Wissenschaft – das ist doch im Grunde auch nur eine Religion mit Wahrheitsanspruch und Dogmen, die vom “Establishment” mit Zähnen und Klauen verteidigt werden. So oder so ähnlich lautet der Vorwurf, über den auch hier auf den ScienceBlogs schon des öfteren diskutiert wurde. Eine – wie ich finde – schöne Antwort darauf habe ich kürzlich in einem fast 120 Jahre alten Buch von Henry Adams gefunden.
Henry Adams (1838 – 1918) war ein amerikanischer Historiker, Philosoph und (posthum) Pulizer-preisgekrönter Autor, der einer in der frühen amerikanischen Geschichte nicht unwichtigen Familie entstammte, die mit John Adams und John Quincy Adams neben zahlreichen Botschaftern, Unternehmern und Autoren immerhin zwei Präsidenten hervorgebracht hat (sozusagen der Bush-Clan des 19. Jahrhunderts).
Viele von Adams Werken zeichnen sich durch eine gewisse Wissenschaftsskepsis aus, die wohl zum Großteil auf seine Wahrnehmung des – für die damalige Zeit hochtechnisierten – amerikanischen Bürgerkriegs zurückzuführen ist, in dem unter anderem Eisenbahnen, Schnellfeuerwaffen und Panzerschiffe zum Einsatz kamen, die herkömmliche militärische Taktiken wie den Frontalangriff in Überzahl obsolet machten. Und so hat man bei Adams häufig den Eindruck, dass er nicht immer trennscharf zwischen der Wissenschaft als Profession und der Nutzung wissenschaftlicher Erkenntnisse – beispielsweise in der Waffentechnik – unterscheidet. Aus einem Gefühl der Überforderung durch neue, auf ihn einstürzende Erkenntnisse, idealisiert Adams die nur wenige Generationen zurückliegende Zeit des Unabhängigkeitskriegs als ein Zeitalter fester Werte, einfacher Antworten und klarer Lebensziele* (und erinnert mich stellenweise an einen ehemaligen SB-Kollegen**).
Dass Adams das Wesen der Wissenschaft aller Kritik zum Trotz sehr wohl verstanden hat, zeigt ein Wortwechsel aus seinem 1884 erschienenen Roman „Esther”. In diesem wird die namensgebende Hauptfigur von Stephen Hazard, einem episkopalen Priester, und George Strong, einem atheistischen Paläontologen umworben, der sich hauptsächlich aufgrund ihrer wortgewandten Kritik am episkopalen Glauben in Esther verliebt***. Esther, die sich über Strongs Materialismus ärgert, vergleicht ihn in einem Streit mit dem religiösen Hazard und wirft ihm vor, an die Wissenschaft ähnlich wie an eine Religion zu glauben, worauf Strong eine treffliche Antwort findet:
“Will you answer me a question? Say yes or no!”
“That depends on the question, Mistress Esther! Old birds are not to be caught in old traps. State your question, as we say in the lecture-room.”
“Is religion true?”
“I thought so! Cousin Esther, I love you as much as I love any one in this cold world, but I can’t answer your question. I can tell you all about the mound-builders or cave-men, so far as known, but I could not tell you the difference between the bones of a saint and those of a heathen. Ask me something easier! Ask me whether science is true!”
“Is science true?”
“No!”
“Then why do you believe in it?”
“I don’t ‘believe’ in it.”
“Then why do you belong to it?”
“Because I want to help in making it truer. You are bothered, I suppose,
by the idea that you can’t possibly believe in miracles and mysteries, and therefore can’t make a good wife for Hazard. You might just as well make yourself unhappy by doubting whether you would make a good wife to me because you can’t believe the first axiom in Euclid. There is no science
which does not begin by requiring you to believe the incredible.”
Eine Antwort mit Esprit, in der sogar die eigentlich unsinnige Steigerung von „true” Sinn macht: Die Wissenschaft nicht etwa als Hüterin einer universellen und unveränderlichen Wahrheit, sondern als kontinuierliche und niemals vollständig abgeschlossene Suche nach immer neuen Wahrheiten. Wobei eben diese Skepsis der Wissenschaft gegenüber ihren eigenen Erkenntnissen ja eine der Eigenschaften ist, die Adams wiederholt kritisiert, weshalb man sich wohl fragen muss, ob denn der Autor die Worte selbst so positiv verstanden hat, wie ich sie hier auffasse.
Die liebliche Esther gibt am Ende des Romans übrigens konsequenterweise beiden Verehrern den Laufpass – Hazard wegen seiner religiösen Vorstellungen und Strong aus mangelnder Liebe zu ihm. Ob Adams dieses eher ungewöhnliche Ende wohl zu einem der ersten feministischen Schriftsteller überhaupt macht…?
A teacher affects eternity; he can never tell where his influence stops.
– Aus: “The Education of Henry Adams”
* vgl. hierzu: Jordan, Will R.: Henry Adams on Science, Technology and the American Regime, Paper presented at the Meeting of the Midwest Political Science Association, Chicago, 2006. [Link]
** Nicht etwa ein böse gemeinter Seitenhieb, sondern eine ehrliche Feststellung: Wer sich ein wenig in Henry Adams einliest (viele seiner Schriften bekommt man über das Projekt Gutenberg kostenfrei), wird vielleicht – wie ich – die eine oder andere Parallele finden.
*** Wer sich über die Wahl des Wissenschaftszweigs wundert: Paläontologen hatten im ausgehenden 20. Jahrhundert eine vielleicht noch mit den heutigen Quantenphysikern vergleichbar „hippe” Stellung – zumindest standen die Menschen damals stundenlang Schlage, um ein paar flüchtige Blicke auf ein Saurierskelett zu erhaschen…
Kommentare (16)