– Storry Dean, Parlamentsabgeordneter der konservativen Tories, 1936
Die gesundheitlichen Folgen der hohen Luftverschmutzung sowie der zahlreichen Smog-Episoden – von den Einwohnern liebevoll als „Erbsensuppe” bezeichnet – waren jedoch alles andere als unbekannt. So wurden in London schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts Kinder unter UV-Lampen gesetzt, weil man erkannt hatte, dass das fast vollständige Fehlen von natürlichem Sonnenlicht ihre Gesundheit nicht unerheblich beeinträchtigte.
Wie entsteht eigentlich Wintersmog?
Prinzipiell unterscheidet man in zwei Arten von Smog. Der Wintersmog – der aus naheligenden Gründen auch als London-Smog bezeichnet wird – ist für die Todesfälle von 1952 verantwortlich. Das Pendant zum Wintersmog ist der Sommersmog, den man auch Photosmog oder Los Angeles-Smog nennt, da er in dieser Stadt zuerst beobachtet wurde. Diese Form von Smog ist weitaus weniger gefährlich, tritt aber wesentlich häufiger auf (wäre vielleicht mal ein gutes Thema für einen zukünftigen Blogpost).
Damit Wintersmog entsteht, müssen fünf Bedingungen erfüllt sein:
- Es muss eine Inversionswetterlage bestehen
- Die Temperatur muss knapp über dem Gefrierpunkt liegen
- Die Luftfeuchtigkeit muss möglichst hoch sein
- Es muss viel Schwefeldioxid in die Luft emittiert werden
- Die Luft muss äußerst staub- und rußhaltig sein
Bei einer Inversionswetterlage kehrt sich das atmosphärische Temperaturgefälle (warme Luft oben und kalte Luft unten) in einer Höhe zwischen 800 und 1.000 Metern um. Warme, mit Schadstoffen belastete Luft, die vom Boden nach oben aufsteigt, stößt an der Grenze der Inversion auf noch wärmere Luft, und kann daher nicht weiter nach oben aufsteigen. Der Abtransport von Schadstoffen wird dadurch erheblich behindert, insbesondere wenn es dazu noch windstill ist. Kommt es über einer Stadt, die sich in einem Talkessel befindet, zu einer Inversionswetterlage, kann sich bei Windstille eine regelrechte Smog-Glocke bilden.
Normalerweise wird eine Temperaturinversion aufgelöst, wenn die Sonne tagsüber den Boden erwärmt. Der Smog, der sich am 5. Dezember über London bildete, war jedoch so dick, dass die Sonne ihn nicht durchdringen konnte, weshalb die Smogglocke sich erst duch am 9. Dezember einsetzende Winde auflöste.
Während einer Inversionswetterlage kann das emittierte Schwefeldioxid (SO2) nicht abtransportiert werden, so dass sich die Konzentration immer weiter erhöht. Bildet sich Nebel, reagiert das SO2 mit dem Wasser nach folgender Formel zu Schwefelsäure (H2SO4):
2 SO2 + 2 H2O + O2 = 2 H2SO4
Der Staub bzw. der Ruß wirkt dabei als Katalysator der verhindert, dass die Reaktion durch das Absinken des pH-Werts zum Stillstand kommt. Man bezeichnet diese Smogform deshalb als Wintersmog, weil die Bedingungen bezüglich der Temperatur und der Luftfeuchtigkeit praktisch nur im Winter erreicht werden können. Smog dieser Art kann nur durch starken Wind oder Niederschlag aufgelöst werden.
Warum war der Wintersmog von 1952 so schwerwiegend?
