Lange Arbeitszeiten, niedriges Gehalt und Kettenverträge – viele Wissenschaftler arbeiten unter mehr als unsicheren Bedingungen. Sind sie deshalb dem Prekariat zuzurechnen? Über einen Artikel hierzu bin ich in der Zeitschrift für Nachwuchswissenschaftler gestolpert.

Der Jenaer Soziologe Matthias Neis greift in „Immer der Karotte nach” die seltsamen Eigenarten wissenschaftlicher Arbeitsverhältnisse auf und fragt sich, ob die Wissenschaft als präkere Profession zu gelten hat. Obwohl das Ergebnis nicht eindeutig ausfällt, trifft es diese Beschreibung auf den Kopf:

Bis der sogenannte wissenschaftliche Nachwuchs eine gesicherte Perspektive an den Hochschulen oder auch außeruniversitären Forschungseinrichtungen erreicht, muss er sich mit Kettenverträgen, häufigen Statuswechseln, formaler Teilzeitbeschäftigung und nicht selten mit Phasen der Erwerbslosigkeit arrangieren. […] Die Wissenschaft sorgt für eine starke intrinsische Motivation und lässt am Horizont mögliche Belohnungen aufscheinen, die immer wieder zum Weitermachen motivieren.

In der Tat kenne ich Kollegen, die jede Woche 80 oder mehr Stunden arbeiten und trotz hoher Qualifikation immer wieder zeitlich befristete Halb- oder gar Viertelstellenverträge unterschreiben – Bedingungen, die man in anderen Branchen keinem Azubi zumuten würde, geschweige denn einem voll ausgebildeten Mitarbeiter, die aber in der Wissenschaft als vollkommen normal gelten. Neis sieht die Ursachen hierfür im besonders hohen Maß der Selbstverwirklichung, die mit der wissenschaftlichen Arbeit verbunden ist, sowie einer starken intrinsischen Motivation. Obwohl beides sicher zutrifft, stellt sich dennoch die Frage, warum die prekären Arbeitsbedingungen nicht stärker thematisiert werden.

Unter den hochqualifizierten Berufsgruppen lässt sich schwerlich eine vergleichbare finden, die in ähnlicher Weise dauernd von Unsicherheit begleitet wird und die gleichzeitig so wenig darüber reflektiert.

Das ist in der Tat erstaunlich. Zwar unterhält man sich intern durchaus über Arbeitszeiten und Verträge sowie die damit verbundenen Unsicherheiten in der langfristigen Familien- und Lebensplanung, nach Außen spricht man die Problematik jedoch eher selten an. Warum ist das so? Basierend auf vielen Gesprächen, die ich über die Jahre mit Kolleginnen und Kollegen geführt habe, fallen mir da vier mögliche Hauptursachen ein.

