27 Parteien werden zur Bundestagswahl am 27. September auf dem Wahlzettel stehen – da ist es schwer, den Überblick zu behalten. Was planen die Parteien beispielsweise für den Bereich Wissenschaft und Forschung?
Vergleicht man die momentane Posting-Frequenz im Frischen Wind mit der vor einigen Wochen, könnte man auf die Idee kommen, ich befände mich im Urlaub. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall – die Endredaktion des Lichtsmog-Fernlehrbriefs für den Euroforum-Verlag sowie der (Online- wie Offline-) Wahlkampf lassen mir kaum Zeit zum Bloggen – auch wenn ich gestern zumindest die Antwort auf meine erste Forschungsfrage abliefern konnte.
Bis zur Bundestagswahl habe ich mir trotzdem noch etwas vorgenommen – ich möchte die Wahlprogramme der verschiedenen Parteien im Hinblick auf einige Themen – Wissenschaft, Bildung, Umweltschutz und Atomausstieg – beleuchten, die sowohl im Tagesgeschäft der Politik als auch im aktuellen Wahlkampf hinter Finanzkrise und Koalitionsgerangel leider etwas zu kurz kommen. Heute steige ich mit den aus Gründen der Übersicht auf Stichpunkte reduzierten Aussagen zu Wissenschaft und Forschung ein, wobei ich mich um Neutralität bemühen möchte. In den Kommentaren kann und soll dagegen kräftig diskutiert werden.
Christlich-Demokratische Union (CDU)
Christlich-Soziale Union (CSU)
- Klare ethische Grenzen für die Bio- und Gentechnologie
- Investition von 3% des BIP in Wissenschaft und Forschung
- Anregung der Wirtschaft zu mehr eigenen F&E-Aktivitäten
- Bündelung von Forschungspozenzialen in Forschungszentren
(beispielhaft werden das KIT und das Nat. Diabeteszentrum genannt) - Bekenntnis zu Grundlagenforschung und wissenschaftlicher Autonomie
- Stärkere Vernetzung von Grundlagenforschung und angewandter Forschung
- Innovationsfelder: Ernährung, Klima, Energie, Mobilität, Sicherheit und IuK
Money Quote:
“Forschung und Entwicklung sind ein entscheidender Baustein unseres Programms für Wachstum und zur Überwindung der Wirtschaftskrise. […] Jetzt geht es darum, die globalen Zukunftsherausforderungen anzunehmen und damit auf qualitatives Wachstum zugunsten von Klimaschutz, Ressourcenschonung und Krankheitsbekämpfung zu setzen.”
Bemerkenswert fand ich auch den expliziten Wunsch nach einem „starken Selbstbewußtsein der Geistes- und Sozialwissenschaften” – liegt da tatsächlich etwas im Argen?
https://cdu.de/doc/pdfc/090628-beschluss-regierungsprogramm-cducsu.pdf
Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)
- Ausweitung des Juniorprofessuren-Programms
- Mehr Leitungspositionen für Frauen in der Wissenschaft
(inkl. Zielvereinbarungen und Sanktionen bei Nichteinhaltung) - Steuergutschriften für Forschungsprojekte von Unternehmen
- Erhöhung des Frauenanteils in der Wissenschaft auf 40% bis 2020
- Investition von 3% des BIP in Wissenschaft und Forschung (bis 2015)
- Erleichterte Integration von Hochschulen und Forschungseinrichtungen
Money Quote:
“Um dieses Ziel [mehr Gelder für die Forschung] zu erreichen, werden wir neue finanzpolitische Spielräume nutzen und die bestehenden Formen der Projektförderung durch eine steuerliche Förderung von Forschungsanstrengungen von Unternehmen in Form einer Steuergutschrift (“tax credit”) für kleine und mittlere Unternehmen ergänzen.”
