Seit knapp einer Woche tobt sie nun bereits – die Netzdebatte um die vermeintlich plagiierte Doktorarbeit unseres Verteidigungsministers. Passend zum heutigen Thema des Tages auf den ScienceBlogs ein kleines Zwischenfazit: Was denken Wissenschaftsblogger zum Fall?
Da das Prüfungsergebnis der Uni Bayreuth noch aussteht, die Presse sich derzeit mit Mutmaßungen überschlägt und ich zudem auf die – wie Ali im Zoon Politikon es so schön ausdrückt “politische Schadenfreude zur Linken und Abwehrreflexe zur Rechten” – nicht viel gebe, fällt es mir äußerst schwer, ein vernünftiges Fazit zur “Causa Guttenberg” zu ziehen. Wer regelmäßig hier im “Frischen Wind” mitliest, wird sicher auch verstehen, dass ich als bekennender CDUler auf der einen und überzeugter Gegner von Ghostwriting und ähnlichen Unsitten auf der anderen Seite schwer zu einem ausgewogenen Urteil kommen kann; auch wenn ich – im Gegensatz zu meinem Co-Blogger Ole nie ein großer KT-Fan gewesen bin (mir liegen eher CDUler wie Röttgen, Brinkmeier, Lammert, Haseloff, Brehmer, Gorr und Gruhl).
In solchen Fällen finde ich es immer hilfreich, nicht ausschließlich meinem eigenen Urteil zu vertrauen (für mich sieht die Sache nach der gründlichen Lektüre eines guten Dutzend Text-Gegenüberstellungen allerdings recht eindeutig aus), sondern mich mit den Analysen Dritter zu befassen, denen ich in der jeweiligen Sache mehr Kompetenz oder Neutralität zuspreche. Die beständig wachsende, deutschsprachige Wissenschafts-Blogosphäre hat mir über die Jahre einige solcher Blogger beschert, von denen sich etliche in den letzten Tagen bereits zur “Plagiats-Affäre” geäußert haben. Und wenn ich da mal in meinen Feedreader schaue, scheint über den vermeintlich kontroversen Sachverhalt große Einigkeit zu bestehen:
Ali Arbia, Politikwissenschaftler (Zoon Politikon)
Die Faktenlage scheint relativ klar. Ich stütze diese Urteil auf die Text- stellen, die ich gesehen habe. Meines Erachtens kann weder mit Fehlern oder Vergesslichkeit das Ausmass oder die Art der doppelten Textstellen plausibel erklärt werden. Ohne mich zu den politischen Konsequenzen äussern zu wollen, glaube ich sind die akademischen eindeutig.
Dr. Klaus Graf, Historiker (Archivalia)
Die relevanten Fakten liegen weitgehend auf dem Tisch […], da bedarf es keines lavierenden Abwartens. Wer immer Informationskompetenz / wissen- schaftliches Arbeiten an Hochschulen unterrichtet oder in Bibliotheken usw. vermittelt, kann nur entsetzt darüber sein, dass sich eine Bayreuther “Summa cum laude”-Dissertation als in hohem Maß unselbständiger Flickenteppich aus nicht oder nicht hinreichend gekennzeichneten Übernahmen aus anderen Arbeiten herausstellt.
Dr. Christian Jung, Historiker [& ehem. CDU-Fraktionschef in Neckargemünd] (Zeittaucher)
Wenn sich ein Studierender oder Gymnasiast in einer Haus- oder Seminarkursarbeit ähnlich verhalten würde, könnte er unter Umständen sein Studium an der jeweiligen Universität nicht fortsetzen oder sogar das Abitur nicht bestehen. Bei dem Fall geht es außerdem nicht um die Frage, ob jemand beliebt ist oder gute Arbeit leistet sowie welche politische Ausrichtung der die Textstellen aufdeckende Professor hat.