  1. Normalität: Die Unsicherheit der Arbeitsbedingungen ist im Wissenschaftsbetrieb inzwischen zu einer derartigen Normalität geworden, dass sie von vielen kaum noch hinterfragt wird. So wie auch andere Berufsbilder für die Beschäftigten positive und negative Eigenschaften aufweisen, akzeptiert man die mit einer Karriere im wissenschaftlichen Bereich verbundenen Schwierigkeiten bei der Lebens- und Familienplanung und hofft eisern darauf, irgendwann eine besser bezahlte Festanstellung bei einem größeren Institut oder gar eine Professur zu ergattern.
  2. Vorteile: Im Hinblick auf persönliche Entfaltung, selbstbestimmtes Arbeiten und die freie Einteilung der Arbeit können vermutlich nur noch künstlerische Tätigkeiten mit wissenschaftlicher Arbeit mithalten. Viele wägen diese enormen Vorteile – meiner Ansicht nach übrigens vollkommen zu Recht – gegen die speziellen Nachteile des Berufsbildes auf und kommen zu dem Schluss, dass sich ein Engagement lohnt.
  3. Scham: Auch das ist meines Erachtens nach ein Faktor. Viele Wissenschaftler haben – gerade im Vergleich zu anderen Berufsgruppen – ein äußerst positives Bild von ihrer eigenen Tätigkeit, begeistern sich für ihre Aufgaben und sind – ein menschlicher Zug – durchaus auch stolz auf ihre Projekte und Publikationen. In diesem Kontext fällt es schwer, gegenüber Dritten – sowie auch gegenüber sich selbst – einzugestehen, dass man eventuell zu Bedingungen arbeitet, bei denen andere – und weniger qualifizierte – Arbeitskräfte schon längst verärgert das Handtuch geworfen hätten.
  4. Duldsamkeit: Es mag eine subjektive – und schwer zu belegende – Beobachtung sein, aber zumindest ich habe den Eindruck, als ob viele Wissenschafter sich durch eine gewisse Duldsamkeit auszeichnen, insbesondere wenn sie die professorale Stufe noch nicht erreicht haben. Beispielhaft seien nur die vor zwei Wochen am Wochenende europaweit durchgeführten Messungen der Vulkanaschekonzentration genannt, die nicht nur in den Medien teilweise scharf kritisiert und teilweise regelrecht geleugnet wurden, sondern für die es sicher auch keine Sonderzuschläge gegeben haben dürfte.

    Wer mag, kann ja mal seinen Handwerker / Psychotherapeuten / Gärter etc. fragen, ob er Lust hätte, am Wochenende ohne Zuschläge durchzuarbeiten und sich hinterher auch noch dafür runterputzen zu lassen…

Soziologe Neis empfiehlt am Ende seines Artikels allen “prekär arbeitenden” Wissenschaftlern übrigens, öfter mal kritisch über die eigene Erwerbssituation zu reflektieren – und fordert zudem, die besonderen Eigenarten wissenschaftlicher Erwerbsarbeit zum Gegenstand sozialwissenschaftlicher Forschung zu machen.

Im Sinne einer Entprekarisierung wissenschaftlicher Erwerbsarbeit wäre es demzufolge sinnvoll, wenn diejenigen, die im Geschirr stehen gelegentlich innehielten und den Kopf hochnähmen. Dabei könnte man nicht nur entdecken, wer die Angel mit der Karotte in der Hand hält, sondern auch, dass sich ringsrum viele andere Gespanne in einer ähnlichen Situation befinden. Abseits von solchen möglicherweise wünschenswerten Entwicklungen bleibt es ein Auftrag an die Forschung, den besonderen Charakter wissenschaftlicher Erwerbsarbeit genauer zu beschreiben.

Eine offene externe wie interne Diskussion könnte demnach helfen – dazu kann es sicher auch gehören, wenn sich bloggende WissenschaftlerInnen der Thematik annehmen, was insbesondere Florian und Ludmila hier, hier und hier ja schon versucht haben. Neben der soziologisch sicher spannenden Suche nach den Ursachen für diese Situation stellt sich da natürlich vor allem die Frage, was aus Sicht der “Community” getan werden könnte, um bestimmte Mißstände mittel- bis langfristig auszuräumen und die “Selbstausbeutung” zumindest ein klein wenig einzugrenzen.

Mir jedenfalls fällt da keine wirklich aussichtsreiche Möglichkeit ein…

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Kommentare (23)

  1. #1 Conine
    30. April 2010

    Viele dieser Stellen sind ja an Projekte gebunden, und da Projekte eine gewisse (u.a. vom Funder) vorgegebene Laufzeit haben, zieht es nun mal nach sich, dass viele Wissenschaftler nunmal nur 1/4 oder 1/2 befristete Stellen haben.

    Ich selbst habe mich die letzten 7 Jahre seit meiner Promotion auch so ueber Wasser gehalten – und bin jetzt wieder auf einer befristeten Stelle gelandet (die, eventuell vielleicht, wenn wir es dann richtig machen, zu eine laengerfristigen Stelle werden kann).

