Mit geradezu schlafwandlerischer Sicherheit sagt Orakelkrake Paul derzeit die Ergebnisse der deutschen Nationalmannschaft voraus. Kann das alles noch Zufall sein? Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit dafür? Sind Kraken wirklich so intelligent? Und wie sicher ist der dritte Platz für die DFB-Elf am Samstag?
Da die Wahrscheinlichkeitslehre eines meiner Lieblingsthemen im Studium gewesen ist, und ich bei den Temperaturen ohnehin keinen wirklich hochwissenschaftlichen Artikel zustande bekomme, versuche ich mich heute mal an der Treffsicherheit von Orakelkrake Paul und gestattte mir hierfür zunächst einen kleinen Ausflug in die Theorie, angefangen beim Begriff des Zufallsvorgangs.
Als Zufallsvorgang wird jeder Vorgang bezeichnet, der in einem von mehreren möglichen Ereignissen enden kann, die sich wiederum gegenseitig ausschließen, d.h. es kann am Ende des Vorgangs nur eines der möglichen Ereignisse eingetreten sein. Welches Ereignis das ist, weiß man aufgrund der Natur des Vorgangs erst nach dessen Abschluss, allerdings lassen sich Aussagen über die Wahrscheinlichkeit treffen, mit der bestimmte Ereignisse eintreten. Typische Beispiele für Zufallsvorgänge sind Münzwürfe oder die Ziehung der Lottozahlen – wobei das Krakenorakel bei der Popularität sicher bald Einzug in die Lehrbücher findet…
Die Berechnung einer klassischen Wahrscheinlichkeit gestaltet sich zunächst recht einfach. Im Grunde teilt man lediglich die Anzahl der für den Beobachter interessanten Ereignisse durch die Anzahl der möglichen Ereignisse. So liegt die Wahrscheinlichkeit, beim Würfeln mit einem “fairen” (also einem ungezinkten und austarierten) Würfel eine Sechs zu würfeln bei 1/6, d.h. einem von sechs sogenannten Elementarereignissen. Die Chance, einmalig eine gerade Zahl zu würfeln, liegt dagegen bei 3/6 (d.h. 1/2), da es sich bei drei von sechs möglichen Elementarereignissen und den Wurf gerader Zahlen handelt.
So weit, so einfach. Wie sieht es nun aber mit der Wahrscheinlichkeit dafür aus, zwei mal hintereinander eine Sechs zu würfeln oder – wie im Fall von Paul – sechs mal hintereinander den Sieger eines Fußballspiels richtig vorherzusagen? Um solche Wahrscheinlichkeiten zu berechnen, bedient man sich der Axiome von Kolmogoroff:
- Axiom 1: Die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses A eines Zufallsvorgangs ist eine nichtnegative reelle Zahl
- Axiom 2: Die Wahrscheinlichkeiten aller möglichen Elementarereignisse eines Zufallsvorgangs ergeben zusammen den Wert 1
- Axiom 3: Die Wahrscheinlichkeit der Vereinigung zweier oder mehrerer Ereignisse eines Zufallsvorgangs ergeben sich aus der Summe der Einzelwahrscheinlichkeiten der Ereig- nisse, wenn die Ereignisse disjunkt sind, d.h. sich gegenseitig ausschließen
Auf Basis dieser Axiome lassen sich Wahrscheinlichkeitsdiagramme erstellen, mit denen sich die Berechnung verdeutlichen lässt. Als Beispiel sei hier auf den Münzwurf zurückgegriffen, bei dem es zwei Möglichkeiten – Wappen (W) und Zahl (Z) – gibt, die pro Wurf jeweils mit einer Wahrscheinlichkeit von 50% eintreffen, d.h. die Wahrscheinlichkeit, bei einem einfachen Münzwurf ein Wappen zu erhalten, liegt bei 50%.
