Heute riskiere ich mal einen Blick auf die akademische Zusammensetzung des Deutschen Bundestages – völlig jenseits der Causa Guttenberg. Wie viele Abgeordnete verfügen über einen akademischen Abschluss, wie viele haben promoviert? Stimmt es, dass Juristen und Lehrer im Parlament überrepräsentiert sind? Wie viele Naturwissenschaftler sitzen im Bundestag – und wie gut werden nicht-akademische Berufsgruppen repräsentiert?
Vor einiger Zeit habe ich für ein Seminar zur Statistik-Software NSDstat die Angaben zum akademischen Werdegang der 621 Abgeordneten des 17. Deutschen Bundestages aus dem Bundestags-Handbuch in NSDstat eingepflegt – zum einen, um endlich mal einen wirklich interessanten Beispieldatensatz zur Verfügung zu haben, zum anderen aber auch, um bei politischen Kontroversen wie der Debatte um eine bemannte Mondmission in 2009 für die gezielte Befragung von Parlamentarieren zum Beispiel über abgeordnetenwatch.de schnell und einfach diejenigen Abgeordneten “herausfiltern” zu können, die einen entsprechenden fachlichen Hintergrund haben. Da nun im Fahrwasser der Plagiats-Debatte das Interesse am wissenschaftlichen Background der Parlamentarier erwacht ist, nachfolgend ein paar kleine statistische Einblicke – und eine – hoffentlich interessante – Crowdsourcing-Idee…
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Von den derzeit 621 Mitgliedern des 17. Deutschen Bundestages verfügen 521 (83,9%) über einen akademischen Abschluss, 100 (16,1%) dagegen über eine nicht-akademische oder gar keine (immerhin 12) Ausbildung. Schlüsselt man dies nach Parteien auf, so sieht man, dass die Unterschiede vergleichsweise gering sind. Zwar hat die FDP mit 93,5% den höchsten Anteil an Akademikern, aber auch in der SPD, die mit 80,1% den geringsten Akademiker-Anteil aufweist, verfügen 117 von 146 Abgeordneten über einen Hochschulabschluss.
Fraktion | akad. Abschluss | kein akad. Abschluss | Summe |
CDU/CSU | 195 | 43 | 238 |
FDP | 87 | 6 | 93 |
SPD | 117 | 29 | 146 |
Grüne/Bündnis 90 | 59 | 9 | 68 |
Die Linke | 63 | 13 | 76 |
Summe | 521 | 100 | 621 |
Angesichts der Plagiats-Debatte interessiert vielleicht auch die Frage, wie viele Abgeordnete über einen Doktortitel verfügen. Union und FDP liegen hier mit knapp 20% Promovierten in der Fraktion vor Linken, Grünen und der SPD, wobei im Vergleich natürlich auch die sehr unterschiedlichen Fraktionsgrößen zu berücksichtigen sind. Insgesamt verfügen 119 der 621 Bundestags-Abgeordneten – und damit etwa 20% – über einen Doktortitel. Der Großteil dieser Abgeordneten hat übrigens auch tatsächlich promoviert – soweit dies aus dem Handbuch zu rekonstruieren war, verfügen lediglich 3 dieser 119 Abgeordneten “nur” über einen Dr. h.c.
Fraktion | Promotionen abs. | % der Fraktion |
CDU/CSU | 53 | 22,3% |
FDP | 20 | 21,5% |
SPD | 23 | 13,7% |
Grüne/Bündnis 90 | 9 | 13,2% |
Die Linke | 14 | 18,4% |
Summe | 119 | 19,5% |
Interessant wird es, wenn man sich einmal anschaut, in welchen Fachgebieten die meisten Abgeordneten zu Hause sind. Mit ganzen 153 Volksvertretern stellen dabei die Juristen den (parteiübergreifend) größten Block: Würden sie eine gemeinsame Fraktion bilden, wären sie die zweitstärkste Fraktion im gesamten Bundestag. Ebenfalls stark überrepräsentiert sind Wirtschaftswissenschaftler verschiedenstener Coleur (insbes. Betriebs- und Volkswirte): Mit 114 Mitgliedern stellen sie die zweitgrößte Akademiker-Fraktion, der mit einigem Abstand die Fraktionen der Lehrer und Pädagogen (60 Abgeordnete), der Sozialwissenschaftler (36 Abgeordnete) und der Politologen (34 Abgeordnete) folgen.
