Am 20. April 2009 fand im Berliner Paul-Löbe-Haus das erste öffentliche Fachgespräch zum Thema Lichtsmog mit Bundesparlamentariern statt. Ich hatte das Glück, der immerhin fast sechsstündigen Veranstaltung gemeinsam mit zwei Kollegen beiwohnen zu können.
Organisiert wurde die Veranstaltung von Peter Hettlich, der für die sächsischen Grünen im Bundestag sitzt, und sich nach eigenem Bekunden seit dem 10. Lebensjahr der Astronomie verschrieben hat. Den Auftakt bildeten vier Fachvorträge, mit denen das Spektrum der von der Lichtverschmutzung verursachten Probleme abgedeckt wurde – von der Verdunkelung des Sternenhimmels über die medizinischen Folgen falscher Beleuchtung und die Konsequenzen für Flora und Fauna bis hin zur Energieverschwendung durch den ineffizienten Umgang mit Licht. Zwei Impulsreferate zu rechtlichen und wissenschaftlichen Fragestellungen sowie ein Diskussionspanel mit den versammelten Experten rundeten das Fachgespräch ab.
Natürlich ist es unmöglich, sechs Stunden Vorträge und Diskussionen im Rahmen eines Posts zusammenzufassen, weshalb ich mich nur auf die vier Fachvorträge konzentrieren möchte.
Fachvortrag I: Der verborgene Himmel – Dr. Andreas Hänel
Als erster Referent trat Andreas Hänel vom Osnabrücker Planetarium auf, der vermutlich jedem ein Begriff ist, der schon mit der Lichtverschmutzungs-Thematik zu tun hatte. Als Sprecher der Fachgruppe Dark Sky der VdS (Vereinigung der Sternenfreunde) kämpft Hänel schon seit Jahren gegen die um sich greifende Lichtverschmutzung. Mit vielen Aufnahmen demonstrierte er am Montag, welche Ausmaße die künstliche Aufhellung des Nachthimmels mittlerweile angenommen hat. So sind astronomische Phänomene wie das Nordlicht kaum noch zu sehen und daher inzwischen schon so unbekannt, dass die sehr seltenen Sichtungen damit enden, dass die Feuerwehr wegen Giftgasalarms ausrücken muss, wie beispielsweise im Jahr 2000 in Wessel (NRW) geschehen.
Wie überflüssig die Beleuchtung manchmal sein kann, verdeutlichte Hänel unter anderem am Beispiel des Bonner Post-Towers, der 2002 fertig gestellten Konzernzentrale der Deutschen Post AG. Die Fassade des Gebäudes ist mit 5.775 Leuchtstoffröhren bestückt, die allerdings dank einer Untersuchung durch den Biologen Heiko Haupt während der Zeit der Vogelzüge nur noch begrenzt eingesetzt werden, um die so genannten Towerkills – den Tod von Vögeln an der leuchtenden Fassade – zu minimieren:
„In Deutschland hat der Bonner Biologe Heiko Haupt den Post-Tower von Bonn daraufhin genauer unter die Lupe genommen, mit seinen 162,5 Metern eines der größten Hochhäuser Deutschlands, das in der Nacht gleich in mehreren Farben hell erleuchtet wird. Innerhalb eines einzigen Jahres wurden über 827 Vögel durch die Beleuchtung irritiert, 151 davon (18,3 Prozent) starben unmittelbar am Turm, meist durch Aufprall bzw. Absturz.”
Hänel gelang es zudem, die Schwere des Verlusts zu vermitteln, den wir uns als Gesellschaft selbst zufügen, indem wir uns selbst der Wunder des Nachthimmels berauben. Was uns hier an kulturellem Erbe, künstlerischer Inspiration, wissenschaftlichem Erkenntnisgewinn und vor allem auch an Lebensqualität verlorengeht, bleibt letztendlich schwer zu erfassen.
