn ungebremst sprechen lässt, dann wird nun mal früher oder später das Parteiprogramm durchgekaut. Zu kritisieren ist dagegen der Veranstalter, denn eine „Fortbildung” mit „kritischen Diskussionen” anzukündigen und dann Wahlwerbung abzuliefern – ein mit öffentlichen Mitteln geförderter Bildungsträger sollte sich so etwas nicht erlauben.
Aber zurück zum Donnerstag: Ich sitze also mit meiner Frau im Auditorium und harre der Dinge, die da kommen mögen. Moderator Hahn kommt mit dem Referenten auf die Bühne und stellt ihn als „jüngsten Rechtsanwalt der DDR” und „Verteidiger von Robert Havemann” vor. Kein Wort zu 20 Jahren SED-Mitgliedschaft und Stasi-Vorwürfen (unter anderem wegen Bespitzelung eben jenes Robert Havemann). Statt dessen wird ein persönliches Grußwort von Bischof Noack übermittelt, der sich sehr über Gysis Besuch im Kloster freut.
Kein besonders überzeugender Anfang – aber der Abend ist ja noch lang. Bevor die Diskussion richtig losgehen kann, erinnert Moderator Hahn daran, dass es aufgrund der knapp bemessenen Zeit „natürlich” nicht möglich sein wird, eine kritische Aufarbeitung der DDR-Geschichte zu betreiben. Das überrascht mich ein wenig, da ich mir eine kritische Diskussion um Gysis Politik unter Ausblendung der DDR-Geschichte nur schwer vorstellen kann. Meine Überraschung nimmt zu, als Gysi zum Auftakt behauptet, die Kirchen seien die „einzige Stütze der Moral in unserer Gesellschaft”. Atheisten würden das sicher anders sehen, aber man kann einen Moderator der Kirche wohl keinen Vorwurf machen, wenn er an dieser Stelle nicht nachhakt.
Zu der Aussage Gysis, auch seine Partei könne als Stütze der Moral neben der Kirche gesehen werden, sie sei aber nach der „Niederlage von 1989″ noch zu schwach, um diese Rolle ausfüllen zu können, hätte ich mir dagegen eine kritische Nachfrage gewünscht. Statt dessen wendet sich das Gespräch den „guten Seiten der DDR” zu, zu denen Gysi bemerkt, dass „was in der DDR gut war, heute noch wie Hefe nachwirkt”. Als Beispiele führt er Jugendweihe und Schulsystem an. Die Betrachtung gipfelt in der Aussage, dass man „als reicher Mensch besser in der BRD, als armer Mensch besser in der DDR” gelebt habe. Ausreichend Material für die versprochenen kritischen Nachfragen, die leider ausbleiben.
Von den guten Seiten der DDR schwenken wir über zu Gysis Vorstellungen für eine „gerechte Gesellschaft der Zukunft”. Der macht den Vorschlag, der Staat solle alle Unternehmer mit mehr als 300 Mitarbeitern zu 49% enteignen, und die Besitzanteile an die Familien der Belegschaft durchreichen. Da mit dem Mittel der Enteignung bekanntlich schon von NSDAP und SED Politik betrieben wurde, bin ich mir sicher, dass die Veranstaltung jetzt „umkippt”. Zwei Theologen und ein Raum voll Religionslehrer – da wird doch sicher die eine oder andere Nachfrage drin sein. Falsch gedacht, denn dem Ruf nach Enteignung folgt fröhlicher Applaus.
Der Wendepunkt der Veranstaltung ist dennoch gekommen. War es bis hierhin noch so etwas wie ein Gespräch (wenn auch gewiss kein kritisches), so folgt nun reine Wahlwerbung. Gysi fordert die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns, das Ende von Hartz IV, die Erhöhung der Sozialleistungen, die Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems und die Anpassung der Ost-Renten. Wer sich das anhören will, hat auf jeder Parteiveranstaltung der PDS die Gelegenheit dazu – einen Grund, dies als (steuerfinanzierte) „Lehrer-Fortbildung” zu verkaufen, sehe ich nicht.
Wir wenden wieder den „guten Seiten der DDR” zu. Gysi behauptet, in den Kindergärten der DDR sei besonders gute pädagogische Arbeit geleistet worden, während die Kindergärten in der BRD reine „Kinderaufbewahrungsanstalten” seien. In Fahrt gekommen, stellt er zudem die Behauptung in den Raum, Erzieherinnen „aus dem Westen” seien vielfach unqualifiziert und meist „LIDL-Verkäuferinnen, für die an der Kasse grade kein Platz mehr frei war”. Meine Frau wirft mir einen bösen Seitenblick zu – sie hat den Beruf der Erzieherin in einer kirchlichen Einrichtung in Nordrhein-Westfalen erlernt. Ich zucke mit den Schultern und warte auf die Einwände von Moderator Hahn oder Hausherr Carstens. Da in den alten Bundesländern viele Erzieher/innen von der Kirche ausgebildet werden, rechne ich mit zaghaftem Widerspruch – leider wird aber nur abgenickt und weitergemacht.
Der „Dialogpart” gipfelt in der Aussage Gysis, das oberste Ziel der DDR-Justiz sei die Aufklärung der Wahrheit gewesen, während die BRD-Justiz sich stets darauf verstanden habe, jede Aufklärung durch Absprachen zu verhindern. Auch hierzu gibt es keine kritische Frage seitens Dr. Hahn oder Pfarrer Carstens.