  2. #2 Christian Reinboth
    30. April 2010

    @Conine: Da kann man nur die Daumen drücken – viel Glück! Trotzdem: 7 Jahre mit Zeitverträgen über 1/2- oder 1/4-Stellen bei erfolgter Promotion und damit entsprechend hoher Qualifikation – warum tun so viele Wissenschaftler/innen sich das an? (ich bin da ja auch nicht anders) Allein die Aussicht auf eine längerfristige Stelle kann es ja nicht sein – damit könnte man in anderen “Branchen” auch keine derartigen Verträge an den Mann bzw. die Frau bringen…

  3. #3 Till Westermayer
    30. April 2010

    Kleiner Nebenaspekt: dass es 1/2 Stellen gibt, macht es zumindest formal möglich, Wissenschaft und Familie o.ä. zu kombinieren. Die würde ich insofern nicht verdammen – und auch nicht die Existenz von projektbezogenen und befristeten Stellen. Was in der Tat fehlt, sind allerdings erstens jede Menge unbefristete/längerfristige und gleichzeitig eigenständige Stellen – und zweitens Karriereoptionen jenseits des Superfilters “Professur”.

  4. #4 Christian Reinboth
    30. April 2010

    @Till:

    Dass es 1/2 Stellen gibt, macht es zumindest formal möglich, Wissenschaft und Familie o.ä. zu kombinieren.

    Wo die 1/2 Stellen genutzt werden, um so etwas tatsächlich umzusetzen, sind sie natürlich zu begrüßen. Gängige Praxis ist ja aber leider, dass 1/2 Stellen vergeben werden, wo für volle Stellen (oder mehr) Arbeit anliegt (und dann auch erledigt wird). Problematischer ist natürlich – da sind wir ja offenbar gleicher Meinung – die Quasi-Unmöglichkeit der längerfristigen Planung und die fehlenden Karrierechancen für diejenigen Wissenschaftler, die keine Professur bekommen (oder anstreben – auch das soll es ja geben…).

  5. #5 Dr. Glukose
    30. April 2010

    Ich glaube, dass vor allem der erste Punkt total zutrifft. Das fängt ja schon bei den Studenten an, die in ihren Pflichtpraktika den ganzen Tag im Labor stehen müssem, um die Experimente durchzukriegen. Man fühlt sich da dann schon als ein vollwertiger Wissenschaftler, da man gemeinsam mit angehenden Ph.d´s und Postdocs, und auch Diplomanden das selbe Stockwerk teilt. Wenn man da dann sieht, wie vertieft alle in ihrer Arbeit sind und lange über dem “normalen Feierabend” noch im Labor abhängen, gewöhnt man sich daran oder drücken wir es besser so aus: Sehen, das dies der normale Alltag ist. Hinterfragt wir in der Tat nicht, denn als Wissenschaftler will man erfolgreich sein und wer erfolgreich sein will, muss viel experimentieren und das braucht eben viel Zeit. Ich weiss nicht, ob man das als Tugend bezeichnen kann, zumindest würde ich es gern sehen, dass Wissenschaftler besser vergütet werden, denn ich kenne einige Kollegen, die echt kein Privatleben mehr haben und nur noch meckern “bin immer im Labor und komme nicht raus”. Wenn man also sein Privatleben so massiv opfert, sollte man entsprechendes Gehalt bekommen, das aber leider nicht aufgebracht werden kann in Forscherkreisen. Das Traurige ist auch, da Wissenschaftler einer Arbeitsgruppe angehören, unterliegen sie einem Gruppenzwang und da es mehr Wissenschaflter gibt, die länger im Labor bleiben, muss man auch länger da bleiben. Erst recht, wenn man Nachwuchswissenschaftler ist und sich beweisen möchte.

  6. #6 erz
    30. April 2010

    Wenn das eine offene Frage ist, ob Wissenschaftler zum Prekariat gehören, dann muss ich es mit meinem Freund Emmet halten, der sich gerade wieder tierisch über das Hochschulrahmengesetz, Juniorprofessuren ohne tenure-track und Habilitierte in Berufungskommissionen ärgert: Eindeutig ja. Extrem krass, wie dann auch noch das Arbeitsamt all jenen, die der Passion wegen diese Ungerechtigkeit hinnehmen, Knüppel zwischen die Beine wirft.

