Ein echtes Stück aus dem Tollhaus liefert derzeit die italienische Justiz. Weil sie ein Erdbeben nicht rechtzeitig vorhersagen konnten, hat die Staatsanwaltschaft in L’Aquila Ermittlungen gegen sieben Wissenschaftler des Nationalen Instituts für Geophysik und Vulkanologie aufgenommen – wegen fahrlässigen Totschlags in mehr als 300 Fällen…
Der britische ‘Independent’ berichtet:
Seven Italian officials are under investigation for manslaughter for failing to give the citizens of L’Aquila warning before last April’s earthquake. The disaster killed more than 300 people and razed the medieval city to the ground.
Hintergrund der Ermittlungen ist eine am 31. März 2009 abgegebene Einschätzung der Wissenschaftler, dass eine Serie kleinerer Erdbeben, die sich im März in der Region um L’Aquila ereignet hatten, nicht als Vorbote eines noch bevorstehenden, größeren Bebens zu werten sei (Wörtlich: “There is no reason to suggest that the sequence of low-magnitude tremors are a precursor to a major event”). Knapp eine Woche später – am 6. April 2009 – forderte ein schweres Erdbeben der Stärke 6.3 über 300 Todesopfer. Schuld an der hohen Opferzahl ist nach Ansicht von Chefstaatsanwalt Rossini besagte Expertengruppe:
“Those involved were highly qualified individuals who should have provided the public with different answers” said L’Aquila’s chief prosecutor, Alfredo Rossini. “It was not the case that we received no warning, because there had already been tremors. However, the advice given was that there was no need for people to leave their homes”.
Rossini said his office had opened the probe following numerous complaints from members of the public, who had not left their homes that night when the first tremors struck on the basis of that advice. “People died and we could not just ignore this line of investigation” he said.
Sollte die Anklage tatsächlich Erfolg haben tun sich – zumindest in Italien – ganze neue Berufsrisiken für Naturwissenschaftler auf. Wirbelsturm nicht rechtzeitig vorhergesagt? Totschlag. Ausbreitung einer Seuche falsch eingeschätzt? Gefängnis. Offenbar wieder mal ein klassisches Beispiel dafür, dass die Sprache der Wissenschaft nicht überall verstanden wird – insbesondere wenn es um Wahrscheinlichkeiten geht…
Die Krone wird dem ganzen Schauspiel durch die Tatsache aufgesetzt, dass die italienische Justiz im vergangenen Jahr gegen einen anderen Geologen vorgegangen ist, der vor einem Erdbeben in der Region gewarnt hatte (und dabei nur eine knappe Woche daneben lag):
Giuliani was forced to take down warnings he had posted on the internet. The researcher had said that a ‘disastrous’ earthquake would strike on March 29, but when it didn’t, Guido Bertolaso, head of Italy’s Civil Protection Agency, last week officially denounced Giuliani in court for false alarm. ‘These imbeciles enjoy spreading false news,’ Bertalaso was quoted as saying. ‘Everyone knows that you can’t predict earthquakes.’
Damned if you do, damned if you don’t…
Gefunden via ScienceBlogger Greg Laden und Earth Magazine
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