Anfang des Jahres hatte ich ja schon mal von den Plänen berichtet, am Wurmberg im nahegelegenen Braunlage (Niedersachsen) künstlich beschneite und beleuchtete Skipisten anzulegen, was mich – vor allem der Beleuchtung wegen – als Amateurastronom natürlich aktiviert hat. Inzwischen gibt es auch hier in Wernigerode bzw. Schierke (Sachsen-Anhalt) konkrete Planungen, den Winterberg an der Ostseite des Wurmbergs skitouristisch zu erschließen. Aber eignet sich der Harz überhaupt für den Einsatz von Kunstschnee?
Auf den von mir im Namen der Sternwarte Sankt Andreasberg verfassten Einspruch zu den Braunlager Beleuchtungsplänen wurde ich in den vergangenen Monaten mehr als einmal mit der Frage angesprochen, warum ich und andere Kritiker beider Projekte (wie etwa die Umweltschützer von BUND und NABU) uns eigentlich an Planungsaspekten wie etwa der Flutlichtbeleuchtung oder den geplanten Rodungen abarbeiten würden, anstatt uns mit dem auf beiden Seiten des Wurmbergs vorgesehenen Einsatz von Kunstschnee-Anlagen und deren Umweltauswirkungen zu befassen. Meine Antwort auf diese Frage war stets die gleiche: Weil ich von Kunstschnee und den damit verbundenen Umweltproblemen leider zu wenig verstehe.
Erfreulicherweise kam dann über den Journalisten Kai Rüsberg vom e:motion-Magazin (Themen: Elektromobilität und erneuerbare Energien) ein spannender Kontakt zum Gebirgszentrum der Universität in Savoyen zustande. Hier forscht die deutschsprachige (Promotion an der FU Berlin, Habilitation an der Uni Bonn) Wissenschaftlerin Prof. Dr. Carmen de Jong (man beachte die lange Liste an Veröffentlichungen zum Thema) seit 2006 zu den Auswirkungen künstlicher Beschneiung insbesondere auf den Wasserhaushalt sowie die Biodiversität in Skiregionen. Nachdem einige Gutachten und Planungsunterlagen ihr Interesse geweckt hatten, besuchte die Professorin auf Einladung von Dr. Friedhart Knolle (vom BUND Goslar) und mir vergangenen Monat den Harz und führte hier eine dreitägige Geländebegehung in beiden Ski-Planungsgebieten durch. Letzten Freitag präsentierte sie dann im vollbesetzten (das Thema interessiert deutlich mehr Leute, als ich zunächst vermutet hatte) Kurhaus von Sankt Andreasberg die ersten Ergebnisse dieser Begehung sowie der Analyse der bislang öffentlich zugänglich gemachten Planungsunterlagen.
Eine Zusammenfassung dieser Ergebnisse, die Prof. de Jong, Dr. Knolle und ich diese Woche gemeinsam für interessierte Wernigeröder Stadträte und Mitglieder des Kreistags Goslar verfasst haben, stelle ich heute – in leicht abgewandelter Form – auch hier im “Frischen Wind” ein. Es handelt sich dabei nicht – dies sei für alle mitlesenden Befürworter beider Projekte ganz ausdrücklich hervorgehoben – um den abschließenden Erkenntnisstand, vielmehr sind in den kommenden Monaten weitere Untersuchungen geplant, so etwa eine genaue Analyse der Pegelstände der Warmen und Kalten Bode aus den letzten 15 Jahren sowie der Schneehöhen auf dem Brocken seit 1990. Den einen oder anderen Aspekt dieser Untersuchungen werde ich – nachdem mich das ökologisch äußerst vielschichtige Thema Kunstschnee inzwischen schon sehr viel mehr interessiert als noch vor einigen Monaten – sicherlich auch noch hier im Blog beleuchten. Heute soll es aber erst mal um wesentliche offene Fragen zur Beschneiung sowie zu Auswirkungen auf den Wasserhaushalt im Harz gehen, die sich im Rahmen des Besuchs von Frau de Jong hier vor Ort ergeben haben…
Eignet sich der Harz klimatisch für die Produktion von Kunstschnee?
Bei der Produktion von Kunstschnee wird (meist zuvor gekühltes) Wasser durch Düsen in feinste Tröpfchen in die Luft gesprüht. Bei diesem Vorgang verdunstet ein Teil des Wassers, wodurch der Umgebungsluft die Wärme entzogen wird. Der Wärmeverlust führt wiederum dazu, dass die verbliebenen Wassertröpfchen gefrieren und in Form von „Eiskügelchen” als Kunstschnee zu Boden fallen. Dieser Kunstschnee ist mit natürlichem, kristallinen Schnee nur sehr bedingt zu vergleichen – er ist bis zu 4 x dichter und bis zu 50 x härter als natürlicher Schnee und enthält zudem deutlich mehr Wasser (vgl. de Jong 2011).
