Das „Umkippen” eines Sees oder Flusses ist ein schweres ökologisches Problem. Was aber ist überhaupt mit dem Begriff des „Umkippens” gemeint – und was löst diesen Prozess aus?
Um das Umkippen eines Gewässers zu verstehen, muss man mit dessen grobem Aufbau vertraut sein. Da stehende Gewässer wegen der besseren Wachstumsmöglichkeiten für Algen unter sonst gleichen Umweltbedingungen mit einer größeren Wahrscheinlichkeit umkippen als Fließgewässer, betrachten wir als Beispiel einen durchschnittlichen eutrophen (nährstoffreichen) Süßwassersee während des Sommers (zur Jahreszeit weiter unten mehr).
Wasserschichtung in einem sommerlichen Süßwassersee
Wie meine mittelprächtige Grafik zeigt, existieren drei (temperaturbedingte) Schichten. Die obere Schicht (das Epilimnion) besteht aus warmem Wasser. In dieser Schicht leben wegen der direkten Sonneneinstrahlung auch die meisten Algen (das Phytoplankton), die für den Prozess des Umkippens eine große Rolle spielen. Unterhalb des Epilimnions befindet sich die sogenannte Thermokline – eine Art Sperrschicht mit großer innerer Temperaturdifferenz. Die unterste Schicht (das Hypolimnion) besteht aus kaltem Wasser. Tote Biomasse (von abgestorbenen Algen, toten Fischen etc.), die aus der oberen Schicht nach unten sinkt, wird hier (hauptsächlich) von sogenannten aeroben Bakterien abgebaut, d.h. von Bakterien, die Sauerstoff für ihre Stoffwechselprozesse benötigen.
Den (grob vereinfachten) biologischen Kreislauf kann man sich also wie folgt vorstellen: Biomasse wird durch Algen und Wasserpflanzen aufgebaut, von Konsumenten (Zooplankton, Fischen etc.) verwertet und zuletzt durch Baktrien – die Destruenten – abgebaut. Gerät dieser Stoffkreislauf in erheblichem Maße aus dem Takt, spricht man von einem Umkippen.
Was muss passieren, damit ein See umkippt?
Der häufigste Auslöser für das Umkippen eines Gewässers ist die Eutrophierung – die verstärkte Anreicherung des Wassers mit Nährstoffen wie Nitraten und Phosphaten. Nun könnte man natürlich denken, dass Nährstoffe eigentlich etwas positives sind – je mehr Nährstoffe, desto mehr Pflanzenwachstum, desto mehr Nahrung für Tiere etc. pp. Solange dabei gewisse Grenzen nicht überschritten werden, ist das auch vollkommen korrekt – wenn aber ein Gewässer mit Nährstoffen „überschwemmt” wird , kann das verheerende Folgen für das biologische Gleichgewicht haben.
Zu einer solchen Nährstoffschwemme kommt es beispielsweise dann, wenn Düngemittel aus der industriellen Landwirtschaft über abfließendes Wasser von einem Feld in ein Gewässer gelangen. Auch die Einleitung von Abwässern über eine Kläranlage kann zu einer verstärkten Anreicherung des Wassers mit Nährstoffen führen (Mist ist bekanntlich ein guter Dünger…).
Wie man sich vorstellen kann, löst eine Nährstoffschwemme zunächst einmal ein extrem starkes Pflanzenwachstum aus, wobei sich insbesondere Algen stark vermehren. Ist der Nährstoffeintrag (als „Eintrag” bezeichnet man in der Ökologie das Hineingelangen von Soffen in einen Kreislauf) groß genug, kommt es schon bald zu einer charakteristischen „Algenblüte” – einem dicken Algenteppich, der unter ungünstigen Umständen die gesamte Oberfläche des Sees bedeckt und darin lebende Organismen vom Licht abschneidet.
Algenblüte im Wernigeröder Zillierbach
Durch Düngemittel ausgelöste Algenblüte im Kaspischen Meer (Bildquelle: NASA)
Zwar steigt mit der Algenblüte zunächst auch das Nahrungsangebot für Zooplankton und Fische, sind aber zuviele Nährstoffe ins Wasser gelangt, können die Konsumenten schon bald nicht mehr Schritt halten und das Algenwachstum explodiert. Massenhaft abgestorbene Algen sinken auf den Boden des Sees und können dort von den aeroben Destruenten allein nicht mehr abgebaut werden, da nicht genügend Sauerstoff zur Verfügung steht.
Sauerstofflose (anaerobe) Abbauprozesse, die quasi als “Nebenprodukt” in der Bildung von Faulschlamm resultieren, nehmen in dieser Situation mehr und mehr Überhand und führen zur zweiten charakteristischen Eigenschaft eines umgekippten Gewässers: dem fauligen Gestank nach Methan und Schwefel. Sobald die anaeroben gegenüber den aeroben Abbauprozessen endgültig dominieren, gilt der See als umgekippt.
Übermäßiger Nährstoffeintrag führt zum Umkippen des Sees
Warum kippen Seen meist im Sommer um?