    Von meinem lieben Freund mir pointiert zugetragene Anekdote aus dem akademischen Prekariat: Emmet Brown und das Arbeitsamt.

  7. #7 erz
    30. April 2010

    Entschuldigt den Doppelpost, aber ich wollte nicht unkommentiert lassen, dass die “weichen” Ursachen in meinen Augen nicht ausreichend erklären, warum Wissenschaftler im Universitären Betrieb sich so gängeln lassen: Anders als ein Handwerker befinden sich die Wissenschaftler doch im Wettbewerb auf einem geschlossenen Markt, der dank des Hochschulrahmengesetzes in Deutschland noch von ganz kuriosen Regeln verkompliziert wird. Deswegen ist das Bild von der Karotte so gut: Das Prekariat sind ja die “angehenden” Wissenschaftler, also jene, die mangels nötiger Stellen für akademische Räte oder dauerhafter Perspektiven als wissenschaftlicher Angestellter auf die wenigen Professuren hoffen und deswegen so unglaublich fette Kröten schlucken.

    Dummerweise erreicht nur ein Bruchteil der Teilnehmer an diesem Rattenrennen die ersehnte Selbstverwirklichung. Je nach Fach sind viele wissenschaftliche Stellen nämlich reine Zuarbeiterpositionen für jene, die schon ihre Professur haben. Da ist die Ausbeutung gleich doppelt bitter, wenn dann nach 12 Jahren die Universitätskarriere abrupt beendet wird.

  8. #8 Christian Reinboth
    30. April 2010

    @Dr. Glukose: Stimmt schon – man wird als Student, der später mal in der Wissenschaft arbeiten möchte quasi im Wissenschaftsbetrieb sozialisiert und kennt es dann auch gar nicht anders. Ich finde es trotzdem erstaunlich, dass die Probleme, die mit den prekären Arbeitsbedingungen verbunden sind so wenig thematisiert werden.

    Man denke nur mal an den vielen Wind, den die “Dauerpraktikanten” im BWL-Bereich während der letzten Jahre veranstaltet haben, wo ja ähnliche Zustände herrschen (immer wieder Zeitverträge zu Praktikantengehältern bei 120% Arbeitslast, schmackhaft gemacht mit einer irgendwann möglichen Festanstellung). Wenn ich dann noch den starken Vernetzungsgrad im Wissenschaftsbetrieb bedenke, wundert es mich schon, dass das offensichtlich ja beträchtliche Problem der Prekarisierung so selten zur Sprache kommt.

    Von den Problemen der “Generation Praktikum” hat ja inzwischen schon fast jeder gehört, während die meisten Leute immer noch denken, im “Elfenbeinturm” würden ganz genüsslich dicke Gelder kassiert…

    @erz:

    Von meinem lieben Freund mir pointiert zugetragene Anekdote aus dem akademischen Prekariat: Emmet Brown und das Arbeitsamt.

    Sehr lesenswert. Hab selbst noch nichts dergleichen erlebt, habe aber auch schon Horrorgeschichten zur Vermittlung von Wissenschaftlern bei der Arbeitsagentur erzählt bekommen, bei denen beispielsweise der promovierte Sprachwissenschaftler plötzlich zwangsweise in einem Kurs “Bewerbungen formulieren leicht gemacht” saß und dafür einen Lehrauftrag sausen lassen musste…

  9. #9 erz
    30. April 2010

    Die Probleme der Arbeitsagentur, deren Vermittlungskompetenz sich nicht auf hochqualifizierte Spezialisten erstreckt, sind dann für die betroffenen Wissenschaftler “adding insult to injury”. Dabei können die Mitarbeiter dort noch nicht einmal wirklich was dafür. Es ist nur einfach eine zusätzliche Unwägbarkeit des Systems, das leider entgegen aller Beteuerungen konsequent bildungsfeindlich ist.