Weiterführende Informationen zum Thema finden sich hier:
Cinzano, P.; Falchi, F. & Elvidge, C.: The first world atlas of the artificial night sky brightness , Monthly Notices of the Royal Astronomical Society, 328, 689-707, 2001. https://homepages.wmich.edu/~korista/skybright.pdf
Crawford, D.: Light Pollution: The Problems, the Solutions, Preserving The Astronomical Windows. Proceedings of Joint ASP Conference, Vol 139, 1998. https://adsabs.harvard.edu/abs/1998paw..conf…13C
Osterbrock, D.; Walker, M. & Koski, A.: The spectrum of light pollution at Mount Hamilton, Publications of the Astronomical Society of the Pacific, 1976. https://adsabs.harvard.edu/abs/1976PASP…88..349O
Fachvortrag II: Der gestörte Schlaf – Dr. Dieter Kunz
Der – zumindest aus meiner Sicht – beunruhigendste und zugleich faszinierenste Vortrag des Tages kam von Dr. Dieter Kunz, dem Chefarzt der Psychiatrischen Universitätsklinik der Charité im St. Hedwig Krankenhaus. Kunz hält künstliches Licht zum falschen Zeitpunkt für den gegenwärtig negativsten Einflussfaktor auf die menschliche Gesundheit – eine Aussage, die man angesichts neuster Erkenntnisse aus der Schlafforschung sehr ernst nehmen sollte.
Wie bei allen Lebewesen auf dem Planeten, sorgen auch beim Menschen die Mechanismen der Evolution für eine optimierte Anpassung an die Lebensumgebung und damit auch an den Tag-Nacht-Wechsel. Die Chronobiologie bezeichnet die Fähigkeit von Organismen, sich auf täglich wiederkehrende Zustände einzustellen, als “circadiane Rhytmik”. Beim Menschen ist unter anderem die Produktion von Melatonin in der Zirbeldrüse eng mit dem circadianen Rhytmus verbunden. Melatonin dient anderen Systemen im Körper als Zeitgeber, seine Ausschüttung ist zudem der Auslöser für die Tiefschlafphase.
Zunehmende Schichtarbeit und stärkere Nachtbeleuchtung haben laut Kunz dafür gesorgt, dass viele Menschen mittlerweile stark im Gegensatz zu ihren circadianen Rhytmen leben. Bleibt es aufgrund der künstlichen Beleuchtung länger hell oder setzt sich der Mensch kurz vor dem Schlafengehen noch besonders intensiven Lichtreizen (Badezimmerlampe) aus, wird die Melatonin-Produktion gebremst. Wie verschiedene Studien belegen, weisen Patienten mit bestimmten Krebsarten einen tendenziell zu niedrigen Melatoninspiegel auf, was die Vermutung nährt, dass die äußere Beeinflussung der Melatonin-Produktion und damit die “Umtaktung” der inneren Uhr die Entstehung von Krebs begünstigen kann.
Hochinteressant waren auch Kunz Ausführungen zu einem an Schulen im Raum Hamburg durchgeführten Experiment, dessen Ergebnisse deutlich belegen, dass sich Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit von Schülern durch gezielte Beleuchtung mit ganz bestimmten Wellenlängen signifikant steigern lassen. Das Experiment ist so interessant, dass es einen eigenen Blogpost verdient hat – und den sicher demnächst auch bekommen wird. Bis dahin verweise ich auf die weiter oben verlinkte Webseite, von der sich eine Zusammenfassung der wichtigsten Studienergebnisse herunterladen lässt.
Weiterführende Informationen zum Thema finden sich hier:
Kloog, I., Haim, A; Stevens, R.G.; Barchana, M. & Portnov, B.A.: Light at night co-distributes with incident breast but not lung cancer in the female population of Israel, in: Chronobiology International 2008 Feb;25(1):65-81. https://lib.bioinfo.pl/auth:Kloog,I
Fachvortrag III: Die verwirrte Tierwelt – Prof. Gerhard Eisenbeis
Auch der Biologie Prof. Gerhard Eisenbeis von der Mainzer Johannes Gutenberg Universität dürfte vielen thematisch Interessierten bereits ein Begriff sein, untersucht er doch bereits seit Jahrzehnten den Einfluss künstlicher Beleuchtung auf die Tierwelt – mit besonderem Fokus auf den Insekten. Milliarden Insekten verbrennen jedes Jahr in Straßenlampen oder umfliegen diese so lange, bis sie – erschöpft und ausgezehrt – zu Boden stürzen oder von Fressfeinden getötet werden.
