Da ich letzte Woche aufgrund der 13. NWK sowie mehrerer anderer Termine ständig unterwegs war, konnte ich diesen skandalösen Vorgang aus meinem Wahl-Bundesland Sachsen-Anhalt leider nicht zeitnah verbloggen: Die Stadtverwaltung von Köthen lässt potentielle Nisthöhlen in Bäumen mit Bauschaum ausfüllen, um Vögel fernzuhalten.
Aber immer der Reihe nach: In Köthen – Hauptstadt der Homöopathie, offenbar aber nicht des Artenschutzes – steht derzeit die Umgestaltung des Neustädter Platzes an, der auch einige Bäume weichen sollen. Das Mandat für die Baumfällung hat der Köthener Stadtrat zwar bereits im vergangenen Jahr erteilt, die Stadtverwaltung hat allerdings die gesetzliche Frist für den beim Kreisumweltamt einzureichenden Fällantrag verpasst. Um höhlenbrütende Vögel wie etwa Kohlmeisen und Kleiber zu schützen, sieht nämlich das Gesetz vor, dass Fällungen bis spätestens zum 28. Februar eines Jahres durchgeführt werden müssen – alle Bäume, die bis zu diesem Stichtag noch stehen, müssen danach so lange stehengelassen werden, bis der Nachwuchs flügge geworden ist und das Nest verlassen kann.
Eben diesen Fällantrag aber stellte die Köthener Stadtverwaltung verspätet, weshalb die Untere Naturschutzbehörde des Landkreises Anhalt-Bitterfeld konsequenterweise keine andere Option als die Ablehnung hatte – so weit so gut. Offenbar wollte man sich mit der Artenschutz-Begründung in Köthen jedoch nicht abfinden und griff daher zu rabiaten Maßnahmen. In geradezu eulenspiegelhafter Logik schloss man, dass, wenn nur sicher ausgeschlossen werden kann, dass die Bäume als Nistplätze genutzt werden, eine Fällung auch nach dem gesetzlichen Stichtag noch möglich sein müsste. Um dies zu gewährleisten ordnete die Stadtverwaltung das eigene Bauamt an, sämtliche als Nisthöhlen geeigneten Aushöhlungen in allen zur Fällung vorgesehenen Bäumen mit Bauschaum zu versiegeln.
Um sich nicht vorwerfen lassen zu müssen, bereits nistende Vögel aus ihren Bruthöhlen zu vertreiben, beorderte man zuvor einen Forstwirt zum Nachsehen auf die Bäume – eine, wie sogar das Kreisumweltamt feststellen musste, ziemliche Lachnummer, schließlich flüchten die meisten Höhlenbrüter, sobald sich jemand an ihrem Baum zu schaffen macht. Dass sich in einer Höhlung zu dem Zeitpunkt des Nachschauens also gerade kein Vogel befindet, bedeutet daher noch lange nicht, dass die Höhle auch nicht als Bruthöhle genutzt wird.
So einfach kann man es sich mit dem Naturschutz machen – wäre da nicht noch §39 des Bundesnaturschutzgesetzes, der es explizit verbietet, „Lebensstätten wild lebender Tiere und Pflanzen ohne vernünftigen Grund zu beeinträchtigen oder zu zerstören.” Bereits ein einziger Tag der Beobachtung wildlebender Vögel verrät mir ja aber, dass die Abwesenheit eines Vogels zu einem ganz bestimmten Kontrollzeitpunkt keinesfalls bedeutet, dass eine Nisthöhle nicht von Vögeln angeflogen oder genutzt wird – insofern dürfte der „Kontrolle” zum Trotz hier ganz klar ein schützenswerter Lebensraum beeinträchtigt worden sein – und das ohne wirklich vernünftigen Grund, da der Fällantrag zum Zeitpunkt dieser Aktion ja bereits endgültig durch den Landkreis abgelehnt worden war.
Aber ach – das Leben ist ungerecht. Zwar verdonnerte die Untere Naturschutzbehörde die Stadtverwaltung, den Bauschaum aus etlichen Bäumen wieder per Hand herauskratzen zu müssen, gleichzeitig gestattete man aber unverständlicherweise die Fällung einiger der verunstalteten Bäume, so dass die Frechheit am Ende zumindest teilweise obsiegt. Und dass die zuständige Baudezernentin der Stadt – Ina Rauer – sich je persönlich für ihre Anweisung vor Gericht wird verantworten müssen, glaubt vermutlich nicht einmal der optimistischste Vogelschützer. Einer Privatperson, die sich auf so dreiste Art und Weise der eindeutigen Anweisung einer Umweltschutzbehörde widersetzt, wäre es da sicher anders ergangen…
Und nur so ganz nebenbei: Erst befüllen Mitarbeiter der Stadt Köthen potentielle Nisthöhlen mit Bauschaum, dann muss die Naturschutzbehörde diese Aktion prüfen, dann muss der Schaum ebenfalls durch Mitarbeiter der Stadt wieder aus den Höhlen herausgekratzt werden – und schlussendlich dürfte die Geschichte auch noch ein gerichtliches Nachspiel für die Stadt haben. Möchte mal jemand einen Tipp darüber abgeben, wie viele Steuermittel mit dieser idiotischen Aktion sinnlos verbrannt worden sind?
Besonders traurig: Köthen ist der Heimatort von Johann Friedrich Naumann, dem Begründer der Vogelkunde in Mitteleuropa, dessen Arbeit das Naumann-Museum bis heute bewahrt. Auf das frühere Wirken von Homöopathie-Begründer Hahnemann in Köthen bildet man sich ja bekanntlich seitens der Stadtverwaltung genug ein, um die Homöopathie nicht nur zum zentralen Element der IBA-Teilnahme auszurufen, sondern auch noch öffentliche Mittel sowohl für einen Master-Studiengang in Homöopathie (zusammen mit der Uni Magdeburg) sowie eine Homöopathie-Bibliothek zu verausgaben. Das Erbe Naumanns dagegen scheint bei den gleichen Stellen weitestgehend vergessen worden zu sein…
Pressequellen für diesen Blogpost (mit Fotos der malträtierten Bäume):
- Mitteldeutsche Zeitung vom 04.04.2012: Bauschaum im Baumstamm
- Mitteldeutsche Zeitung vom 18.04.2012: Bau(m)schaum-Attacke als Provinzposse
- Mitteldeutscher Rundfunk vom 19.04.2012: Köthen vertreibt Singvögel
- Mitteldeutscher Rundfunk vom 20.04.2012: Bauschaum-Posse in Köthen
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