In der ÄrzteZeitung – einer der auflagenstärksten Zeitungen für Ärzte im deutschsprachigen Raum – erscheinen auffallend viele positive Artikel zum Thema Homöopathie. Reiner Zufall oder Ergebnis einer Zusammenarbeit mit der Deutschen Homöopathie-Union?
Als medizinischer Laie schreibe ich nur ungern (und daher auch selten) über medizinische Themen. Vor zwei Wochen habe ich mich dann doch mal wieder dazu hinreißen lassen, ein Medizin-Thema anzureißen, weil ich mich über einen Bericht in der Ärzte Zeitung geärgert hatte, in dem die Behandlung von “blutigem Stuhl” mit Homöopathika empfohlen wurde:
Akute Gastroenteritiden sind auch eine Domäne der Homöopathie. Man sollte die Potenz D12 einsetzen und stündlich fünf Globuli verordnen. […] Sind die Stühle wässrig-schleimig, klumpig oder blutig, ist Aloe angezeigt.
Wie die hitzige Diskussion beweist, die bald darauf im Blog losbrach, bin ich nicht der Einzige, der eine solche Empfehlung unverantwortlich findet – dies vor allem vor dem Hintergrund, dass der frei zugängliche Online-Teil der Ärzte Zeitung nun mal auch von medizinischen Laien gelesen wird, die das Geschriebene eventuell für bare Münze nehmen und sich bei blutigem Durchfall selbst mit Homöopathika behandeln, anstatt einen Arzt aufzusuchen. Wie ein Blick auf die offiziellen Mediadaten der Ärzte Zeitung bestätigt, richtet sich das Online-Angebot – anders als die Print-Ausgabe – übrigens wirklich an das “Publikum”, d.h. auch an medizinische Laien, die bei Google auf Symptom-Suche sind.
Was am kritisierten Durchfall-Artikel weiterhin auffällt, ist die Tatsache dass neben den Homöopathika gar keine Behandlungsalternativen genannt werden und sich nicht mal ein Hinweis darauf findet, dass man bei “schwerem Brechdurchfall” oder “blutigem Stuhl” besser einen Arzt konsultieren sollte. Insofern liest sich der Artikel ein wenig wie Werbung: Wirf dir ein Globuli rein, dann wird alles gut.
Tatsächlich finden sich zumindest in der Online-Ausgabe der Ärzte Zeitung erstaunlich viele sehr positive Artikel zum Thema Homöopathie, darunter beispielsweise diese hier:
- “Praktische Homöopathie bei akuten Krankheiten”
- “Homöopathie wird für Kollegen immer attraktiver”
- “Beim Gichtanfall lohnt sich Homöopathie”
- “So macht Homöopathie die Atemwege frei”
- “Apis mellifica bei Ovarialzysten und Ödemen”
Im kostenpflichtigen Bereich der Webseite gibt es weitere Artikel, darunter einen mit dem tendenziösen Titel “Indikationsbezogene Homöopathie ist einfach zu lernen und bringt schnell Erfolge”. Hallelujah. Darüber hinaus veranstaltet die Ärzte Zeitung regelmäßige Seminare zum Thema Homöopathie und vertreibt darüber hinaus (über die Ärzte-Zeitung Verlagsgesellschaft mbH) das Handbuch “Homöopathie – ein praktischer Leitfaden”. Der besagte Leitfaden entstand übrigens in direkter Zusammenarbeit mit der Deutschen Homöopathie-Union, von der weiter unten noch öfter die Rede sein wird.