Als Beispiel für ein Ökosystem, welches durch Kunstlicht aus dem Gleichgewicht gebracht werden kann, nannte Eisenbeis die Wanderung von Zooplankton. Einige Arten führen so genannte „tagesperiodische Wanderungen” durch, d.h. sie begeben sich tagsüber in tiefere Wasserschichten, um auf diese Weise ihren Fressfeinden zu entkommen. Während der Nacht wandern sie zur Nahrungsaufnahme wieder an die Oberfläche. Wird die aber nachts beleuchtet (z.B. durch eine Straßenlampe in Ufernähe), werden die Wanderungsbewegungen gestört, da die Tiere nicht mehr zwischen Tag und Nacht unterscheiden können. Als Folge suchen sie die schützenden Regionen kürzer oder gar nicht mehr auf, und fallen in größerer Zahl ihren Fressfeinden zum Opfer. Unklar ist noch, ob eine Beleuchtung über tausende Generationen von Zooplankton hinweg nicht auch deren Evolution beeinflussen könnte, so dass durch ein “Licht aus” die ursprünglichen Rythmen nicht wiederhergestellt würden.
Wie Eisenbeis ausführte, werden viele Lebensformen durch übermäßige Beleuchtung stark geschädigt. Bäume, die im Licht einer Straßenlampe stehen, werfen ihre Blätter wesentlich später ab, was bei überraschend einsetzendem Frost zu Problemen führen kann. Nachtaktive Säugetiere werden in ihren Wanderungsbewegungen gestört, einige weisen in durchgängig beleuchteten Umgebungen ein geringeres Wachstum auf. Vögel werden durch Skybeamer und beleuchtete Hochhäuser abgelenkt, kommen an Gebäudefassaden zu Tode oder ändern den Standort ihrer Brutplätze (das Bild zahlreicher Vögel, die von den “Towers of Light” des WTC-Memorials in New York “eingefangen” werden, hat mich besonders beeindruckt).
Den Insekten gilt das besondere wissenschaftliche Intresse von Prof. Eisenbeis, der im Rahmen eines großangelegten Beleuchtungsversuch in Düsseldorf untersuchen konnte, welche Leuchtmittel in welcher Konfiguration welche Insektenarten in welchem Umfang anlocken. Da die Ergebnisse dieser aufwändigen Studie erst noch publiziert werden, hielt Eisenbeis sich bezüglich konkreter Zahlen verständlicherweise sehr bedeckt. An dieser Stelle möchte ich auf die Ergebnisse daher gar nicht erst eingehen, sondern begnüge mich mit der Anmerkung, dass sich die von uns im Rahmen des AuLED-Projekts wiederholt festgestellte Insektenfreundlichkeit von LEDs auch im Düsseldorfer Experiment wieder klar gezeigt hat.
Ein Interview mit Prof. Eisenbeis zum Lichtsmog-Thema findet sich bei 3Sat Nano:
Weiterführende Informationen zum Thema finden sich hier:
Höttinger, H. & Graf, W.: Zur Anlockwirkung öffentlicher Beleuchtungseinrichtungen auf nachtaktive Insekten, Studie im Auftrag der Wiener Stadtverwaltung, 2003. https://www.wien.gv.at/umweltschutz/pool/pdf/lichtquelle.pdf
Longcore, T. & Rich, C.: Ecological Light Pollution, Frontiers in Ecology and the Environment 2(4):191-198, 2004. https://www.seaturtle.org/PDF/Longcore_2004_FrontEcolEnviron.pdf
Moore, M.; Pierce, S.; Walsh, H.; Kvalvik, S. & Lim, J.: Urban light pollution alters the diel vertical migration of Daphnia, Verh. Internat. Verein. Limnol. 27: 1-4, 2000. https://www.wellesley.edu/Biology/Faculty/Mmoore/Content/Moore_2000.pdf
Fachvortrag IV: Die verschwendete Energie – Hans-Josef Fell MdB
Der finale Fachvortrag wurde von Hans-Josef Fell gehalten, dem Sprecher für Energie- und Technologiepolitik der grünen Fraktion. Fell bemängelte, dass dem Energieverbrauch der Beleuchtung zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird, da die Beleuchtung in privaten Haushalten für kaum mehr als 1% der Energiekosten verantwortlich ist, und daher als unbedeutender Verbrauchsfaktor gilt. In Büroräumen, Industrieanlagen oder im öffentlichen Raum (Straßenbeleuchtung) kommt dem Verbrauch der Beleuchtung jedoch wesentlich mehr Gewicht zu – und dort ist es auch, wo man nach Meinung von Fell zuerst ansetzen müsste.