Ob die Herstellung von Kunstschnee gelingt, ist dabei insbesondere von den drei Faktoren Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Wind abhängig. In den Alpen gelten dabei Temperaturen ab -3 °C bei gleichzeitig niedriger Luftfeuchtigkeit als günstig, ideal sind natürlich generell möglichst niedrige Temperaturen. Für den Harz ist zu beachten, dass die Luftfeuchtigkeit hier höher als in den Alpen liegt (bei 50 % – 60 %), wodurch sich die für die künstliche Beschneiung geeigneten Temperaturfenster verkleinern. In den Alpen dagegen sinkt die Luftfeuchte gelegentlich auch unter 30 %, wodurch eine künstliche Beschneiung sogar noch bei positiven Temperaturen möglich ist. Auf der Basis der momentan vorliegenden Daten wird geschätzt, dass für die Herstellung von qualitativ hochwertigem Kunstschnee (kein Schneematsch) im Harz mindestens -5 °C vorherrschen sollten, womit die Temperatur mindestens um 2 °C geringer als an vergleichbaren Alpenstandorten sein müsste. In den bisher veröffentlichten Unterlagen zu beiden Skiprojekten findet dieser Harz-spezifische Umstand bemerkenswerterweise keine Beachtung.
Wie die Entwicklung der Temperaturen in Braunlage sowie am Brocken seit 1950 zeigt, ist seit Mitte der 1970er Jahre ein kontinuierlicher Erwärmungstrend zu beobachten, durch den sich die Schneesicherheit im Winter erkennbar verschlechtert hat – nicht ohne Grund wird ja der Einsatz von Kunstschnee in den Skikonzepten sowohl der Stadt Braunlage als auch der Stadt Wernigerode als wirtschaftlich unverzichtbar eingeplant. Die niedrige Höhenlage und die steigenden Temperaturen lassen es fraglich erscheinen, ob die für die Herstellung von Kunstschnee erforderlichen Umweltbedingungen in 5 oder 10 Jahren noch an so vielen Tagen erreicht werden können, dass eine ausreichende Erstbeschneiung zum Saisonstart sowie die geschätzten 3 – 5 Nachbeschneiungen überhaupt realisiert werden können.
Auch der starke Wind auf dem Wurmberg (der zu einer Verwehung der Tröpfchen und dem Kunstschnee bei der Kunstschneeproduktion führen und diese damit unmöglich machen kann) sowie die niedrige Höhenlage (die für Schierke geplante Piste würde auf einer Höhe von etwa 625 m ü. NHN enden, während in den Alpen Anfang und Ende des letzten Winters Skipisten erst oberhalb von 2.400 m künstlich beschneit werden konnten) werfen weitere Zweifel an der Eignung des Harzes für die Kunstschnee-Produktion auf. In Österreich etwa haben nur zwei von derzeit 15 projektierten Seilbahnen eine Talstation unterhalb von 1.500 m. Nicht ohne Grund empfiehlt auch das Land Sachsen-Anhalt in der durch das Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt erarbeiteten und im April 2010 durch die Landesregierung verabschiedeten “Strategie des Landes Sachsen-Anhalt zur Anpassung an den Klimawandel”, auf den Einsatz von Kunstschnee im Harz prinzipiell zu verzichten und den Fokus der touristischen Entwicklung statt dessen auf den Ausbau der Sommerangebote zu legen:
„Beschneiungsanlagen werden für Sachsen-Anhalt nicht befürwortet. Das Thema ist eher im alpinen Skisport relevant, der in Sachsen-Anhalt keine Bedeutung hat. […] Der Harz wird sich darauf einstellen müssen, dass die Anzahl der Winter ohne Schnee bzw. mit wenig Schnee zunehmen werden. Dies ist im Hinblick auf die touristischen Leitbilder und auf Investitionen in den Wintertourismus zu berücksichtigen.