Fachgebiet | CDU/CSU | FDP | SPD | Grüne | Die Linke | Insgesamt |
Jura | 76 | 28 | 27 | 12 | 10 | 153 |
BWL / VWL | 48 | 23 | 21 | 10 | 12 | 114 |
Lehramt / Pädagogik | 14 | 5 | 29 | 9 | 3 | 60 |
Sozialwissenschaften | 6 | 1 | 7 | 8 | 14 | 36 |
Politologie | 10 | 5 | 12 | 4 | 3 | 34 |
Ingenieurswissenschaften | 13 | 6 | 3 | 2 | 3 | 27 |
Medizin | 6 | 5 | 3 | 1 | 2 | 17 |
Sonstige Abschlüsse | 22 | 14 | 15 | 13 | 16 | 80 |
Vergleichsweise unterbesetzt ist die naturwissenschaftliche Gruppe: acht Biologen, sieben Mathematiker, vier Physiker, zwei Chemiker sowie ein Geologe tummeln sich im Plenum – immerhin aber auch 17 Mediziner und 27 Ingenieure. Informatiker finden sich gar nur drei (ein FDPler und zwei SPDler) – möglicherweise ein Erklärungsansatz für die vielen fachlich fragwürdigen Ansätze zur Internet-Gesetzgebung, mit denen sich auch die Blogosphäre in den vergangenen Jahren ja recht intensiv befasst hat.
Unter den im Bundestag vertretenen Naturwissenschaftlern finden sich dafür etliche, die einige Jahre in der Wissenschaft gearbeitet und dabei auch publiziert haben. So bringt es beispielsweise der Biologe Jan van Aken (Linke) gleich auf zwei Publikationen bei “Nature” (beide zum Thema Biowaffen bzw. Biosicherheit). Ein Experte auf dem Gebiet der Chemie ist dagegen der frühere Bundesforschungsminister Prof. Dr. Heinz Riesenhuber (CDU), der vier Jahre lang als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Anorganische Chemie der Uni Frankfurt beschäftigt war, und während seiner Zeit dort eine Promotionsschrift über Gitterstörungen in mikrokristallinem Eisenphosphat verfasste. Zwei Beispiele, die man problemlos um Vertreter/innen aus allen Fraktionen erweitern könnte.
Aus der Datei lassen sich natürlich noch viel mehr Informationen ziehen. So stellt man bei näherer Betrachtung der 100 Abgeordneten ohne akademischen Abschluss fest, dass hier kaufmännische und landwirtschaftliche Berufsgruppen recht deutlich dominieren – dagegen findet sich unter den 621 Abgeordneten gerade einmal ein Bäcker/Konditor (Ernst Hinsken, CSU), eine Schlosserin (Eva Bulling-Schröter, Linke) und ein Krankenpfleger (Josef Winkler, Grüne). Was es eigentlich für die Repräsentativität unserer Demokratie bedeuten könnte, wenn Juristen fast 25% des Parlaments ausmachen, ungleich größere Berufsgruppen wie etwa Pflegekräfte aber so gut wie gar nicht vertreten sind, ist in meinen Augen eine spannende Frage, auf die es – glaube ich – keine wirklich einfache Antwort gibt.
Daher die Frage in die Runde: Was interessiert euch? Wolltet ihr schon immer mal wissen, welche Berufsgruppen sich so in der FDP-Fraktion finden? Oder auf welche Fraktionen sich die vier Physiker verteilen? Welche Partei die meisten Landwirte ins Parlament entsandt hat – und ob es im Bundestag auch Architekten, Bauarbeiter oder Versicherungsvertreter gibt? Vielleicht interessiert euch auch, in welchen wissenschaftlichen Disziplinen es die meisten promovierten Bundestagsabgeordneten gibt und welche ausgefallenen Fachgebiete sich unter den “sonstigen Abschlüssen” finden? Oder vielleicht interessiert euch ja, welche Fraktion den höchsten – oder niedrigsten – Anteil an Juristen hat?
Da ich hier unmöglich alle denkbaren Fragestellungen und möglichen Kreuztabellen in einem Blogpost unterbringen kann, versuche ich mal etwas Ungewöhnliches: Fragen-Crowdsourcing. Wer eine interessante Frage hat, die ich auf der Basis der mir vorliegenden Daten (Name, Fraktion, Studienabschluss, Berufsabschluss, Promotion) beantworten kann, wird hiermit aufgefordert sie zu stellen – kurze Fragen beantworte ich in den Kommentaren, längere gerne auch mit Grafiken und Tabellen in Updates unterhalb des Blogposts. Wer selbst mit den Daten experimentieren möchte, erhält von mir auch gerne das NSDstat-File oder den SPSS-Export zur Eigenbearbeitung – interessante Ergebnisse können dann natürlich sehr gerne ebenfalls in den Kommentaren gepostet werden…
In diesem Sinne: Wer findet die interessanteste Frage oder den spannendsten Vergleich?
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