Prof. Dr. Anatol Stefanowitsch, Sprachwissenschaftler (Sprachlog)
Bei den Passagen aus Guttenbergs Dissertation, die im Internet verfügbar sind […] fehlen alle […] Kennzeichnungen. Es müssen also gleich drei Dinge schief gegangen sein: Die Fußnotenverwaltung muss versagt haben, die Anführungszeichen müssen aus versehen gelöscht oder auf mysteriöse Weise vom Drucker verschluckt worden sein (übrigens auch eine beliebte Ausrede), bzw. die Einrückung muss versehentlich aufgehoben worden sein, und es muss sich um ein Zitat gehandelt haben, das ganz ohne einleitende oder kommentierende Einbindung in den Text dastand.
Ich will gar nicht ausschließen, dass das tatsächlich ab und zu geschehen kann — ein Unglück kommt selten allein — aber dass es gleich mehrmals in einer einzigen Arbeit passiert, auch einer mit 475 Seiten, das strapaziert doch arg die Glaubwürdigkeit dessen, der das behauptet. Mir reicht im Normalfall ein solcher Absatz in einer Hausarbeit, um die Anfertigung einer neuen Arbeit zu verlangen, zwei solche Absätze, und das ganze geht an den Plagiatsausschuss.
Ole Sumfleth, Geophysik-Student [und Guttenberg-Fan] (And the water seems inviting)
[L]eider werden Kritiken an dem Minister vielfach als “Schmierenkampagnen” und “politischer Opportunismus” abgekanzelt. Doch die Plagiatsvorwürfe sind nicht von der Hand zu weisen und sie sind ernster – viel ernster – als viele (inklusive anfangs mir) wahrhaben wollen. Ein paar vergessene Fußnoten
hier und da hätte man noch mit einem leichten Schulterzucken und “Ach, was soll’s” wegstecken können. Doch was sich die letzten Tage offenbart hat, ist alles andere als trivial.
Prof. Dr. Rainer Kuhlen, Informationswissenschaftler (Netethics)
Was das Urheberrechtliche angeht, so kann kein Zweifel daran bestehen, dass in Guttenbergs Dissertation in ungewöhnlichem Umfang gegen das Urheberrecht verstoßen wurde. Dazu bedarf es keiner Prüfung durch die Universität Bayreuth. Diese muss „nur” über Umfang und die Konsequenzen des Verstoßes entscheiden. Juristisch liegt eindeutig sowohl ein Verstoß gegen die Persönlichkeitsrechte der verschiedenen Urheber (jeder Urheber hat das Recht, dass auf ihn als Urheber bei einer Verwendung seiner Arbeit referenziert wird) als auch ein Verstoß gegen die Verwertungsrechte vor.
Soweit ein recht eindeutiges Sample aus meinem persönlichen Feedreader – wer weitere Wissenschaftsblogs kennt, in denen die “Causa Guttenberg” ebenfalls debattiert wurde, möge die entsprechenden Links bitte in den Kommentaren ergänzen – interessieren würde mich ja vor allem, ob es denn auch bloggende Wissenschaftler/innen gibt, die dem Minister beispringen. Für mich ist das Urteil meiner “Blog-Kollegen” auf jeden Fall Grund genug, die Vorwürfe entsprechend ernst zu nehmen – was ich persönlich auch all den Parteifreundinnen und -freunden empfehlen würde, die in der öffentlichen Diskussion derzeit eine Tendenz zur Bagatellisierung (“In der 6. Klasse haben wir doch alle schon mal abgeschrieben.”*) erkennen lassen. Den Vorwurf mag man für berechtigt halten oder nicht – akademischen Betrug als solchen jetzt aber zu einer Art von Kavaliersdelikt erklären zu wollen, das fügt dem Wissenschaftsstandort Deutschland nur unnötigen (und schweren) Schaden zu.
* Gerade dieses Argument, dass mir in den letzten Tagen Dutzende Male in der einen oder anderen Form begegnet ist, halte ich aus verschiedenen Gründen für ganz besonders verwerflich. Wenn es die Zeit zulässt, schreibe ich diese Woche – mal ganz unabhängig von der weiteren Entwicklung in Sachen Guttenberg – dazu vielleicht noch einen kleinen Rant…
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