Die Auswirkungen auf den Sommertourismus werden als überwiegend
positiv eingeschätzt, zumal sich die Saisonanteile in den nächsten Jahren verschieben können. Der Harz entwickelt deshalb Themen, welche die zukünftigen klimatischen Bedingungen berücksichtigen. In der Region müssen vermehrt Ganzjahresangebote im Outdoor- und Indoorbereich entwickelt werden, die auch unabhängig vom Schnee attraktiv sind.”-Strategie des Landes Sachsen-Anhalt zur Anpassung an den Klimawandel, Seite 56/57
Die Erreichung einer „garantierten” Schneesicherheit von mehr als 120 Tagen, wie sie in den planerischen Ausführungen zum Projekt „Wurmberg 2015″ zugesichert wird, ist vor diesem Hintergrund unwahrscheinlich. Auch ob die für einen wirtschaftlichen Skibetrieb den Aussagen der Planer zufolge erforderlichen 100 Tage am Wurmberg bzw. 90 Tage am Winterberg durch eine künstliche Beschneiungsanlage mittelfristig bei stetig ansteigenden Temperaturen (und steigenden Betriebskosten) gesichert werden können, erscheint höchst fraglich. Wie der in den Planungsunterlagen zum Projekt „Wurmberg 2015″ als Positiv-Beispiel für künstliche Beschneiung angeführte und klimatisch mit Braunlage vergleichbare Ort Winterberg im Sauerland zeigt, konnte die Schneesicherheit hier über einen Zeitraum von immerhin 19 Jahren im Mittel lediglich von 60 Tagen (ohne Kunstschnee) auf 80 Tage (mit Kunstschnee) gesteigert werden. Die Idealmarke von 120 Tagen wurde in 19 Jahren in Winterberg gerade einmal in einem einzigen Winter erreicht – und auch die prognostizierte Wirtschaftlichkeitsgrenze von 100 Tagen wurde nur in 4 von 19 Wintern überschritten.
Verfügbare Wasserressourcen und Auswirkungen auf den Wasserhaushalt
Die Produktion von Kunstschnee ist mit einem sehr hohen Wasserverbrauch verbunden – so wird beispielsweise für die Bewässerung von einem Hektar (wasserintensivem) Mais mit 1.700 m³ Wasser, für die künstliche Beschneiung eines Hektars Skipiste dagegen mit bis zu 4.000 m³ Wasser (vier Millionen Liter) pro Saison gerechnet, wobei etwa eine Million Liter für die Erstbeschneiung und bis zu drei Millionen Liter für die Nachbeschneiungen zu kalkulieren sind (vgl. Doering & Hamberger 2006). Der Wasserverbrauch für die künstliche Beschneiung in den Alpen ist aufgrund des zunehmenden Einsatzes von Schneekanonen zur Kompensation der steigenden Temperaturen von 95 Millionen Litern in 2005 innerhalb von nur wenigen Jahren auf 190 Millionen Liter in 2011 angestiegen.
Die Wasserversorgung für die beiden Skiprojekte am Wurmberg und Winterberg soll primär über die Wasserentnahme aus der Warmen Bode (in Braunlage) sowie der Kalten Bode (in Wernigerode/Schierke) erfolgen. Die unterschiedlichen Flussnamen dürfen hier keinesfalls darüber hinwegtäuschen, dass es sich um den gleichen Fluss – die Bode – handelt, der sich aus der Kalten Bode (entspringt am Bodesprung nahe dem Dreieckigen Pfahl, Nationalpark Harz) sowie der Warmen Bode (entspringt aus zwei Quellen am Bodebruch, Nationalpark Harz) speist. Wird Wasser aus der Warmen Bode sowie der Kalten Bode entnommen, verliert demnach in beiden Fällen die Bode mit ihrem schutzwürdigen Wasserkörper und den mit ihr zusammenhängenden Ökosystemen an Wasser.
Wie die Pegelstandsdaten der Warmen Bode für die letzten 12 Monate verdeutlichen, würde im Falle einer Befüllung allein schon des nur für Braunlage geplanten Speichersees bei einer kontinuierlichen Wasserentnahme bereits in drei Monaten (November, Mai und Juni) die Mindestzufuhr unterschritten und somit ein Niedrigwasserzustand herbeigeführt. Geht man von zwei Füllungen aus, käme eine Unterschreitung in drei weiteren Monaten (Oktober, Juli und August) hinzu. Erhebliche Wassermengen, die jedoch für die Beschneiung nur im begrenzten Umfang genutzt werden können, sind dagegen während der Schneeschmelze am Ende der Wintersaison vorhanden. Das hier durch den Kunstschnee zusätzlich eingetragene Schmelzwasser könnte in diesen Monaten allerdings die Hochwassergefahr erhöhen. Wären dem Fluss die Wassermengen für drei bis fünf Befüllungen zu entnehmen – von denen in wärmeren Jahren realistischerweise auszugehen wäre – müsste mit einer Überforderung des Fließgewässers sowie dem Eintreten entsprechender ökologischer Schäden gerechnet werden. Diese Problematik könnte sich insbesondere vor dem Vorhandensein geschützter und vom Aussterben bedrohter Fischarten in der Bode – wie etwa der FFH-Art Groppe – als kritische umweltrechtliche Hürde für die geplanten Bauprojekte erweisen.