Einen kritischen Artikel zum Thema Homöopathie konnte ich auf den Seiten der Ärzte Zeitung nicht finden, auch gab es in keinem der Pro-Homöopathie-Artikel einen Hinweis auf irgendwelche Behandlungsalternativen. Bedenkt man, dass Homöopathie zwar sehr beliebt, ihre Wirkung jedoch bislang keinesfalls bewiesen ist, kann man sich über die quasi 100%ig positive Berichterstattung in der Ärzte Zeitung nur wundern. Immerhin sollte man von einem fairen journalistischen Medium erwarten, dass auch einmal ein Mediziner zu Wort kommt, der Homöopathie kritisch gegenübersteht oder dass man sich zumindest die Mühe macht, auch mal eine Alternative zur “Alternative” aufzuzeigen.
Davon ist jedoch nichts zu spüren. Statt dessen unreflektierte Aussagen wie diese:
Homöopathie hat nichts mit Esoterik oder Glauben zu tun – man müsse ja auch nicht an Wasser glauben, um nass zu werden, man müsse nur hineingehen, hat schon Samuel Hahnemann (1755 bis 1843), der Begründer der Homöopathie, gesagt.
Aber warum sollte die Ärzte Zeitung ausgerechnet über die Homöopathie so unkritisch berichten? Der Kommentar, den ein ehemals leitender Mitarbeiter der Zeitung – der frühere Chefredakteur Dr. Thomas Kron – in der vergangenen Woche in diesem Blog hinterließ, legte den Verdacht nahe, dass es sich um bezahlte Werbung für die Produkte des Homöopathika-Herstellers DHU handelt – eine Aussage, die sowohl seitens der DHU als auch der Ärzte Zeitung bestritten wird.
Aufgrund der möglichen juristischen Konsequenzen sah sich die ScienceBlogs-Redaktion inzwischen gezwungen, den Kommentar zu zensieren, obwohl zumindest die Identität des Verfassers bestätigt werden konnte. Da besagter Kommentar jedoch auch von anderen Bloggern aufgegriffen wurde, tobt die Diskussion zur Ärzte Zeitung im Internet munter weiter und hat mittlerweile sogar den Branchendienst Meedia erreicht:
Dort äußert sich Chefredakteur Wolfgang van den Bergh wie folgt:
“Die ‘Ärzte Zeitung’ wirbt in ihrem redaktionellen Teil nicht für homöopathische Behandlungsmethoden. Allerdings gehört es zu unserem journalistischen Anspruch, neben der klassischen Schulmedizin, Themen zu alternativen Behandlungsmethoden aufzugreifen. Das erwarten die Leser der ‘Ärzte Zeitung’ von uns.” Zu den Vorwürfen von Dr.Kron wollte van den Bergh keine Stellung nehmen. Dass die “Ärzte Zeitung” im redaktionellen Teil Artikel gegen Bezahlung veröffentliche, bestritt er.
Auch Dr. Kron distanziert sich vom Vorwurf der Schleichwerbung, stellt aber klar:
Ich habe keineswegs vorgeworfen, dass viele Beiträge systematische Schleichwerbung seien, sondern dass im Falle der Homöopathie, gegen deren Einsatz ich übrigens nichts habe, ein bisschen zu viel Hofberichterstattung betrieben werde und dass darunter die Qualität leidet.
Die Frage nach einer Art von Medienpartnerschaft zwischen DHU und Ärzte Zeitung steht damit also weiterhin im (virtuellen) Raum. Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass solche Partnerschaften im Medienbereich weder illegal noch unüblich noch auf irgendeine Art und Weise ehrenrührig sind – wenn denn der Leser darauf hingewiesen wird, dass eine solche Kooperation existiert. Über die Qualität des redaktionellen Teils einer Zeitschrift sagen bezahlte Artikel wenig aus, weshalb allein die Tatsache, dass eine Partnerschaft besteht, keinen ausreichenden Grund darstellt, über das entsprechende Blatt herzufallen. Auch wenn die Vermutung naheliegt, dass eine Zeitung auch im redaktionellen Teil keinen wichtigen Anzeigenkunden angreifen wird, ist es keineswegs so, dass man einer Redaktion aufgrund solcher Verträge grundsätzlich das Vertrauen oder die Integrität absprechen sollte.
