In wenigen Jahren – am 01. August 2014 – wird sich zum hundertsten Mal ein Ereignis jähren, das die Geschichte des 20. Jahrhunderts entscheidend geformt hat – der Beginn des Ersten Weltkriegs. Anlässlich dessen arbeitet die EU-Kulturdatenbank Europeana an einer Erfassung zeitgeschichtlicher Dokumente – an der sich jeder Interessent beteiligen kann.
Im Gegensatz zum Zweiten Weltkrieg spielt der Erste Weltkrieg gegenwärtig ja weder in den schulischen Lehrplänen noch in den Medien eine große Rolle, obgleich die Ur-Katastrophe des 20. Jahrhunderts nicht nur dem darauffolgenden Weltkrieg sondern auch der Blockbildung, dem Kalten Krieg und dem Aufstieg der USA zur global agierenden Supermacht den Weg geebnet hat – und damit bis heute nachwirkt*. Grund genug, um anlässlich des immer näher rückenden Jahrhundertjahrestages verstärkt an die Bedeutung des ersten Weltkonfliktes zu erinnern – und vielleicht mal in der eigenen Familien- oder Regionalgeschichte zu stöbern.
“Ich hatte oft das Gefühl, dass sich Deutschland von diesem Krieg, von dieser unklaren als schäbig empfundenen Niederlage niemals erholt hat. Ich hatte das Gefühl, hier ist ein krankes Volk, und dieses kranke Volk findet nun einen Wunderarzt, einen Mann der sagt: ‘Ich mache aus euch ein Volk, das wieder Erfolg hat. Ihr werdet euch wieder sehen lassen können!'”
– Die Deutschland-Korrespondentin Stéphane Roussel, die 1933 für die fanzzösische Zeitung Le Matin von der Machtübernahme der NSDAP berichtete (hier zitiert nach: Knopp, Gültner, Hartl & Sporn: Die Machtergreifung, Bertelsmann-Verlag, 2009)
Aus diesem Grund arbeitet derzeit etwa der Museumsverband des Landes Sachsen-Anhalt gemeinsam mit dem Projekt museum-digital an einer digitalen Erfassung aller Exponate aus den Museen unseres Bundeslandes, die einen Bezug zum Ersten Weltkrieg aufweisen – und durchsucht man die Digitalisate-Datenbank des Projekts nach entsprechenden Objekten findet man mittlerweile schon einiges, wie etwa dieses Maxim-Maschinengewehr, dieses Kriegsgefangenengeld oder auch diese etwas gruselige Postkarte mit einem Kleinkind in Uniform, die 1915 als Geburtstagsgruß an eine Hallenser Familie versandt wurde.
Ein weiteres Projekt, an dem man sich auch als Laie beteiligen kann, wurde vor einigen Wochen von der europäischen Kulturdatenbank Europeana ins Leben gerufen, deren Aufgabe die digitale Erfassung und Bewahrung des europäischen Kulturerbes ist. Dort versucht man zu ermitteln, wie viele zeitgeschichtliche Dokumente 100 Jahre nach Kriegsbeginn noch in den europäischen Privathaushalten zu finden sind. Hierfür wurde eigens eine mehrsprachige Online-Plattform eingerichtet, auf der man Dokumente und Objektfotos mit Bezug zum Ersten Weltkrieg digital erfassen und mit Geotags versehen kann. Von Interesse sind dabei etwa Feldbriefe oder -postkarten, Zeitungsausschnitte, Zeichungen, Kriegstagebücher oder Fotografien. Wer also noch alte Dokumentenmappen oder Fotoalben daheim hat oder weiß, dass bei den Eltern oder Großeltern noch etwas liegt, ist dazu aufgefordert, interessante Stücke zu digitalisieren und einzusenden. Etliche wertvolle Zeitdokumente konnten auf diesem Weg bereits zutage gefördert werden – so etwa diese Entlausungsbescheinigung, dieses fotografische Tagebuch einer Pioniereinheit oder auch dieser Selektionsanhänger für verwundete Soldaten, der darüber entschied, ob man jemand weiterbehandelte oder aufgab.
Auch ich habe vor einigen Wochen damit begonnen, den Nachlass meines Urgroßvaters Walther und seiner beiden Brüder Carl und Friedrich zu durchforsten, die alle drei im Ersten Weltkrieg gedient haben – Walther und Carl in der Infanterie, Friedrich bei den Husaren. Am ergiebigsten haben sich dabei drei Tagebücher von Friedrich Reinboth erwiesen, der 1911 den Hessen-Homburg-Husaren (2. Kurhessisches Nummer 14) in Kassel beitrat und 1914 kurz vor seiner Entlassung aufgrund des Kriegsbeginns dauerhaft zwangsverpflichtet wurde. Er starb 1918 – bereits nach Eintritt des Separatfriedens von Bresk-Litowsk an der Ostfront – im russischen Bürgerkrieg in der Ukraine – die drei Tagebücher, welche die Jahre 1914 bis 1917 abdecken, überstanden jedoch den Ersten sowie den Zweiten Weltkrieg und geben ein detailliertes Bild vom Leben (und Sterben) innerhalb der Kavallerieeinheit.
Ich bin daher gerade dabei, die Bücher Schritt für Schritt für die Europeana zu digitalisieren und in Maschinenschrift zu übertragen – eine Tätigkeit, die mir nicht immer besonders leicht fällt, etwa wenn die regelrechte “Vorfreude” auf den bevorstehenden Krieg (von Historikern auch als “Augusterlebnis” bezeichnet) allzudeutlich wird (wie etwa am 29. Juli 1914: “Die Begeisterung für den bevorstehenden Krieg steigert sich.”). Noch schwerer zu ertragen sind die bisweilen in einem fast schon geschäftsmäßig anmutenden Ton vermerkten Verbrechen der Einheit an der französischen Zivilbevölkerung (etwa am 8. August 1914: “Erschiessen des Bürgermeisters durch Gefr. Becker 4/H.14.” oder am 5. Oktober 1914: “Haben aus Unvorsichtigkeit eines Artillerieserganten ein französisches Mädchen erschossen”).
Auch wenn es mir schwerfällt, solche Texte zu lesen, ist es doch umso wichtiger, dass man sich angesichts des näherrückenden hundertjährigen Jahrestages wieder stärker mit den Ursachen und Konsequenzen dieses ersten “großen Krieges” befasst, weshalb ich das oben erwähnte Projekt der Europeana gern durch die vollständige Digitalisierung aller erhalten gebliebenen Aufzeichnungen sowie diverser anderer Dokumente und Fotos unterstützen möchte – die ich parallel dazu übrigens auch in einem eigens dafür eingerichteten Flickr-Account sammele. Ich würde mich sehr freuen, wenn sich der eine oder andere Leser dem anschließen würde – eventuell könne man sich ja zusätzlich sogar bei Flickr vernetzen und ein gemeinsames Album mit Europeana-Einsendungen aufbauen – ich bin jedenfalls für alle Vorschläge offen und freue mich über jeden, der mit dabei ist…
* Kleine Anekdote am Rande: Letzte Woche war ich in einer großen Buchhandlung in Magdeburg, in der es – keine Übertreibung – eine ganze Bücherwand ausschließlich mit Werken zum Zweiten Weltkrieg und insgesamt 14 (eigene Zählung) Hitler-Biographien gab. Das einzige(!) Buch, welches explizit dem Ersten Weltkrieg gewidmet war, war dagegen ausgerechnet eines, das wiederum Hitlers Kriegserfahrungen zum Thema hatte…
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