  10. #10 Wenke Richter
    30. April 2010

    Neben all den – im optimistischsten Falle – noch positiv zu wertenden Auswirkungen wie Kombinierbarkeit von Familie und Wissenschaft bei 1/2 Stellen überwiegen m. M. dennoch die negativen Aspekte: das Hangeln von Stelle zu Stelle, die mittel- und langfristige Unsicherheit, die schlechte Bezahlung. Eigentlich sind diese Verlängerungen von 2 Jahresverträgen zur selben Stelle über Jahre hinweg arbeitsrechtlich nicht zulässig. Interessanterweise wird bei Firmen der freien Wirtschaft auf dieses Recht gepocht, nur an der Universität wird großzügig hinweggesehen. Das andere Problem ist, daß wir als Wissenschaftler (vor allem Nachwuchswissenschaftler) dieses “Spiel” mitmachen, anstatt eine angemessene Entlohnung etc. einzufordern. Nein, im Gegenteil ist man ja als Doktorand glücklich, für wenige Monate eine 1/2 Stelle an der Universität ergattert zu haben. Ist das der richtige Weg zu einer wissenschaftlichen Elite für Deutschland?

  11. #11 Christian Reinboth
    30. April 2010

    @Wenke Richter:

    Eigentlich sind diese Verlängerungen von 2 Jahresverträgen zur selben Stelle über Jahre hinweg arbeitsrechtlich nicht zulässig. Interessanterweise wird bei Firmen der freien Wirtschaft auf dieses Recht gepocht, nur an der Universität wird großzügig hinweggesehen.

    Das liegt meines Wissens nach auch daran, dass Hochschulen die Möglichkeit haben, Arbeitsverträge an das Vorhandensein von Drittmitteln zu binden, d.h. der Vertrag läuft, solange bestimmte Drittmittel verfügbar sind. Dadurch kommt es zu am Projekt orientierten Befristungen, wie es sie in der freien Wirtschaft gar nicht geben könnte – wobei sich natürlich dennoch die Frage stellt, warum das Aufbegehren so minimal ist.

    Nein, im Gegenteil ist man ja als Doktorand glücklich, für wenige Monate eine 1/2 Stelle an der Universität ergattert zu haben. Ist das der richtige Weg zu einer wissenschaftlichen Elite für Deutschland?

    Vermutlich nicht, aber genau so sieht der status quo in Deutschland aus. Da werden freudig Verträge unterzeichnet, die andere Berufsgruppen nur mit Zähneknirschen und unter lautem Protest oder gar nicht akzeptieren würden. Irgendwelche soziologischen Gründe (Selbstbild, Scham, Gruppendruck etc.) wird es da sicher geben…

  12. #12 S.S.T.
    1. Mai 2010

    @Dr. Glukose
    Was angehende Wissenschaftler angeht, also Diplomanden und Doktoranden, so werden diese (nach meiner Erfahrung) bereits recht gut von ihren Doktorvätern ausgebeutet. Fünfjährige Doktorarbeiten (Chemie) waren zu meiner Zeit keine Seltenheit, selbst zweibändige Diplomarbeiten kamen vor. Bei Stellen durfte man nicht wählerisch sein, egal wie hoch die zusätzliche Belastung war.

    Glücklicherweise hatte ich mich damals überreden lassen an einem MPI zu promovieren, da herrschte in jeder Hinsicht ein ganz anderer Wind.

    Wissenschaft hat den Nachteil i.d.R. nicht ad hoc gewinnbringend zu sein, von wenigen Ausnahmen abgesehen. Grundlagenforschung kann in ein paar Jahren, in einigen Jahrzehnten oder evtl. nie wichtig werden. Das sind Zeiträume, die in der Wahrnehmung keine Rolle spielen.