Wintersmog-Ereignisse – auch langanhaltende – waren in London also keine Seltenheit. Dennoch war das Ereignis von 1952 in seinen Dimensionen einzigartig. Hierfür waren mehrere Faktoren ausschlaggebend. Von wesentlicher Bedeutung war die niedrige Qualität der Kohle, die Anfang der 50er Jahre in der Industrie und insbesondere in den privaten Haushalten eingesetzt wurde. Da sich Großbritannien nach dem Zweiten Weltkrieg in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage befand, wurde die im Inland geförderte hochwertige Kohle fast ausschließlich exportiert. Dazu kam noch, dass in den Tagen vor der Katastrophe eine untypische Kälte herrschte, die dazu führte, dass in den privaten Haushalten besonders viel dieser minderwertigen Kohle verheizt wurde.
Neben der Luftverschmutzung, die durch Industrie und Haushalte in die Atmosphäre eingetragen wurde, waren es vor allem die drei großen Kohlekraftwerke in Battersea, Bankside und Kingston die für den „Great Smog” von 1952 verantwortlich waren. Der „letzte Sargnagel” war das große Kraftwerk in Kingston, das 1948 den Betrieb aufnahm. Auch der Einsatz von Dieselbussen, die Anfang der 50er Jahre die alten elektrischen Straßenbahnen ablösten, trug zur Katastrophe bei. Als sich am 4. Dezember 1952 eine Inversionswetterlage über der Stadt bildete, die von einer tagelangen Windstille begleitet wurde, war der „perfect storm” nicht mehr aufzuhalten.
Dazu kommt, dass die britische Regierung vergleichbare Ereignisse in anderen Staaten, die als eine Vorwarnung hätten betrachtet werden sollen, konsequent ignorierte. So erstickten im Jahr 1930 mehr als 60 Menschen während einer Inversionswetterlage in Belgien an stark konzentrierten Industrieabgasen. Eine mit britischer Hilfe durchgeführte Studie des Ereignisses kam explizit zu dem Schluss, dass ein vergleichbarer Vorfall in London bis zu 3.200 Leben kosten könnte – eine zu niedrige Schätzung, wie sich 12 22 Jahre später zeigen sollte. Auch extreme Smog-Ereignisse in den USA, die 1939 in St. Louis und 1948 in Donora auftraten, führten zu keinerlei Umdenken hinsichtlich der Luftverschmutzung.
Too little too late – die Reaktion der Behörden
Betrachtet man die Reaktion von Behörden und Regierung auf die Katastrophe, so fällt besonders ein Mann negativ auf. Der für den Katastrophenschutz zuständige Minister Harold Macmillan weigerte sich über mehrere Wochen lang beharrlich, in dem tödlichen Ereignis etwas anderes als ein extremes Wetterphänomen zu sehen. Kritische Fragen durch Presse und Parlamentarier bügelte er mehrfach mit dem lakonischen Hinweis darauf ab, die Regierung könne „nicht für das Wetter verantwortlich gemacht” werden.
Die Tatsache, dass die Katastrophe menschliche Ursachen hatte, wurde – nicht nur von Macmillan – energisch geleugnet. Selbst als sich Macmillan am ersten Weihnachtsfeiertag nach Hause begab – knapp zwei Wochen nach der Katastrophe – bestand er noch immer darauf, dass man es mit einem etwas kuriosen Wetterphänomen zu tun habe.
Nachdem sich Anfang 1953 die Hinweise darauf verdichteten, dass die Luftverschmutzung durch Industrie und private Haushalte bei dem Desaster eine herausragende Rolle gespielt haben musste, änderte Macmillan seine Strategie. Anstatt die Zusammenhänge länger zu verleugnen versteifte er sich darauf, dass die bestehenden Gesetze der Regierung mehr als genug Spielraum ließen, um zukünftige Smog-Katastrophen abzuwenden. Wie er in einer Rede vor britischen Parlamentariern am 31. Januar 1953 durchblicken ließ, hatte der Widerstand gegenüber schärferen Umweltgesetzen auch ökonomische Gründe.
„I am not satisfied that further legislation is necessary at present. We do, what we can. But the honorable gentlemen must realize that there are broad economic considerations, that have to be taken into account.”
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