Alarmsignal für den Naturschutz: Im Wirtschaftsministerium ist man offenbar der Meinung, Naturschützer würden Vorkommen seltener Tiere „erfinden”, um Straßenbauprojekte zu blockieren. Eine ministeriale Verschwörungstheorie?
Der Focus (Print-Ausgabe 3/2009, Seite 116) berichtet:
Um Investitionen zu beschleunigen, will Bundeswirtschaftsminister Michael Glos den Naturschutz überdenken: Teure, Zeit raubende Umweltverträglich-keitsprüfungen, die Gefahren für Tier und Pflanze aufspüren sollen, würden zum Missbrauch einladen. Jedermann könne „mit nicht nachgewiesenen Behauptungen auf Vorkommen seltener Spezies insbesondere Verkehrs- investitionen” blockieren. Beliebte Phantomtiere seien dem Vernehmen
nach die „sehr scheue Haselmaus”, Feldhamster und Mopsfledermaus.
Deutlicher kann man es kaum ausdrücken: Im BMWi glaubt man, das Vorkommen seltener Spezies von einzelnen Naturschützern und/oder ganzen Organisationen gefakt werden, um Straßenbaumaßnahmen zu blockieren. Konkrete Hinweise auf ein solches Verhalten werden im Artikel nicht benannt, dafür spricht aber die Wortwahl Bände („Phantomtiere”, „die sehr scheue Haselmaus”). Eine Verschwörungstheorie von ganz weit oben?
Fast scheint es so, der Pessimist in mir befürchtet jedoch etwas ganz anderes. Denn wie wahrscheinlich ist es, dass Herr Glos hier vorpresscht und über seine Pressestelle derartige Behauptungen in den Medien streuen lässt, wenn nicht wenigstens ein konkreter Beispielfall für ein Fehlverhalten vorliegt, den man bei Bedarf wie ein Kaninchen hervorzaubern kann?
Natürlich wäre es selbst angesichts eines solchen Falles ein absolutes Novum, wenn ein Gesetz nur deshalb außer Kraft gesetzt würde, weil “es zum Mißbrauch einlädt”. Auf Anhieb würden mir da vom Gleichstellungsgesetz über die Pendlerpauschale bis hin zu diversen Sahnestücken der Steuergesetzgebung etliche Vorschriften und Gesetze einfallen, die in sehr viel größerem Maß “zum Mißbrauch einladen” und deren Abschaffung trotzdem nie jemand ernsthaft fordern würde…
Und so bleibt das Gefühl, dass hier versucht werden soll, mit äußerst dubiosen Argumenten quasi “durch die Hintertür” die Verträglichkeitsprüfung als ein wesentliches Element des Umweltschutzes auszuhebeln, um so den Weg für Straßenbauprojekte frei zu machen, die sowohl ökologisch als auch ökonomisch in die Sackgasse führen. Sowas geht – da bin ich mir sicher – nur in autoverrückten Deutschland. Denn wie stellte Solarblogger Franz Alt schon vor fast zehn Jahren treffend fest:
Ökologische Verkehrswende heißt Abschied nehmen von einer Verkehrs-politik, die sich als Autopolitik versteht. Die Monokultur Auto ist so wenig lebensfreundlich wie jede Monokultur. Sie zerstört unsere Überlebens- elemente Wasser, Luft und Boden und die Nerven der Menschen. Und sie führt exakt in die Immobilität. Manchmal sind im Radio die Staunachrichten schon länger als die Weltnachrichten.
Jahr für Jahr gibt es neue Rekordmeldungen für Autostaus. Der bisherige Spitzenwert liegt bei 140 Kilometer Stau zwischen Hamburg und Flensburg. Der deutsche Mensch verbringt am Ende dieses Jahrhunderts mehr Stunden im Stau (67) als beim Sex (40) pro Jahr. Welch armselige Lebensqualität!
Die Abkehr von der Autopolitik – noch lässt sie wohl auf sich warten, wie Straßenbau-Konjunkturprogramm und Abwrackprämie überdeutlich zeigen. Wenn nun aber auch noch im Fahrwasser der Kreditkrise sozusagen als Förderung der Straßenbau-Branche neue Regeln für Verträglichkeitsprüfungen durchgedrückt werden sollen, dann ist das Ende der Fahnenstange wirklich bald erreicht. Es existieren weiß Gott auch noch ganz andere Möglichkeiten zur Konjunkturförderung als Straßenbau um jeden Preis – und das weiß man auch im BMWi.
Solange natürlich jeder Politiker sich im Kampf für neue Straßen und niedrigere KFZ-Steuern zum Volkshelden stilisieren lassen kann, solange ist das Incentive einfach zu groß, immer wieder nach Schema X zu fördern und zu fordern. Dass nun aber auch Verschwörungstheorien von Phantomtieren und bösen Umweltschützern in die Welt gesetzt werden, das eröffnet leider ganz neue Dimensionen. Da kann man wirklich nur hoffen, dass dieser offensichtliche Profilierungsversuch nicht über das Larvenstadium hinaus gedeiht…
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