Lange Arbeitszeiten, niedriges Gehalt und Kettenverträge – viele Wissenschaftler arbeiten unter mehr als unsicheren Bedingungen. Sind sie deshalb dem Prekariat zuzurechnen? Über einen Artikel hierzu bin ich in der Zeitschrift für Nachwuchswissenschaftler gestolpert.
Der Jenaer Soziologe Matthias Neis greift in „Immer der Karotte nach” die seltsamen Eigenarten wissenschaftlicher Arbeitsverhältnisse auf und fragt sich, ob die Wissenschaft als präkere Profession zu gelten hat. Obwohl das Ergebnis nicht eindeutig ausfällt, trifft es diese Beschreibung auf den Kopf:
Bis der sogenannte wissenschaftliche Nachwuchs eine gesicherte Perspektive an den Hochschulen oder auch außeruniversitären Forschungseinrichtungen erreicht, muss er sich mit Kettenverträgen, häufigen Statuswechseln, formaler Teilzeitbeschäftigung und nicht selten mit Phasen der Erwerbslosigkeit arrangieren. […] Die Wissenschaft sorgt für eine starke intrinsische Motivation und lässt am Horizont mögliche Belohnungen aufscheinen, die immer wieder zum Weitermachen motivieren.
In der Tat kenne ich Kollegen, die jede Woche 80 oder mehr Stunden arbeiten und trotz hoher Qualifikation immer wieder zeitlich befristete Halb- oder gar Viertelstellenverträge unterschreiben – Bedingungen, die man in anderen Branchen keinem Azubi zumuten würde, geschweige denn einem voll ausgebildeten Mitarbeiter, die aber in der Wissenschaft als vollkommen normal gelten. Neis sieht die Ursachen hierfür im besonders hohen Maß der Selbstverwirklichung, die mit der wissenschaftlichen Arbeit verbunden ist, sowie einer starken intrinsischen Motivation. Obwohl beides sicher zutrifft, stellt sich dennoch die Frage, warum die prekären Arbeitsbedingungen nicht stärker thematisiert werden.
Unter den hochqualifizierten Berufsgruppen lässt sich schwerlich eine vergleichbare finden, die in ähnlicher Weise dauernd von Unsicherheit begleitet wird und die gleichzeitig so wenig darüber reflektiert.
Das ist in der Tat erstaunlich. Zwar unterhält man sich intern durchaus über Arbeitszeiten und Verträge sowie die damit verbundenen Unsicherheiten in der langfristigen Familien- und Lebensplanung, nach Außen spricht man die Problematik jedoch eher selten an. Warum ist das so? Basierend auf vielen Gesprächen, die ich über die Jahre mit Kolleginnen und Kollegen geführt habe, fallen mir da vier mögliche Hauptursachen ein.
- Normalität: Die Unsicherheit der Arbeitsbedingungen ist im Wissenschaftsbetrieb inzwischen zu einer derartigen Normalität geworden, dass sie von vielen kaum noch hinterfragt wird. So wie auch andere Berufsbilder für die Beschäftigten positive und negative Eigenschaften aufweisen, akzeptiert man die mit einer Karriere im wissenschaftlichen Bereich verbundenen Schwierigkeiten bei der Lebens- und Familienplanung und hofft eisern darauf, irgendwann eine besser bezahlte Festanstellung bei einem größeren Institut oder gar eine Professur zu ergattern.
- Vorteile: Im Hinblick auf persönliche Entfaltung, selbstbestimmtes Arbeiten und die freie Einteilung der Arbeit können vermutlich nur noch künstlerische Tätigkeiten mit wissenschaftlicher Arbeit mithalten. Viele wägen diese enormen Vorteile – meiner Ansicht nach übrigens vollkommen zu Recht – gegen die speziellen Nachteile des Berufsbildes auf und kommen zu dem Schluss, dass sich ein Engagement lohnt.
- Scham: Auch das ist meines Erachtens nach ein Faktor. Viele Wissenschaftler haben – gerade im Vergleich zu anderen Berufsgruppen – ein äußerst positives Bild von ihrer eigenen Tätigkeit, begeistern sich für ihre Aufgaben und sind – ein menschlicher Zug – durchaus auch stolz auf ihre Projekte und Publikationen. In diesem Kontext fällt es schwer, gegenüber Dritten – sowie auch gegenüber sich selbst – einzugestehen, dass man eventuell zu Bedingungen arbeitet, bei denen andere – und weniger qualifizierte – Arbeitskräfte schon längst verärgert das Handtuch geworfen hätten.
- Duldsamkeit: Es mag eine subjektive – und schwer zu belegende – Beobachtung sein, aber zumindest ich habe den Eindruck, als ob viele Wissenschafter sich durch eine gewisse Duldsamkeit auszeichnen, insbesondere wenn sie die professorale Stufe noch nicht erreicht haben. Beispielhaft seien nur die vor zwei Wochen am Wochenende europaweit durchgeführten Messungen der Vulkanaschekonzentration genannt, die nicht nur in den Medien teilweise scharf kritisiert und teilweise regelrecht geleugnet wurden, sondern für die es sicher auch keine Sonderzuschläge gegeben haben dürfte.
Wer mag, kann ja mal seinen Handwerker / Psychotherapeuten / Gärter etc. fragen, ob er Lust hätte, am Wochenende ohne Zuschläge durchzuarbeiten und sich hinterher auch noch dafür runterputzen zu lassen…
Soziologe Neis empfiehlt am Ende seines Artikels allen “prekär arbeitenden” Wissenschaftlern übrigens, öfter mal kritisch über die eigene Erwerbssituation zu reflektieren – und fordert zudem, die besonderen Eigenarten wissenschaftlicher Erwerbsarbeit zum Gegenstand sozialwissenschaftlicher Forschung zu machen.
Im Sinne einer Entprekarisierung wissenschaftlicher Erwerbsarbeit wäre es demzufolge sinnvoll, wenn diejenigen, die im Geschirr stehen gelegentlich innehielten und den Kopf hochnähmen. Dabei könnte man nicht nur entdecken, wer die Angel mit der Karotte in der Hand hält, sondern auch, dass sich ringsrum viele andere Gespanne in einer ähnlichen Situation befinden. Abseits von solchen möglicherweise wünschenswerten Entwicklungen bleibt es ein Auftrag an die Forschung, den besonderen Charakter wissenschaftlicher Erwerbsarbeit genauer zu beschreiben.
Eine offene externe wie interne Diskussion könnte demnach helfen – dazu kann es sicher auch gehören, wenn sich bloggende WissenschaftlerInnen der Thematik annehmen, was insbesondere Florian und Ludmila hier, hier und hier ja schon versucht haben. Neben der soziologisch sicher spannenden Suche nach den Ursachen für diese Situation stellt sich da natürlich vor allem die Frage, was aus Sicht der “Community” getan werden könnte, um bestimmte Mißstände mittel- bis langfristig auszuräumen und die “Selbstausbeutung” zumindest ein klein wenig einzugrenzen.
Mir jedenfalls fällt da keine wirklich aussichtsreiche Möglichkeit ein…
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