    Ich fand damals den MPI-Ansatz: Grundlagenforschung mit scharfem Blick auf techn. Verwirklichung, sehr gut, im Gegensatz zur Uni, wo es viel um Veröftlichung XXIII ‘Reaktionen von…’ ging.

    Na ja, vieles in der Cern-Debatte (u.a. bei @Florian) dreht sich ja auch um diesen Punkt: ‘Was hilft uns das weiter?’, ‘Geldverschwendung’, ‘Hunger in der Welt’ etc.

    In der gefühlten Wirklichkeit wird heutzutage Wissenschaft eh verteufelt, wohl weil sie eben keine einfache Antworten für simple Gemüter geben kann. Der ‘Glaube’ ist da eben einfacher und auch lukrativer.

  13. #13 Thomas J
    1. Mai 2010

    Als Nichtinvolvierten würde es mich Wunder nehmen, ob das in allen Ländern gleich aussieht? Wo besser, wo schlechter und wieso?

    Und was gäbe es für Lösungsansätze? Mehr Geld in die Wissenschaft? Mehr Geld für Unis? Mehr feste Stellen mit mehr Entscheidungsfreiheit, was geforscht wird?

    Und um sich Gehör zu verschaffen, gibts wohl nichts Anderes, als politisch aktiv zu werden oder zumindest Politiker für sein Anliegen zu gewinnen, also Lobbyarbeit leisten.

    Wissenschaft und Wissenschaftler werden nicht as Arbeiter wahrgenommen, sondern treten in den Medien als Experten auf, was von gewissen Schichten als Expertentum negativ aufgenommen wird.
    Alle Schuld kann aber auch nicht auf die Medien abgewälzt werden, oder?

  14. #14 Sven Türpe
    1. Mai 2010

    Jeder ist seines Glückes Schmied und Selbstverantwortung ist zumutbar. Ich will gerne glauben, dass es Drecksjobs mit miesem Gehalt gibt. Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Hochschulabsolventen wohl die letzten sind, denen aufgrund äußerer Zwänge nichts anderes übrig bleibt als sich zu derart schlechten Konditionen zu verdingen. Man muss ganz nüchtern durchrechnen, welche Investitionen sich lohnen und welche nicht, und dazu sollte ein Akademiker ohne Hilfe in der Lage sein. Zu kritisieren wäre höchstens die Neigung einzelner, sich zu Dumpingpreisen zu prostituieren, denn dieses Verhalten macht den Markt für alle kaputt.

  15. #15 Wenke Richter
    1. Mai 2010

    @Christian Reinboth

    Der zweite Abschnitt bzgl. “Glücklich sein” warironisch gemeint, nur von mir in der schriftlichen Form nicht so recht signalisiert. Ergänzung zu den befristeten Verträgen: es funktioniert auch deshalb “so gut”, weil die Arbeitsverträge dann bei der Neugestaltung einfach einen anderen Tätigkeitsschwerpunkt, eine neue Stelle bezeichnen, somit ist diese zeitliche Begrenzung wieder aufgehoben.
    Hier wird in der Diskussion passim angedeutet, daß Absolventen andere Möglichkeiten für Arbeiten hätten. Hier muß stark von Fachbereich zu Fachbereich unterschieden werden: für manche Bereiche der Naturwissenschaften sieht es gut, da steht die Universität in einem intensiven Konkurrenzkampf zur freien Wirtschaft. Bei den Geisteswissenschaften ist hingegen der beschriebene Zustand usus. Wissenschaftliche Stellen gibt es nur im universitären-staatlichen Bereich (ich zähle Institute wie MPG mit dazu): auf eine halbe, auf ein Jahr befristete Stelle bewerben sich mehr als 300 Personen (auch Promovierte, teilweise Habilitierte)! Diese Stellen sind aber oftmals zuvor “intern” schon vergeben. In der Wissenschaft ist die Luft dünn, hier gelten Netzwerke. Ansonsten sucht man sich Stellen in der freien Wirtschaft, die absolut nichts mehr mit dem Studium zu tun haben.

