Wenn Angela Merkel am 31.03 das Rüsselsheimer Opel-Werk besucht, erwartet sie eine besondere Überraschung: Mehrere hundert Kinder von Opel-Mitarbeitern, die über ihre Zukunftsängste singen. Emotionalisierung statt Argumentation – eine schlechte Wahl.
Mom, Ich hab Angst – ein Gewitter kommt,
Siehst Du die Wolken am Horizont?
Der Himmel wird dunkel – die Sonne geht,
Die Hoffnung bleibt – es ist nie zu spät!
Hörst Du den Donner – er ist jetzt da,
Mom, die Bedrohung ist ganz nah
So fängt es an, das “Rettet-Opel-Kinderlied” mit dem Titel “Seht das Zeichen”:
Die Art und Weise, in der hier Kinder dazu instrumentalisiert werden, politische Ziele durchzusetzen, möchte ich gar nicht weiter kommentieren. Der Chor mit dem Namen “Die Kinder der Opelaner” ist letztendlich nur ein Beispiel in einer viel zu langen Reihe für die zunehmende Emotionalisierung politischer Themen, die inzwischen Ausmaße angenommen hat, die sachliche Auseinandersetzungen vielfach unmöglich machen.
Natürlich ist Politik immer mit einer gewissen Portion an Leidenschaft und Emotionen verbunden – und gerade weil es um Arbeitsplätze und die Zukunft von Familien und Kindern geht, lässt sich die “Causa Opel” nicht nur auf der Sachebene diskutieren. Darüber hinaus geht es aber auch um die Frage, ob Opel überhaupt profitabel betrieben werden kann, darum, was mit den in den USA verpfändeten Opel-Patenten weiter geschieht und darum, inwieweit eine staatliche Rettung wichtige ordnungspolitische Grundsätze verletzen würde.
Die parteiübergreifende Kritik am vorgelegten Sanierungsplan sowie die unangenehme Tatsache, dass die Mehrheit aller Bundesbürger eine steuergeldfinanzierte Rettung des angeschlagenen Konzerns ablehnt, verschärfen die Situation zusätzlich. Mit Hilfe eines emotionalen Kraftakts hofft man nun scheinbar, diese Fragen in den Hintergrund drängen zu können. Denn welcher Politiker möchte im Wahljahr schon Kinder im Regen stehen lassen?
Der Blitz, der Blitz, kommt aus `ner Welt wo Freundschaft und Familie zählt!
Der Blitz, der Blitz, der gibt euch Kraft damit Ihr Opels Wunder schafft!
Die Emotionalisierung politischer Themen erschwert inzwischen zunehmend den öffentlichen Diskurs. Von der unsäglichen Debatte über die Einführung von Zensurmechanismen für das Internet, in der auch vollkommen unverdächtige Kritiker öffentlich mit dem Stigma des “Kinderporno-Unterstützers” belegt werden, bis hin zur reflexartig-aufgeregten Killerspiel-Diskussion nach jedem Amoklauf.
Dabei geht es bei der Internet-Sperre nur marginal um Kinderpornograhpie und vorrangig um die Ahndung von Copyright-Verstößen (siehe letzter Absatz), deren Schwere eine erhebliche Einschränkung allgemeiner Grundrechte kaum rechtfertigt. Und anstatt zu ergründen, welche Probleme deutsche Schüler mit sich herumtragen oder welche Bedeutung die widerwärtige Berichterstattung bei Amokläufen für deren Zustandekommen hat, ist es natürlich einfacher, sich auf “Killerspiele” einzuschießen und dabei die wirklich wichtigen Fragen zu ignorieren.
Nun haben wir die singenden Opel-Kinder, deren mediales Gewicht am 31. März wesentlich größer sein dürfte, als alles, was an diesem Tag über Bilanzen oder Patente gesagt wird. Und angesichts dieser enormen Emotionalisierung wundern wir uns ernsthaft über das Zustandekommen von irrationalen Entscheidungen? Wer will denn öffentlich die Rolle des “Arbeitsplatzvernichters”, des “Kinderporno-Unterstützers” oder des “Killespiel-Verteidigers” übernehmen und sich damit zum Buhmann der Nation machen?
Eine emotionslose Politik ist für mich nicht vorstellbar – eine rein emotionsgesteuerte Politik auf kleinstem medialem Nenner jedoch ist unverantwortlich. Die Art und Weise, in welcher Medien und Parteien enorm wichtige Themen wie Verstaatlichung oder Zensur immer stärker emotionalisieren, erstickt jede Debatte im Keim.
Wer weiß schon, dass der wissenschaftliche Dienst des Bundestages die Internet-Sperre für eine Bedrohung der grundgesetzlich verbrieften Diskussionsfreiheit hält? Wo wird denn offen über die Frage diskutiert, ob es vertretbar ist, wenn Medienvertreter die Friedhofsmauer von Winnenden erklettern oder entsetzten Schülern “Cash gegen Tränen” bieten? Wer kennt schon die tatsächlichen Geschäftszahlen von Opel (übrigens 2005 -92 Mio. Euro, 2006 -230 Mio. Euro und 2007 -338 Mio. Euro)?
Ein öffentlicher Diskurs findet vielfach nicht statt, weil Fakten tabuisiert und Themen emotional derartig aufgebauscht werden, dass die Einnahme von Kontrapositionen schlicht und ergreifend nicht mehr möglich ist. Hier muss sich dringend etwas ändern, wenn wir nicht Gefahr laufen wollen, von einem Medienhype in den nächsten getrieben zu werden, während die Zahl öffentlicher Diskussionen mit inhaltlicher Substanz weiter abnimmt.
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