Statt dessen wird die allgemeine Fragerunde eröffnet. Noch habe ich Hoffnung, dass wenigstens jetzt etwas Balance in die einseitige Veranstaltung kommt, da erhebt sich in der Reihe vor mir der erste Fragesteller. Er bescheinigt Gysi pauschal, in allen Punkten richtig zu liegen, und gibt an, nach diesem Vortrag nur noch eine Frage zu haben: „Wann geht endlich wieder ein Ruck durch Deutschland?”. Sollten dies die „kritischen Fragen” der versammelten Lehrerschaft sein? Da muss doch noch mehr kommen – allein schon die Redebeiträge zu Enteignung und DDR-Justiz liefern mehr als genug Diskussionsstoff.
Leider aber kommt gar nichts mehr. Die einzige halbwegs konfrontative Frage des Abends stellt Pfarrer Carstens, der sich zu Recht an Gysis unmöglicher Formulierung stört, der Einigungsvertrag sei ein „Vertrag zwischen Sieger und Besiegtem” gewesen. Bedauerlicherweise ergibt sich auch hieraus keine kritische Diskussion.
Fazit nach zwei Stunden: Anstatt einer „Lehrer-Fortbildung” wurde im Kloster eine reine Wahlwerbeveranstaltung durchgeführt. Abgesehen von der Aufzählung der „guten Seiten der DDR” wurde im Grunde nur eine Forderung der Linkspartei nach dem anderen „abgespult”. An keiner Stelle gab es die angekündigten „harten Fragen”, so dass die Veranstaltung an Einseitigkeit kaum zu überbieten war. Die vielen Briefe, Anrufe und E-Mails von in der DDR verfolgten Kirchenmitgliedern, die gegen diese „Fortbildung” protestiert hatten, wurden den ganzen Abend über mit keinem Wort erwähnt. Heile Welt im Kloster Drübeck.
Warum regt mich eine solche „Fortbildung” so auf, dass ich mich dazu seitenlang im Blog auslasse? Klar, könnte man denken, der ist bei der CDU, den stört es bestimmt immer, wenn Gysi irgendwo spricht. Genau das ist aber nicht der Punkt. Vertreter jeder zugelassenen politischen Partei haben in diesem Land das Recht darauf, so häufig und so lange über ihr Wahlprogramm zu sprechen, wie ihnen jemand zuhören möchte. Wie man zu den Inhalten steht, ist dabei vollkommen irrelevant. Pluralismus und Meinungsfreiheit sind die Markenzeichen jeder echten Demokratie – und auch wenn ich mit dem, was Gysi sagt, in keinster Weise einverstanden bin, würde ich jederzeit für sein Recht eintreten, seine Ansichten offen aussprechen zu dürfen. Natürlich wäre es schön, wenn SED-Opfer in den Medien so viel Redezeit bekämen, wie SED-Mitläufer, aber das ist ein anderes Thema…
Der Punkt ist vielmehr, dass das Kloster Drübeck und das Pädagogisch-Theologische Institut (PTI) eine Wahlveranstaltung als „Lehrer-Fortbildung” umetikettiert haben. Für solche Fortbildungen gelten jedoch Minimalkriterien, die 1976 im sogenannten „Beutelsbacher Konsens” festgelegt wurden. Zu diesen Anforderungen gehört, dass alle Veranstaltungen mit politischem Hintergrund (der hier sicher gegeben war), stets ausgewogen sein müssen, d.h. „was in der Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers erscheinen”.
Von der Bundeszentrale für politische Bildung anerkannte Bildungsträger müssen sich dazu verpflichten, die Beutelsbacher Kriterien in ihren Fort- und Weiterbildungen zu beachten, wenn sie förderfähig sein möchten. Enteignung, flächendeckender Mindeslohn und die Performance des DDR-Schulsystems aber sind Themen, die sowohl in der Wissenschaft als auch in der Politik kontrovers diskutiert werden. PTI und Kloster Drübeck unterlaufen also – bewusst oder unbewusst – den Beutelsbacher Konsens, wenn sie eine vollkommen einseitige Darstellung politischer Inhalte im Rahmen einer Lehrer-Fortbildung zulassen.
Da sich die Leitung des PTI im Vorfeld der Veranstaltung gegen alle Vorwürfe mit dem Argument verteidigt hat, die zu vermutenden Mängel in der Ausgewogenheit würden durch die „kritischen Fragen” von Moderator und Publikum wieder ausgeglichen, muss wohl davon ausgegangen werden, dass hier ganz bewusst „beschönigt” wurde – vielleicht in der Hoffnung, dass niemand an der Veranstaltung teilnimmt, der sich anschließend beschwert.
Mein Ärger über die extreme Einseitigkeit ist jedenfalls noch nicht verfolgen. Dass das PTI und die Evangelische Kirche die vielen Beschwerden und Bittbriefe von SED-Opfern einfach mit dem Argument beiseite gewischt haben, man kenne die Problematik und würde schon darauf achten, dass Gysi kritisch hinterfragt würde – das ist schon schlimm genug. Dass aber dann ein auch nicht im Ansatz kritisch zu nennendes Wahlforum anstelle der angekündigten (und – so vermute ich mal – auch abgerechneten) „Lehrer-Fortbildung” durchgeführt wurde, das schlägt dem Fass den Boden aus.
Was genau hätten Lehrer auf dieser Veranstaltultung lernen sollen, dass es wert gewesen wäre, in Religions- und Ethikunterricht einzufließen? Dass Enteignungen eine gute Sache sind? Worin genau bestand der Fortbildungscharakter dieser Veranstaltung? Wie wird sie gegenüber den Mittelgebern abgerechnet? Als politischer Vortrag von Gregor Gysi oder als “pädagogisches Diskussionsforum zum Thema Gerechtigkeit im Kloster Drübeck”?
Ich hoffe, PTI und Kloster Drübeck lernen aus der Veranstaltung und den nun sicher folgenden Diskussionen – und lassen sich nie wieder dazu hinreißen, Wahlwerbung als „Fortbildung” zu verkaufen. Für keine Partei.
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