Freie Demokratische Partei (FDP)
- Abschaffung des Hochschulrahmengesetzes
- Anhebung der Hochschul-Grundpauschale um 25%
- Verankerung der Hochschulautonomie im Grundgesetz
- Stärkerer Wettbewerb für Foschung (und Lehre) an FHs
- Bessere Nachwuchsförderung u.a. durch Juniorprofessuren
- Aufhebung starrer Altersgrenzen für wissenschaftliche Laufbahnen
- Forschungsfreundlichere Ausgestaltung des Patent- und Urheberrechts
- Jährliche Steigerung der öffentlichen Ausgaben für nicht-univ. Forschung um 5%
- Keine ideologische Stigmatisierung von Projekten in Bereichen wie der Gentechnik
Money Quote:
“Forscher wollen forschen. Sie wollen nicht mit überbordender Bürokratie die Zeit vergeuden. Die FDP lehnt Denkblockaden und ideologische Fixierung auf bestimmte Technologien ab. Fusionsforschung, kerntechnische Sicherheits- forschung, Stammzellenforschung, grüne Gentechnik, Biotechnologie, Nanotechnologie und Raumfahrtprojekte dürfen nicht stigmatisiert, sondern müssen in wettbewerblichen Verfahren und unter transparenten und verantwortungsvollen Rahmenbedingungen gefördert werden.”
https://www.deutschlandprogramm.de/files/653/Deutschlandprogramm09_Endfassung.PDF
Bündnis 90 / Die Grünen
- Ausweitung des Juniorprofessuren-Programms
- Open Access für steuerfinanzierte Forschungsergebnisse
- Investition von 3% des BIP in Wissenschaft und Forschung
- Ethische Grenzen in Medizin, Lebenswissenschaften und Biotechnologie setzen
- Wissenschaft als Beruf attraktiver gestalten (Planbarkeit, Befristung, Familie)
- Erhöhung des Anteils von Frauen und Migranten in Wissenschaft und Forschung
- Gender-Perspektiven als selbstverständlicher Bestandteil aller Forschungsfragen
- Grundlagenforschung als wesentliche Säule der öffentlichen Förderung verankern
- Mehr Kooperationen zwischen Hochschulen und außeruniv. Forschungseinrichtungen
Money Quote:
“Forschungsfreiheit ist ein hohes Gut, das bewahrt und geschützt werden muss. […] Für uns haben Menschenrechte und Menschenwürde aber stets Vorrang vor Forschungs- und Verwertungsinteressen. Nicht nur in der Medizin, den Lebenswissenschaften und der Biotechnologie ist ein verantwortlicher Umgang mit Menschen unerlässlich. Auch der Schutz von Umwelt und Tieren macht Grenzziehungen für die Forschung nötig.”
https://www.gruene-partei.de/cms/files/dokbin/295/295495.wahlprogramm_komplett_2009.pdf
Die Linke
- Open Access für steuerfinanzierte Forschungsergebnisse
- Stärkere Förderung von Frauen in Wissenschaft und Forschung
- Über Chancen und Risiken von Forschung transparent und öffentlich verhandeln
- Förderung von Kultur- und Sozialwissenschaften (auf einer Ebene mit Naturwiss.)
- Integration der Geschlechterperspektive in alle geförderten Forschungsprojekte
- Ausrichtung der staatl.Forschungsförderung auf gemeinwohlorientierte Projekte
Money Quote:
“Neue Erkenntnisse und Technologien müssen dem Gemeinwohl dienen und zur Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen wie der Überwindung von sozialer Ungerechtigkeit, der Bewältigung des Klimawandels und der Ressourcenknappheit beitragen. Das geht nur, wenn über Chancen und Risiken von Innovationen transparent und mit öffentlicher Beteiligung verhandelt wird. Deshalb sind die Entscheidungen über die öffentliche Forschungsförderung aus den geschlossenen Zirkeln der Ministerien, Kuratorien und Industriekonsortien zu befreien.”
https://die-linke.de/fileadmin/download/wahlen/pdf/485516_LinkePV_LWP_BTW09.pdf
Soweit die Parteien, deren Einzug in den Bundestag momentan sicher zu sein scheint. Da die Programme der verbleibenden 22 Kleinparteien kaum Inhalte zum Themenfeld Wissenschaft und Forschung aufweisen, fällt die Zusammenfassung bedauerlich kurz aus (bei anderen Themen wie Bildungspolitik und Atomausstieg sieht das anders aus – die Forschungspolitik ist aber offenbar auch bei den kleinen Parteien so etwas wie ein thematisches Stiefkind).