Insgesamt werden etwa 10% der weltweit erzeugten elektrischen Energie für die Beleuchtung aufgewendet, wobei sich mit der LED und ihrem im Vergleich zur herkömmlichen Glühbirne um fast 6/7 geringeren Verbrauch längst das Leuchtmittel der Zukunft abzeichnet. Neben der Umstellung auf LEDs spielt die Optimierung der Beleuchtungskörper eine wesentliche Rolle für die Minimierung von Lichtverschmutzung. Auf Kugelleuchten, die Licht in alle Himmelsrichtungen abgeben sollte Fell zufolge daher ebenso verzichtet werden, wie auf die sogenannten Bodenstrahler (über den Einsatz von Bodenstrahlern in Wernigerode hatte ich hier vor zwei Monaten schon einmal etwas geschrieben).
Der beste Rat, den man laut Fell geben kann, ist jedoch der, auf wirklich überflüssige Beleuchtung gänzlich zu verzichten. Ein eindrucksvolles Beispiel hierfür ist die nächtliche Autobahnbeleuchtung in Belgien, die ersichtlich keinem anderen Ziel als dem dient, die nächtlichen Energieüberschüsse der belgischen Atomwirtschaft abzubauen, und die insofern nicht viel mehr ist, als eine versteckte Subventionierung der Kernenergie mit Steuergeldern.
Licht aus, wo überflüssig – ein schönes Fazit für den ersten Teil der Veranstaltung.
Weiterführende Informationen zum Thema finden sich hier:
Kim, J.K & Schubert, E.F.: Transcending the replacement paradigm of solid-state lighting; in: Optics Express Vol. 16, No. 26., New York, 2008. https://www.opticsinfobase.org/oe/abstract.cfm?uri=oe-16-26-21835
An Fells Vortrag schloss sich eine kurze Kaffeepause und damit die Gelegenheit an, den Referenten die eine oder andere zusätzliche Frage zu stellen und sich mit den anderen Teilnehmern auszutauschen. Im weiteren Verlauf folgten zwei Impulsreferate zu rechtlichen und wissenschaftlichen Fragestellungen in Zusammenhang mit der Lichtsmog-Problematik, sowie eine Podiumsdiskussion, in deren Rahmen die Expertenrude ausführlich auf Fragen der Teilnehmer einging – insgesamt viel zu viel Inhalt, um hier auch nur ansatzweise wiedergegeben zu werden. Erfreulicherweise hat Peter Hettlich zugesichert, die Foliensätze der Veranstaltung in der kommenden Woche auf seiner Webseite zur Verfügung zu stellen.
Die Tatsache, dass mit dem Fachgespräch Lichtverschmutzung erstmalig in der BRD eine öffentliche Veranstaltung mit Parlamentariern zur Problematik stattgefunden hat, kann sicher als ein Hoffnungsschimmer bewertet werden. Da Organisator Peter Hettlich für die kommende Legislaturperiode aus familiären Gründen bedauerlicherweise nicht mehr zur Verfügung stehen wird, verliert die noch sehr kleine Gruppe der an der Lichtverschmutzung interessierten Abgeordneten jedoch bereits in einigen Monaten ein wichtiges Mitglied.
Zwar versprach die Sprecherin der Grünen für Umweltpolitik, Sylvia Kotting-Uhl, den Teilnehmern bei der Verabschiedung, den Staffelstab in Sachen Lichtverschmutzung zu übernehmen, der Weggang des augenscheinlich äußerst engagierten Hettlich ist dennoch ein Rückschlag. Da kann man nur hoffen, dass sich zukünftig noch mehr Politiker finden, die das Problemfeld solange bearbeiten, bis vielleicht eines Tages eine wirklich brauchbare rechtliche Grundlagen zur Verhinderung von Lichtsmog geschaffen werden kann…
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