– Harold Macmillan am 31. Januar 1953 im britischen Unterhaus
Hinter den Kulissen war jedoch auch der britischen Regierung längst klar, was da im Dezember 1952 passiert war. Auf Anordnung von Macmillan führte das Militär Tests mit verschiedenen Gasmasken-Typen durch, die jedoch zu dem Ergebnis kamen, dass keine Maske wirksam vor der Vergiftung durch derartig stark konzentrierte Luftverschmutzung schützen konnte. Dennoch verteilte die Regierung nach 1952 im Winter regelmäßig Masken, insbesondere um dem Anschein von Untätigkeit und Hilflosigkeit zu begegnen.
Die beharrliche Weigerung der Regierung, dem Desaster mit schärferen Gesetzen zur Reinhaltung der Luft zu begegnen, rief 1953 einige britische Parlamentarier auf den Plan, die – unter anderem mit der Androhung, ein eigenes Gesetzesvorhaben auf den Weg zu bringen – eine Druckkulisse aufbauen konnten, welche die Regierung dazu bewog, im Jahr 1956 den ersten „Clean Air Act” zu verabschieden. Die Verbrennung von Kohle in privaten Haushalten wurde mit diesem Gesetz Schritt für Schritt zurückgefahren, 1968 wurde das Gesetz durch einen zweiten „Clean Air Act” ergänzt.
Sind wirklich 12.000 Menschen gestorben?
Ein von Macmillan in Auftrag gegebener Untersuchungsbericht kam 11 Monate nach dem Desaster zunächst zu dem Schluss, dass die Katastrophe etwa 12.000 Menschen das Leben gekostet hatte. Da diese Zahl den Beamten im Gesundheitsministerium zu hoch erschien, entschloss man sich dazu, den Untersuchungszeitraum künstlich auf die Periode vom 5. bis zum 20. Dezember zu kürzen, so dass alle nachfolgenden Todesfälle durch ungewöhnliche Atemwegserkrankungen nicht mehr in der Statistik erschienen.
Auf diese Weise begrenzte man die Zahl der Toten künstlich auf 4.000 – eine Zahl, die lange Zeit die „offizielle” Todeszahl blieb und die noch heute häufig genannt wird. Die hohe Zahl von Todesfällen in den Monaten nach dem Smog-Ereignis wurde seitens des Ministeriums auf eine Influenza-Welle zurückgeführt.
(Quelle: Greater London Authority)
Eine von Bell und Davis 2001 durchgeführte Regressionsanalyse belegt dagegen einen starken Zusammenhang zwischen der Mortalität in London und der Verschmutzung der Atemluft- selbst wenn man die Katastrophenwoche von 1952 aus dem Modell nimmt.
Auch Bell et al befassten sich 2004 mit der Frage, welcher Anteil der insgesamt 13.500 „exzess deaths” zwischen Dezember 1952 und März 1953 auf die Luftverschmutzung und welcher Anteil auf die Influenza zurückzuführen ist. Mit Hilfe einer Sensitivitätsanalyse konnten sie belegen, dass nur eine Influenza von extremen Ausmaßen in der Lage gewesen wäre, so viele Todesfälle zu verursachen – eine Influenza, die es 1952/53 nicht gab.
Die Analyse gesundheitsbezogener Statistiken im Zusammenhang mit der Smog-Katastrophe von 1952 brachte übrigens noch andere kuriose Zusammenhänge zum Vorschein: So wies beispielsweise Lyster anhand der Londoner Geburtenzahlen von 1953 nach, dass sich das Geschlechterverhältnis durch Umweltkatastrophen signifikant verschieben kann.
Fazit und Epilog
Durch den Vorfall von 1952 kam der Zusammenhang zwischen Luftverschmutzung und Gesundheit erstmals ans Licht der Öffentlichkeit, wodurch Politik und Wissenschaft dazu animiert wurden, sich mit der Sache zu befassen. Die Todesfälle von London waren Anstoß für Studien und Gesetzesvorhaben in zahlreichen Industrienationen – auch wenn sich heute bei der Diskussion um Feinstaub-Grenzwerte oder sonntägliche Fahrverbote kaum jemand an das Desaster erinnert.
30.000 Einwohner der Stadt London waren während der Jahre des Zweiten Weltkriegs durch V2-Raketen und deutsche Bombenangriffe zu Tode gekommen. Der Smog von 1952 brachte fast halb so vielen Menschen in weniger als einem halben Jahr den Tod.
Harold Macmillan, der Minister of Housing and Local Government, der sich während und nach der Katastrophe als einer der größten Beschwichtiger und Verharmloser hervorgetan hatte, setzte seine politische Karriere unbeschadet fort, und wurde 1957 zum britischen Premier gewählt – ein Amt, das er bis 1963 innehatte.
Nach der Katastrophe von 1952 bot die US-Regierung der britischen Regierung die Lieferung von 100.000 kostenlosen Gasmasken an die Einwohner der Stadt London an – allerdings nur unter der Bedingung, dass auf jeder Maske ein Werbeaufdruck für die US-Zigarettenmarke „Kent” plaziert werden durfte. Die britische Regierung lehnte das Angebot dankend ab.
Man schätzt, dass in London noch heute mehrere hundert Menschen jedes Jahr aufgrund von Smog und Verkehrsdreck frühzeitig versterben. Europaweit kommen heute mehr Menschen aufgrund von Abgas-induzierten Krankheiten ums Leben, als bei Verkehrsunfällen zu Tode kommen – 24.000 davon allen in England.
Verwendete Quellen:
Lyster, W. R.: Altered sex ratio after the London smog of 1952 and the Brisbane Flood of 1965; International Journal of Obstetrics and Gynaecology; Volume 81; Issue 8, 626-631; 2005. DOI: 10.1111/j.1471-0528.1974.tb00529
https://www3.interscience.wiley.com/journal/119669322/abstract?CRETRY=1&SRETRY=0
Hunt, A.; Abraham, J.; Judson, B. & Berry, C.: Toxicologic and epidemiologic clues from the characterization of the 1952 London smog fine particulate matter in archival autopsy lung tissues; Environmental Health Perspectives; Volume 111; Issue 9; 1209-1214; 2003.
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC1241576/
Bell, M.; Davis, D.L. & Fletcher, T.: A retrospective assessment of mortality from the London smog episode of 1952: The role of influenza and pollution; Environmental Health Perspectives; Volume 112; Issue 1; 6-8; 2004.
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC1241789/
Bell, M. & Davis, D.L.: Reassessment of the lethal London fog of 1952: Novel indicators of acute and chronic consequences of acute exposure to air pollution; Environmental Health Perspectives; Volume 109; Issue 3, 2001.
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC1240556/
50 years on: The struggle for air quality in London since the great smog of December 1952, Bericht über den Umgang mit Luftverschmutzung, herausgegeben durch die Greater London Authority.
https://www.london.gov.uk/mayor/environment/air_quality/docs/50_years_on.pdf
Lehrbrief I der Lehrbrief-Reihe „Regenerative Energiequellen” der Fernschule Weber.
https://fernschule-weber.de/lehrgang/req/index.htm
BBC-Doku „Killer Fog” auf youTube: Teil 1 | Teil 2 | Teil 3 | Teil 4 | Teil 5 | Teil 6
Internet-Quellen:
Encyclopedia of Earth:
https://www.eoearth.org/article/London_smog_disaster,_England
Wikipedia-Artikel zum „Great Smog of London”:
https://en.wikipedia.org/w/index.php?title=Great_Smog (engl.)
https://de.wikipedia.org/wiki/Smog-Katastrophe_in_London_1952 (dt.)
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