Was mir allerdings immer wieder sauer aufstößt sind solche Fälle, in denen der Leser praktisch nicht erkennen kann, wann er einen professionell recherchierten Fachartikel und wann einen PR-Artikel liest. Letzteres ist beispielsweise dann der Fall, wenn der interviewte Mediziner neben seinem professionellen Status noch eine zweite Rolle als Sprecher eines Medikamentenherstellers einnimmt und demzufolge nicht völlig neutral Auskunft erteilt – was man in einer solchen Konstellation ja auch weder erwarten noch fordern sollte. Der Hinweis auf eine solche Doppelrolle sollte jedoch so klar sein, dass auch ein Laie sofort erkennen kann, dass es sich zumindest um indirekte Werbung handeln könnte. Einen so direkten Hinweis findet man in den Homöopathie-Artikeln der Ärzte Zeitung jedoch nicht.
Dafür fällt auf, dass ein bestimmter Nebensatz recht häufig auftaucht, hier beispielsweise im Artikel “Beim Gichtanfall lohnt sich Homöopathie”:
…sagte Wacker auf der von der Deutschen Homöopathie-Union unterstützten Veranstaltung.
Der gleiche Nebensatz lässt sich auch im Bericht “Homöopathika lindern Brechdurchfall” finden:
…so Wacker auf der Veranstaltung, die die Deutsche Homöopathie-Union unterstützt hat
Und was lesen wir im Artikel “Homöopathie zähmt Heuschnupfen”?
…so Berger, der die von der Deutschen Homöopathie-Union unterstützte Fortbildungsveranstaltung “Homöopathie für die tägliche Praxis” in Köln geleitet hat.
Auch in “Drei Indikatoren, eine Potenz – so klappt der Homöopathie-Einstieg” findet sich der Hinweis auf die Deutsche Homöopathie-Union – immerhin den deutschen Marktführer im Bereich der Homöopathika:
…sagte Berger auf der Veranstaltung, die die Deutsche Homöopathie-Union unterstützt hat.
Last but not least noch dieses Zitat aus dem Artikel “Mit elf Homöpathika gelingt der Einstieg”:
…so Wiesenauer bei der Veranstaltung, die von der Deutschen Homöopathie-Union unterstützt wurde.
Ein aus meiner Sicht erstaunlich häufig wiederkehrendes Muster: In einem Artikel, in dem unkritisch die Wirksamkeit von Homöopathika angepriesen wird, wird als Hauptquelle auf die Aussagen eines Referenten verwiesen, der wiederum auf einer von der Deutschen Homöopathie-Union unterstützen Veranstaltung auftrat – und wie neutral kann oder wird der sich bezüglich der Wirksamkeit von Homöopathika äußern? Nicht so leicht zu erkennen ist dies bedauerlicherweise für den googlenden Laien, der sich in der Ärzte Zeitung über die geeigneten Medikamente bei Gicht, Erkältung oder Durchfall informieren möchte. Hier wäre ein eindeutiger Hinweis auf die mangelnde Neutralität der Empfehlung besser gewesen.
Unübersehbar auch der inhaltliche Zusammenhang zwischen einigen Artikeln in der Ärzte Zeitung und Pressemitteilungen der DHU. So wird beispielsweise in der Pressemitteilung “Studie belegt Wirksamkeit der Homöopathie bei akuter Entzündung der Nasennebenhöhlen” auf einen korrespondierenden Artikel in der Ärzte Zeitung mit dem Titel “Komplexmittel lindert Rhinosinusitis” verwiesen, der knappe zwei Wochen zuvor erschienen war.