Damit sich niemand beschweren kann, ich würde die Piratenpartei vernachlässigen, habe ich sie nachfolgend mit ins Programm genommen. Aufgenommen habe ich auch die ödp, die durch einen erstaunlich langen Abschnitt zur Wissenschaft im Wahlprogramm auffällt, die BueSo für die euphorischte (und schwurbeligste) Aussage zum Thema und die NPD wegen des Unterhaltungswerts. Bei den anderen Parteien (Violette, DKP, PSG, Rentner etc.) konnte ich dagegen keine verwertbaren Aussagen zur Forschungspolitik finden.
Piratenpartei
- Open Access für steuerfinanzierte Forschungsergebnisse
Mehr wissenschafts- und forschungspolitische Ziele waren leider nicht zu finden…
https://www.piratenpartei.de/tmp/Wahlprogramm_Bundestagswahl2009.pdf
Ökologisch-demokratische Partei (ödp)
- Forschung an nicht mehr beherrschbaren Technologien einstellen
- Klonverbot für menschliche Embryonen im Grundgesetz verankern
- Förderschwerpunkt von Technologieforschung auf Umweltschutz verlagern
- Beschränkung der Atomenergie-Forschung auf die Themen Ausstieg und Müll
- Verbot der Freisetzung genetisch veränderter Lebewesen zu Forschungszwecken
- Technikfolgenschätzung muss Bestandteil staatlich geförderter Forschung werden
- Freiheit von Forschung und Lehre dort beenden, wo Technologien gefährlich werden
Money Quote:
“Forschung und Technik sind immer noch hauptsächlich daran orientiert, vereint mit der Wirtschaft deren harten Weg des ‘Immer mehr, immer höher, schneller und weiter’ zu verfolgen. […] Dabei werden die Resultate der Forschungsarbeiten immer komplizierter und weniger beherrschbar. […] Manche Technologien haben einen Stand erreicht, auf dem jede Weiterentwicklung eine Bedrohung für die Menschheit darstellt.”
https://oedp.de/files/pdf/programme/BundespolitischesProgramm.pdf
Bürgerrechtsbewegung Solidarität (BueSo)
“Grundlagenforschung über die Gesetze unserer physikalischen Welt, frei von Obskurantismus und ideologischen Zwängen des Neumalthusianismus, muß gefördert werden. Dazu gehört vor allem die Perspektive einer zukünftigen ‘Isotopenwirtschaft’. […] Der Bau von Wissenschaftsstädten soll die Wende zu einem neuen Zeitalter der Wissenschaftsblüte unterstreichen.”
https://www.bueso.de/artikel/grundsatzprogramm#forschung-und-wissenschaft
Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD)
Auch das Wahlprogramm der NPD habe ich mir angetan, dort aber – vermutlich wenig überraschend – keine Aussagen zur Wissenschafts- und Forschungspolitik gefunden. Zwar gibt es einen Abschnitt mit dem Titel “Forschungs- und Technologiepolitik”, dort finden sich allerdings nur merkwürdige Aussagen wie diese:
“Die NPD fordert die sofortige Errichtung neuer Hydrierwerke, um deutsches Benzin aus deutscher Kohle gewinnen zu können. […] Öl- und Gasvorkommen auf deutschem Boden sind unter Entschädigung der multinationalen Konzerne sofort zu verstaatlichen und durch deutsche Unternehmen zu verwerten.”
Den PR7-Link habe ich mir erspart, wer das Programm lesen will, möge es selbst suchen.
Und nicht vergessen: Wer nicht zur Wahl geht, darf hinterher auch nicht meckern!
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