Bei der Frage war ich selbst jahrelang auf dem Holzweg, da ich stets davon ausgegangen bin, dass die besseren Wachstumsbedingungen für Algen (mehr Licht und mehr Wärme) der einzige Grund dafür sind, warum die Gefahr des Umkippens im Sommer größer ist als zu jeder anderen Jahreszeit. Tatsächlich gibt es hierfür jedoch noch eine zweite Ursache.
Da einerseits die Löslichkeit von Sauerstoff im Wasser mit der Wassertemperatur abnimmt, während andererseits sauerstoffverbrauchende Abbauprozesse beschleunigt werden, trägt die Wärme erheblich zum Sauerstoffmangel bei, welcher letztendlich die Dominanz der sauerstofflosen Abbauprozesse herbeiführt. Aus diesem Grund kann auch die Einbringung von ansonsten unbelastetem (d.h. nicht toxischem) warmem Wasser (beispielsweise Kühlwasser aus einem Kraftwerk) in ein Gewässer zu Schäden führen (ganz abgesehen davon, dass viele Fischarten auf Temperaturveränderungen empfindlich reagieren).
Kühlwasseranlage eines Kernkraftwerks (Foto von Michael Kauffmann)
Was kann man dagegen unternehmen?
Die meisten Gegenmaßnahmen sind vor allem dann aussichtsreich, wenn das Gewässer noch nicht endgültig gekippt ist. Ist auffallendes Algenwachstum zu beobachten, lässt sich anhand einfacher Testverfahren leicht feststellen, ob eine Eutrophierung vorliegt und welche Stoffe genau ins Wasser gelangt sind. Lässt sich die Quelle lokalisieren, so kann man unter Umständen den Eintrag weiterer Nährstoffe in das Gewässer unterbinden und damit der Eutrophierung entgegenwirken. Auch das “Abernten” von Algenteppichen ist eine sinnvolle Gegenmaßnahme – auf diese Weise reduziert man die Belastung des biologischen Kreislaufs mit zusätzlich abzubauender Biomasse erheblich. Weitere Maßnahmen sind die Abschattung der Wasseroberfläche durch Bepflanzung oder die künstliche Zuführung von Sauerstoff.
Ist das Gewässer dagegen erst einmal umgekippt, kann es mitunter viele Jahre dauern, bis wieder ein annehmbarer Zustand erreicht wird. Die Zerstörung der natürlichen Mechanismen der Selbstreinigung führt dazu, dass die Wasserqualität sich auch mittelfristig nur langsam bessern wird, zudem ist der vollständige Wegfall vieler Tier- und Pflanzenarten nur sehr schwer rückgängig zu machen.
Abschließend sei noch angemerkt, dass nicht jede Algenblüte ein Zeichen dafür sein muss, dass ein Gewässer kurz vor dem Umkippen steht. Im vergangenen Jahr war beispielsweise der Zillierbach hier in Wernigerode stellenweise von Algen geradezu überwuchert. Entgegen meinen Befürchtungen war die Ursache dieses Phänomens jedoch nicht der Eintrag irgendwelcher Düngemittel, sondern der niedrige Wasserstand in Kombination mit einigen Wochen dauerhaften Sonnenscheins. Wie ein Kommentator dazu schon korrekt angemerkt hat, war der ganze Spuk nach einigen Tagen verflogen und der Zillierbach wieder sauber.
Algenblüte im Wernigeröder Zillierbach
Feststellen lässt sich die Gewässergüte übrigens nicht nur mittels chemischer Tests, sondern auch anhand sogenannter Zeigerorganismen wie beispielsweise die Larven der Eintagsfliege, deren Vorhandensein einiges über die Selbstreinigungskraft des Gewässers aussagt.
Eventuell ein gutes Thema für einen zukünftigen Blogpost…
Hauptquelle:
Danzig, J.: Wasser und nachhaltige Wasserwirtschaft, Skript zum infernum-Studienmodul Wasser und Abfall, Fraunhofer UMSICHT & FernUniversität Hagen, 2007.
Weiterführende Quellen:
Einsle, U.: Über einige Auswirkungen der Eutrophierung des Bodensee-Obersees auf seine planktisch lebenden Copepodenpopulationen, in: Aquatic Sciences 11/67, Seite 305-310, Birkhäuser-Verlag, Basel, 1967. (doi: 10.1007/BF02502486)
Gächter, R. & Furrer, O.: Der Beitrag der Landwirtschaft zur Eutrophierung der Gewässer in der Schweiz, in: Aquatic Sciences 03/72, Seite 41-70, Birkhäuser-Verlag, Basel, 1972 (doi: 10.1007/BF02502800)
Hartmann, J.: Unterschiedliche Adaptionsfähigkeit der Fische an Eutrophierung, in: Aquatic Sciences 11/79, Seite 374-382, Birkhäuser-Verlag, Basel, 1979 (doi: 10.1007/BF02502255)
Klapper, H.: Eutrophierung und Gewässerschutz, Fischer-Verlag, Jena,1992.
Weiterführende Links:
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