Inzwischen hat das Thema vor allem wegen der brisanten Kommentare eine erstaunliche Eigendynamik entwickelt. In der “Stationären Aufnahme”, einem der wenigen wirklich guten deutschsprachigen Blogs zum Thema Medizin, finden sich allein schon bereits drei Artikel zum vermeintlichen Homöopathie-Werbefeldzug in der Ärzte Zeitung, außerdem wurde die Geschichte hier, hier, hier, hier, hier und hier aufgegriffen. Klarer Tenor: Gäbe es wirklich einen Werbevertrag zwischen DHU und Ärzte Zeitung, müsste man Artikel wie “Homöopathie lindert Niesattacken und andere Allergie-Symptome” künftig anders bewerten:
Ist die Symptomatik schwer einzuschätzen, rät er zum Komplexpräparat Heuschnupfenmittel DHU. Unter den Phytopharmaka gibt es nach Wiesenauers Angaben keine ausgesprochenen Antiallergika auf dem deutschen Markt. […] Wiesenauer selbst setzt einige andere Arzneimittel flankierend bei Allergien ein. Bei verstopfter Nase empfiehlt er zum Beispiel Luffa Nasentropfen DHU, und zwar drei- bis fünfmal täglich zwei Hübe in jedes Nasenloch.
Ich kann und möchte diesen Sachverhalt nicht abschließend bewerten, auch wenn sich durch die vielen extrem positiven Homöopathie-Artikel sowie die häufigen Quellverweise auf DHU-Veranstaltungen tatsächlich der Eindruck einer “Hofberichterstattung” aufdrängt.
Eventuell nehmen an dieser Stelle ja die Profis von der Stationären Aufnahme oder vom Plazeboalarm den Stab auf und bringen den nötigen medizinischen Sachverstand in die weitere Diskussion um die Homöopathie-Berichterstattung in der Ärzte Zeitung ein…
Disclaimer I: Da ich im Umfeld dieser Diskussion bereits einige Male um meine Meinung zum Thema Homöopathie gebeten wurde, möchte ich ganz zum Schluss noch dieses Statement abgeben: Da ich kein Mediziner bin, habe ich zur Homöopathie lediglich eine persönliche, nicht aber eine fachliche Meinung. Meines Erachtens nach deutet die Datenlage überdeutlich darauf hin, dass die bei einer homöopathischen Behandlung beobachtbaren positiven Wirkungen auf den Placebo-Effekt zurückzuführen sind. Die Tätigkeit des Heilpraktikers wird durch diesen Umstand jedoch nicht ab- sondern vielmehr aufgewertet.
Leider erschwert es unser Gesundheitssystem den Ärzten zusehends, die für eine Genesung oder Linderung bisweilen enorm wichtige psychologische Betreuung von Patienten zu leisten. Die daduch entstehenden Lücken werden – teilweise mit viel persönlicher Hingabe – unter anderem auch durch Heilpraktiker geschlossen (wobei es unter diesen wie in jeder anderen Berufsgruppe natürlich auch schwarze Schafe gibt). Mich persönlich erstaunt es immer, dass viele Heilpraktiker selbst nicht anerkennen, dass es vor allem ihre menschlichen Fähigkeiten im Umgang mit Kranken sind, die eine Verbesserung bewirken. Statt dessen wird darauf beharrt, dass alles Positive ausschließlich auf sich erinnerndes Wasser zurückzuführen sei.
Würde man endlich anerkennen, dass es die psychologische Komponente ist, die den Erfolg vieler Heilpraktiker ausmacht, wäre man auf dem besten Weg zu einer wirklich “echten” Komplementärmedizin. Es ist schade, dass wir davon noch so weit entfernt sind…
Disclaimer II: Selbstverständlich habe ich bezüglich der in diesem Artikel aufgeworfenen Fragen auch noch einmal bei der Ärzte Zeitung nachgehakt. Da sich die verantwortliche Redakteurin jedoch bis zum 19.08. in Urlaub befindet, konnte ich noch kein “offizielles” Statement erhalten. Sollte sich nach Urlaubsende noch etwas tun, werde ich die Antwort natürlich ebenfalls im Blog veröffentlichen.
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