  16. #16 Wb
    2. Mai 2010

    Diesen Artikel mit der Überschrift “Gehören Wissenschaftler zum Prekariat?” unter:
    – Geistes- & Sozialwissenschaften
    – Kultur
    zu kategorisieren, hat bereits eine Botschaft, gell.

    MFG
    Wb

  17. #17 Wb
    2. Mai 2010

    BTW, mit Wortschöpfungen wie “Prekariat” (soll wohl heissen: Arbeitnehmer in gegenüber dem Arbeitgeber niederrangiger Position oder unverschuldet Arbeitslose – all jene merkwürdigen Vorurteile bestimmter Kräfte über das Wesen der Wirtschaft schimmern in diesem Wort durch) kann man eben schwierig Geld verdienen. Richtig ist natürlich, dass die Unis zuviele Absolventen rausschicken, die nicht gebraucht werden, die “prekär arbeiten” müssen (oder das zumindest glauben).

    Hat jemand Mitleid?

  18. #18 Christian Reinboth
    2. Mai 2010

    @Wb:

    Diesen Artikel mit der Überschrift “Gehören Wissenschaftler zum Prekariat?” unter: Geistes- & Sozialwissenschaften, Kultur zu kategorisieren, hat bereits eine Botschaft, gell.

    Eigentlich nicht. Alternativen wären gewesen: Naturwissenschaften, Medizin, Politik, Umwelt oder Technik. Bis auf Politik passt da überhaupt nichts, wobei Prekarisierung im Kern auf jeden Fall ein sozialwissenschaftliches Thema ist.

    Soll wohl heissen: Arbeitnehmer in gegenüber dem Arbeitgeber niederrangiger Position oder unverschuldet Arbeitslose.

    Mit dem Begriff bezeichnet man eigentlich eher Arbeitnehmer, die sich in dauerhaft unsicheren und niedrig entlohnten Arbeitsverhältnissen befinden und die daher nicht zu einer längerfristigen Planung in der Lage sind.

    Richtig ist natürlich, dass die Unis zuviele Absolventen rausschicken, die nicht gebraucht werden

    Das Problem in diesem Land ist, dass wir zuviele Akademiker haben? Ist das Ernst gemeint? Ich meine mich daran zu erinnern, dass die Zahl der Arbeitsplätze für gering qualifizierte Arbeitnehmer in den letzten Jahrzehnten beständig gesunken ist…

  19. #19 Wb
    2. Mai 2010

    Sischer ist das ernst gemeint, dass zu viele Akademiker bereit stehen, die nicht gebraucht werden. Weder in der privaten noch in der staatlich bereiteten Forschung.
    Sehen Sie das nicht so? Falls nein, wie erklären Sie sich die beschriebenen Zustände? Ist der Staat ungerecht und/oder funktioniert der Markt nicht?
    (BTW, es wurde nicht behauptet, dass zu viele Akademiker generiert werden, dazu lässt sich sinnvollerweise kaum etwas ausssagen, es wurde behauptet, dass zu viele Akademiker generiert werden, die nicht gebraucht werden. Einige Gründe hierfür sind Ihnen sicherlich bekannt, dbzgl. möchte der Webbaer nicht ausführen.)

    MFG
    Wb

  20. #20 Christian Reinboth
    2. Mai 2010

    @Wb:

    Falls nein, wie erklären Sie sich die beschriebenen Zustände? Ist der Staat ungerecht und/oder funktioniert der Markt nicht?

    Ich vermute hier tatsächlich eine Art von Marktversagen, wenn auch eine etwas kuriose. Obwohl die Forschung mit zahlreichen positiven externen Effekten verbunden ist, stellt der Staat nur vergleichsweise geringe finanzielle Mittel zu Verfügung. Der Output des wissenschaftlichen Sektors müsste aufgrund dessen im Prinzip geringer sein, als er es in Wirklichkeit ist, was wiederum mit der interessanten Eigenschaft vieler Beschäftigter dieses Sektors zusammenhängt, freiwillig eine höhere Leistung als die real entlohnte zu erbringen.

