Die Bestrebungen von Teilen der deutschen Burschenschaftszene, “dem Volk” ein “wissenschaftliches Menschenbild” vermitteln zu wollen, unterstreichen auf eindruckvolle Art und Weise, dass längst nicht alles “Wissenschaft” ist, dem dieses Label zugewiesen wird…
Vor einigen Wochen ging ja der in den Reihen der Deutschen Burschenschaft ausgemachte “Rechtsruck” durch die Presse – eine Diskussion, die dadurch losgetreten wurde, dass die Alte Breslauer Burschenschaft der Raczeks zu Bonn (in deren Reihen es augenscheinlich noch keinen Webdesigner verschlagen hat) eine andere Burschenschaft (die Hansea Mannheim) aus der zentralen Vereinigung der Deutschen Burschenschaften ausschließen lassen wollte, da diese einen Studenten aufgenommen hatten, der zwar die deutsche Staatsbürgerschaft besaß, dessen Eltern jedoch aus China eingewandert waren. So weit, so widerlich.
Wie Phillipp Bayer in den Scilogs schon erläutert hatte, schreckte die Burschenschaft in ihrem Antrag nicht davor zurück, sich auf wissenschaftlich klingende, in Wahrheit aber frei erfundene Begriffe wie den der “außereuropäischen populationsgenetischen Gruppierung” zu berufen – ein Begriff, der sich in keinem einzigen deutschsprachigen Genetik-Paper finden lässt, und der exklusiv nur in Burschenschafts-Texten auftaucht. Die besagte Buschenschaft leistete sich laut SPIEGEL nun einen weiteren Klopper, indem sie mit diesem Text erneut die Verankerung von “biologistischen” Kriterien in den Aufnahmekritierien fordert – und sich dabei ausgerechnet auf Thilo Sarrazin als den Kronzeugen für ein “wissenschaftliches Menschenbild” beruft, das auch von “gebildeten Kreisen” vertreten werden könne:
“Es ist aber völlig unverständlich, dass gerade in einer historischen Phase, in der die 68er den Zenith ihres Einflusses bereits überschritten haben und die gebildeten Schichten, angeregt durch die von Thilo Sarrazzin öffentlich vertretenen Ansichten, beginnen, sich mit den Grundlagen eines biologischen und damit wissenschaftlichen Menschenbildes vertraut zu machen, nun mit 40 Jahren Zeitverzögerung die Deutsche Burschenschaft sich plötzlich jene widerlegten Thesen zueigen macht, von dem der Rest des Deutschen Volkes sich gerade mühsam freizukämpfen beginn. Indem sie eine eindeutige Haltung in der Frage des Volkstumsbegriffs einnimmt, hat sie sich vielmehr an die Spitze dieses radikalen Umschlagens des öffentlichen Dis- kurses zu stellen, dessen Tragweite heute noch gar nicht abzusehen ist.”
– Nachrichtenblatt 312 vom 23. April 2011
Ja genau – Thilo “Wenn keine Zahl da ist, schöpfe ich eine, die in die richtige Richtung weist” Sarrazin als volksnaher Vermittler “wissenschaftlicher” Weltbilder. Man sollte ja eigentlich meinen, dass Menschen, denen man die notwendige Intelligenz für ein universitäres Studium nachsagt, den Unterschied zwischen Wissenschaft und pseudowissenschaftlichem Unfug zumindest grob erkennen können müssten.
Deutschland im Jahr 2011. Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.
Vielleicht haben ja die Experten der Fachgruppe Biologie der Uni Bonn bei Gelegenheit mal ein Einsehen und erklären den an der Uni vertretenen Burschenschaftlern den Unterschied zwischen einem echten wissenschaftlichen und/oder biologischen Menschenbild und an den Haaren herbeigezogenen pseudowissenschaftlich klingenden Kriterien, mit denen man die eigenen Vorurteile nachträglich legitimieren will. Mal ganz davon abgesehen, dass der Verfasser des Antrags zur Strafe eine Somuncu-Lesung zu den pseudowissenschaftlich-biologistischen Thesen eines deutschen Bestsellers aufgedrückt bekommen sollte…
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