Die Wahrscheinlichkeit für einen zweifachen Wappenwurf bei zwei Würfen erhält man, indem man die Wahrscheinlichkeiten miteinander multipliziert, d.h. 0,5 x 0,5 = 0,25. Die Wahrscheinlichkeit, bei zwei Münzwürfen hintereinander beide Male Wappen zu erhalten, liegt damit bei 25%, was auch insofern nachvollziehbar ist, als dass es ja insgesamt vier Möglichkeiten des Ausgangs bei zwei hintereinander stattfindenden Münzwürfen gibt.
Am “unteren Ende” eines solchen Ablaufplans darf übrigens auch addiert werden. Möchten wir beispielsweise erfahren, wie groß die Wahrscheinlichkeit dafür ist, dass man bei einem dreimaligen Münzwurf genau zweimal Wappen und nur einmal Zahl erhält, suchen wir uns einfach die drei hierfür infrage kommenden Pfade aus (WWZ, WZW & ZWW) und addieren die drei Einzelwahrscheinlichkeiten (0,5³, d.h. 12,5%) zu 37,5%.
Wie sieht die Sache nun beim Krakenorakel aus? Das Prinzip ist im Grunde identisch: Ähnlich wie beim Münzwurf gibt es hier lediglich zwei Möglichkeiten, nämlich einen richtigen (R) und einen falschen (F) Tipp durch Orakelkrake Paul. Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass Paul bei drei Fußballspielen hinternander richtig tippt, liegt demnach bei 0,5³ = 12,5%.
Da mein Versuch, alle sechs Spiele sowie auch das siebte am Samstag in eine Grafik zu quetschen, leider in einem extrem unleserlichen Ablaufplan endete, muss eine verbale Fortführung der Rechnung an dieser Stelle ausreichen. Setzt man den eben erläuterten Ansatz einfach fort, so ergibt sich bei den bisherigen sechs Spielen (drei in der Vorrunde sowie Achtel-, Viertel- und Halbfinale) eine Wahrscheinlichkeit von 0,015625, d.h. etwa 1,6% für eine kontinuierlich richtige Vorhersage. Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass Paul auch mit dem Spiel am Samstag recht behält, liegt demnach – über alle Spiele betrachtet – sogar nur bei 0,8%.*
Verglichen mit der Wahrscheinlichkeit, im Lotto zu gewinnen, ist das zwar immer noch recht hoch, für einen Kraken aber echt nicht schlecht, auch wenn das Angebot der GWUP, Pauls hellseherische Fähigkeiten im PSI-Labor zu testen sicher nicht ganz ernstzunehmen ist…
Pauls Chancen, auch dieses mal richtig zu liegen, sinken übrigens keineswegs mit der Anzahl seiner Treffer. Denn: Auch wenn man nach fünf Wappen hintereinander beim Münzwurf das Gefühl bekommt, jetzt müsste die Zahl mal wieder “dran sein”, liegt die Wahrscheinlichkeit für Zahl dennoch bei jedem Wurf wieder bei 50%, da sich die Vorgänge nicht beeinflussen.
Bei aller Freude am Spiel mit den Wahrscheinlichkeiten bin ich mir übrigens ziemlich sicher, dass die Rechnerei mindestens einen Haken hat. Denn: Wie sicher können wir uns sein, dass die Wahrscheinlichkeit dafür, dass Paul einen der beiden Muschelfleisch-Behälter knackt, wirklich bei 50% liegt? Immerhin verfügen Kraken über hervorragende Augen und reagieren – obwohl sie wohl keine Farben wahrnehmen können – sehr gut auf Kontraste, d.h. die auf den Containern angebrachten Flaggen der jeweiligen Fußballnationen könnten die Richtung, in die Paul sich bewegt, durchaus beeinflussen – wie zahlreiche andere Faktoren auch.
Und damit würde sich das Krakenorakel leider – trotz hoher Treffequote – nicht mehr als Fall für die Statistik-Lehrbücher eignen…
Für Statistik-Puristen: Die Möglichkeit, dass es in den Vorrundenspielen auch zu einem Unentschieden hätte kommen können, wird bei dieser Rechnung bequem ignoriert…
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