    Dies hängt meines Erachtens nach unter anderem mit der “Karotte” der Professur sowie einer hohen intrinsichen Motivation der Beschäftigten zusammen, hat aber sicher noch zahlreiche weitere soziologische Gründe, deren nähere Betrachtung sich sicher lohnen würde. Allein auf Basis von wirtschaftswissenschaftlichen Überlegungen kann ich mir das “Funktionieren” des Arbeitsmarktes jedenfalls kaum erklären, zumal gerade in den Ingenieurs- und einigen Naturwissenschaften alternative Karriereoptionen in der freien Wirtschaft durchaus gegeben sind…

  21. #21 Wb
    2. Mai 2010

    @CR
    Ja, da spielen viele Aspekte hinein, meint man die Akademiker oder die lehrenden und forschenden Wissenschaftler?, oder auch: Wie funktioniert der Markt für forschende/lehrende Wissenschaftler eigentlich genau?, Ist dieser Markt noch natürlich?.
    Hier müsste man dann aus Sicht des Wb zynisch werden, das soll aber unterbleiben.
    Grundsätzlich ist es jedenfalls nicht verkehrt sich mal an die eigene Nase zu fassen und sich zu fragen, was man genau will. Will man habilitieren, wie sind hierfür die Chancen, wie ist das Studienfach perspektivisch zu bewerten, bin ich geeignet?

    MFG
    Wb

  22. #22 Christian Reinboth
    2. Mai 2010

    @WB:

    Wie funktioniert der Markt für forschende/lehrende Wissenschaftler eigentlich genau? Ist dieser Markt noch natürlich?

    Das wären in der Tat interessante Fragen, immerhin weist der Markt sowohl für lehrende als auch für forschende Wissenschaftler einige Besonderheiten auf, die sich mit marktwirtschaftlichen Prinzipien schwer vereinbaren lassen. Wenn beispielsweise ein Biochemiker, der in der Wirtschaft Chancen auf einen hochdotierten Arbeitsplatz hätte, sich für die universitäre Laufbahn mit dem Ziel einer Professur entscheidet, wohl wissend dass die Chancen schlecht stehen und selbst im Fall eines Erfolges erst einmal zehn Jahre Zeitverträge evtl. mit Phasen der Arbeitslosigkeit warten, ist die Entscheidung nicht unbedingt rational – puren Altruismus sollte man aber vermutlich auch nicht erwarten. “Lust zu Forschen/Lehren”, Chancen der Selbstverwirklichung, Sozialisierung im universitäre Umfeld etc. dürften hier eine Rolle spielen – eine genaue Untersuchung wäre – so schreibt es ja auch der Autor des oben zitierten Artikels – aber auf jeden Fall wünschenswert…

  23. #23 Wb
    2. Mai 2010

    Vielleicht kann man die Situation, zumindest was in D die Anwartschaft auf die ca. 2.000 Professuren p.a. betrifft, ein wenig mit anderen Bereichen vergleichen, bspw. mit dem Sport, in jeder Sportart gibt es neben der Spitze, die oft gut verdient, eine grosse Anzahl von Leuten, die es nicht schafft.
    Vielleicht ist das Hungerleidertum einiger also nur natürlich.

    Dazu kommt dann noch die lenkerisch gestaltete staatliche Forschung und Lehre, die “natürlich nicht natürlich” ist, also wenn man marktübliche Überlegungen anstellt.
    Der Wb will auch gar nicht wissen wie man bspw. in D im soziologischen Bereich an eine Professur kommt. Frauenforschung, Butterwegge, Bofinger u.s.w.
    Die Forschung und Lehre im privaten Bereich ist auch so eine Sache, wer will bspw. als Versicherungsmathematiker forschen (oder “forschen”)?

    Das mit dem Streiken hat der Wb seinerzeit auch gelesen, das war lustig.

    MFG
    Wb