Eigentlich wollte ich mich zu den ganzen Plagiats-Affären erst mal nicht mehr äußern, da eigentlich schon alles geschrieben wurde und es mit DE PLAGIO inzwischen ja sogar ein Scilogs-ScienceBlogs-Blogprojekt zur Thematik gibt. Beim gestern entschiedenen Fall von Jorgo Chatzimarkakis geht mir allerdings eine Frage nicht mehr aus dem Kopf…
Wie Chatzimarkakis selbst eingeräumt hat, bestand sein “Versäumnis” nicht darin, die Quellen gar nicht zu nennen, sondern vielmehr darin, dass in sehr vielen Fällen nicht kenntlich gemacht wurde, dass es sich um ein Zitat handelt, so dass der Leser davon ausgehen musste, dass hier zumindest eine sprachliche Eigenleistung des Autors vorliegt, die sich wiederum inhaltlich auf andere Quellen stützt. Ein solches Vorgehen ist eine klare wissenschaftliche Fehlleistung, die man auch mit dem Verweis auf Oxford- oder andere Zitiertechniken, die einen so leichtfüßigen Umgang mit Quellen vermeintlich gestatten (in Wirklichkeit ist dies natürlich keineswegs der Fall) nicht wieder ausbügeln kann.
Dazu vielleicht mal ein Beispiel – dann wird vermutlich auch die Frage deutlich, die mir eigentlich durch den Kopf geht. Nehmen einfach mal an, ich wollte an einem Paper über Grammatik arbeiten (unwahrscheinlich) und würde unter anderem Scilogger Anatol Stefanowitsch und seine Mit-Autorin Kerstin Fischer als Quelle nutzen wollen:
Kerstin Fischer und Anatol Stefanowitsch: Konstruktionsgrammatik: Ein Überblick; in: Kerstin Fischer und Anatol Stefanowitsch (Hrsg.): Konstruktionsgrammatik: Von der Anwendung zur Theorie, Stauffenburg, Tübingen, 2006.
In dieser Veröffentlichung findet sich unter anderem folgender Passus:
Der Begriff der Konstruktion schließt also alle konventionalisierten linguistischen Ausdrücke ein, die die folgenden Bedingungen erfüllen: (i) ihre Form ist direkt mit einer bestimmten Bedeutung oder Funktion gepaart, (ii) ihre Form lässt sich nicht (bzw. nicht völlig) aus anderen Formen der Sprache ableiten, und (iii) ihre Semantik ist nicht (bzw. nicht völlig) kompositionell. Dieser Konstruktionsbegriff ist nicht auf die Grammatik im engeren Sinne beschränkt sondern bezieht sich auf alle linguistischen Beschreibungsebenen.
Wenn die Definition des Konstruktionsbegriffs nun für meinen eigenen Text von Bedeutung wäre und ich mich auf die Quelle Fischer & Stefanowitsch berufen wollte, könnte ich das zum Beispiel wie folgt in Form eines einfachen Zitats tun:
Eine Definition des Begriffs der Konstruktion findet sich bei [Fischer & Stefanowitsch 2008, Seite 6]. Danach schließt der Begriff “alle konventionalisierten linguistischen Ausdrücke ein, die die folgenden Bedingungen erfüllen: (i) ihre Form ist direkt mit einer bestimmten Bedeutung oder Funktion gepaart, (ii) ihre Form lässt sich nicht (bzw. nicht völlig) aus anderen Formen der Sprache ableiten, und (iii) ihre Semantik ist nicht (bzw. nicht völlig) kompositionell.“
Oder aber umformuliert und ohne Anführungszeichen:
Die drei für den Konstruktionsbegriff wesentlichen Bedingungen – die direkte Paarung der Form mit einer Bedeutung oder Funktion, ihre Nichtableitbarkeit aus anderen Formen der Sprache sowie die nichtkompositionelle Semantik – finden sich bei [Fischer & Stefanowitsch 2008, Seite 6]. Die Autoren geben zu bedenken, dass der Konstruktionsbegriff in dieser Form auch auf linguistische Ebenen außerhalb der Grammatik übertragen werden kann.
Oder, oder, oder…. Was ich dagegen nicht machen kann, ist folgendes:
Der Begriff der Konstruktion schließt also alle konventionalisierten linguistischen Ausdrücke ein, die die folgenden Bedingungen erfüllen: (i) ihre Form ist direkt mit einer bestimmten Bedeutung oder Funktion gepaart, (ii) ihre Form lässt sich nicht (bzw. nicht völlig) aus anderen Formen der Sprache ableiten, und (iii) ihre Semantik ist nicht (bzw. nicht völlig) kompositionell. Dieser Konstruktionsbegriff ist nicht auf die Grammatik im engeren Sinne beschränkt sondern bezieht sich auf alle linguistischen Beschreibungsebenen (vgl. auch Fischer & Stefanowitsch 2008).
Das “vergleiche auch” und die fehlenden Anführungszeichen implizieren an dieser Stelle nichts anderes, als dass man zwar die Definition des Konstruktionsbegriffs in ähnlicher Form bei Fischer & Stefanowitsch finden kann, dass es sich bei dem Text aber um meine eigene Leistung handelt. Und genau das ist eines der Hauptprobleme bei der Dissertation von Herrn Chatzimarkakis, wie man den diversen Fundstellen im VroniPlug entnehmen kann.
Was mich an der Geschichte nun wundert, ist Folgendes: Laut VroniPlug finden sich auf 71% der 190 inhaltlich relevanten Seiten (d.h. abzüglich Inhaltsverzeichnis, Tabellenverzeichnis und ähnlichem) der Chatzimarkakis-Dissertation derartige Plagiate – das wären 134 Seiten. Nehmen wir der Einfachheit halber mal an, dass eine Seite im Schnitt 20 Sätze enthält und von diesen 20 im Schnitt 15 Sätze plagiiert sind, dann reden wir im Endeffekt von etwa 2010 Sätzen. Chatzimarkakis hat – zumindest laut seiner Wikipedia-Biographie – von 1997 bis 2000 promoviert – also vier Jahre lang. Macht 1.460 Tage. Seht ihr, worauf ich hinaus will? Wie viel Arbeit macht es denn bitte, Inhalte aus einer fremden Arbeit mit eigenen Worten vernünftig zusammenzufassen und die Quelle wissenschaftlich korrekt auszuweisen?
Und warum um alles in der Welt macht man sich diese Arbeit nicht, wenn man dafür mehrere Jahre Zeit hat? Aus reiner Bequemlichkeit? Obwohl mit dem Zusammentragen aller benötigten Quellen schon so viel “echte” Arbeit erbracht wurde? Um zu simulieren, dass in der Arbeit mehr Eigenleistung steckt, als tatsächlich geleistet wurde? Weil man es wirklich nicht besser weiß (wobei man den Punkt ja vermutlich ausschließen kann)? Wieso bloß übernimmt man einfach Seite für Seite und denkt, dass das so schon in Ordnung geht?
Ich begreife es jedenfalls immer noch nicht so richtig…
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