Nein, Atheismus ist eigentlich nicht mein Thema. Und diese Woche habe ich eigentlich auch keine Zeit zum Bloggen. Aber die Frage zum religiösen Bekenntnis bzw. zur Weltanschauung im Fragebogen zum Zensus 2011 kam mir dann doch so seltsam vor, dass ich sie wenigstens als kurze Notiz verbloggen wollte…
Seit ich mich für meine Diplomarbeit recht intensiv mit dem Thema Fragebogengestaltung befassen musste durfte, interessieren mich Beispiele für gute und schlechte Befragungen, insbesondere wenn sie sich auch als Schauobjekte für Vorlesungen eignen. Von daher habe ich natürlich interessiert den Fragebogen für die anlaufende Volkszählung überflogen, da Fragebögen der Statistischen Ämter in Fragegestaltung und -formulierung in aller Regel exemplarisch sind. Und nun seht euch mal ganz unvoreingenommen diese Frage an, die denjenigen Probanden gestellt wird, die in der vorangegangenen Frage (7) angegeben haben, keiner Religionsgemeinschaft anzugehören:
Was fällt auf? Also mir fiel zunächst einmal auf, dass im Fragetext zwar von Religionen, Glaubensrichtungen “oder” Weltanschauungen die Rede ist, in den Antwortmöglichkeiten aber nur Religionen bzw. Glaubensrichtungen sowie eine Other- und eine Non-Option enthalten sind, d.h. keine nicht-religiöse Weltanschauung vertreten zu sein scheint. Dies könnte vielleicht mit der unklaren Definition des Begriffs zusammenhängen, andererseits hätte eine Aufnahme von Weltanschauungen ja auch dazu geführt, dass die Exklusivität der Antwortoptionen entfällt – so kann man ja beispielsweise gleichzeitig Jude und konservativ sein (wenn man den Konservatismus hierfür einmal als Weltanschauung betrachtet). Hier stellt sich meines Erachtens daher schon mal die Frage, inwiefern die Weltanschauung als Untersuchungsobjekt überhaupt in den Fragekontext gehört.
Viel spannender finde ich in diesem Zusammenhang die Frage, was eigentlich Atheisten ankreuzen sollen (die ja in der Mehrzahl bei dieser Frage landen dürften, so sie denn nicht (noch) in einer Glaubensgemeinschaft eingeschrieben sind). In den Debatten zum Thema Atheismus auf den ScienceBlogs berufen atheistische Diskutanten sich ja häufig auf den Humanismus sowie den kritischen Rationalismus, die meines Erachtens nach durchaus als Weltanschauungen zu betrachten sind. Wer sich keiner Religion zugehörig fühlt, sich dafür aber als Humanist betrachtet, müsste demnach ja eigentlich die Other-Option wählen.
Nun werden solche Fragebögen ja von Vollprofis gemacht, trotzdem scheint mir diese Frage hier irgendwie unscharf zu sein. Wie kann ich in der Auswertung diejenigen Probanden, die “keine Religion, Glaubensrichtung oder Weltanschauung” angekreuzt haben, weil sie damit ihre Nicht-Religiösität zum Ausdruck bringen wollten, sauber von denjenigen Probanden unterscheiden, die sich für die Other-Option entschieden haben, weil sie zwar auf der einen Seite nicht religiös, auf der anderen Seite aber auch nicht weltanschauungsfrei sind? Und gibt es überhaupt Menschen ohne jede “Religion, Glaubensrichtung oder Weltanschauung”?
Oder anders gefragt: Wenn ihr eine Million ausgefüllter Fragebögen aus einer gesichert repräsentativen Stichprobe hättet und auf dieser Basis eine Aussage zu der Frage treffen müsstet, wie viele Atheisten es eigentlich in Deutschland gibt (und das wäre ja im Kontext des Zensus eine durchaus interessante Frage) – wärt ihr dazu auch in der Lage? Ich vermute: Nein, da sich die Gruppe der Atheisten auf die Sonstiges- und Non-Option verteilen dürfte, in der Sonstiges-Gruppe aber auch etliche Nicht-Atheisten unterkommen. Dazu kommt noch, dass es auch in den eingetragenen Religionsgemeinschaften nicht-glaubenden Mitglieder geben dürfte, denen aber die achte Frage aufgrund der Filterführung nicht gesellt wird…
Hält jemand dagegen und meint, dass sich die Frage doch beantworten ließe? Und falls ja, wie würdet ihr die Auswertung gestalten? Und an die mitlesenden Atheisten: Wie würdet ihr die Frage überhaupt beantworten: Sonstiges- oder Non-Option?
Vielleicht als Addendum: Zumindest drücken die Statistischen Ämter mit der Fragestellung klar aus, dass es sich beim Atheismus ihrer Ansicht nach um keine Weltanschauung handelt – ansonsten wäre die Non-Option ja vollkommen sinnbefreit, da man sich nicht gleichzeitig keiner Religion und keiner Weltanschauung zuordnen könnte. Auch so eine Erkenntnis, von der ich mir nicht sicher bin, ob ihr jeder zustimmen würde…
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