Kritisch zu betrachten ist auch der ökologische und landschaftliche Wert der häufig als Speicherseen oder Speicherteiche verniedlichten Speicherbecken. Entgegen den idyllischen Zeichnungen des Planungsbüros Eisentraut – welches die Speicherbecken übrigens direkt in einem der wenigen Feuchtgebiete am Fuß des Winterbergs verortete, wo ein Bau allein aus umweltrechtlichen Gründen überhaupt nicht möglich sein dürfte – handelt es sich bei einem Speicherbecken nicht etwa um einen idyllischen Bergsee, sondern um ein umzäuntes, mit Plastikfolien versiegeltes gebaggertes Becken mit oft fragwürdiger Wasserqualität. Dies zeigt sich selbst an der kleinen und ökologisch deutlich weniger bedenklichen Kunstschnee-Anlage am Matthias-Schmidt-Berg in Sankt Andreasberg, dessen kleines Speicherbecken trotz ständiger Frischwasserzufuhr trübe und eutrophiert wirkt. Dass entsprechend größere Wasserflächen auf dem Wurmberg oder dem Winterberg die Wanderer im Sommer zum Verweilen einladen, darf vor diesem Hintergrund bezweifelt werden.
Zu beachten ist darüber hinaus, dass bei der Kunstschnee-Produktion kein geschlossener Wasserzyklus entsteht, innerhalb dessen Wasser aus natürlichen Quellen entnommen, in künstlichen Schnee umgewandelt und durch die Schneeschmelze wieder in die jeweiligen Quellen zurückgeführt wird. Vielmehr entsteht ein gradueller Wasserverlust von etwa 30 % der entnommenen Wassermenge pro Saison, der unter anderem durch die Verdunstung aus den Speicherbecken während des Sommers (welche die Verdunstung aus einem schnell fließenden, kühlerem und von Bäumen beschattetem Gewässer deutlich übertrifft) sowie Verwehungen bei der Schneeproduktion bedingt wird. In einem wasserreichen Gebiet wie dem Harz stellt dies zwar nicht unmittelbar ein Problem dar, ist aber vor dem Hintergrund eines möglichen längerfristigen Betriebs von Kunstschneeanlagen über 10 oder 15 Jahre ebenfalls als kritisch zu betrachten.
Künstliche Beschneiung im Harz – ein Anachronismus?
In den Hintergrund gedrängt wird bei all den Überlegungen zum Skitourismus auch der für den Harz so wichtige Sommertourismus. Das derzeit insbesondere von Wanderern stark frequentierte Wurmberg-Areal würde durch großflächige Rodungen, die Anlage von Pisten und Speicherbecken sowie den Aufbau der für eine künstliche Beschneiung erforderlichen technischen Infrastruktur (Kühltürme, Pumpstationen, Schneelanzen etc. pp.) erheblich an visueller Attraktivität einbüßen und könnte an Wert für den Sommertourismus verlieren. Die oben abgebildete Fotoserie von Axel Doering von der Gesellschaft für ökologische Forschung zeigt die „Umwandlung” einer Bergwiese bei Garmisch-Partenkirchen in eine künstlich beschneite Skipiste und vermittelt einen Eindruck von dem mit einem derartigen Bauvorhaben einhergehenden Verlust an Anziehungskraft auf Sommer- und Natururlauber.
Ohnehin stellt sich vor diesem Hintergrund die grundsätzliche Frage nach der Sinnhaftigkeit einer künstlichen Beschneiung. Dass schneereiche Winter zunehmend seltener werden, ist immerhin als eine direkte Folge der primär durch den Menschen ausgelösten klimatischen Veränderungen zu verstehen, die durch die künstliche Erzwingung von für den Wintersport benötigten Umweltbedingungen technisch kompensiert werden soll. Anders ausgedrückt soll hier eine durch übermäßigen Energieverbrauch ausgelöste negative Entwicklung durch den Verbrauch von noch mehr Energie (pro Hektar Beschneiungsfläche werden im Mittel 13.000 kWh und bis zu 27.000 kWh verbraucht, vgl. Doering & Hamberger 2006) verdrängt werden.
Anstatt also eine strukturelle Anpassung an den Klimawandel vorzunehmen und die sich verlängernden Zeiträume für sommerlichen Tourismus bestmöglich zu nutzen bzw. neue, schneeunabhängige Tourismusschwerpunkte für die Wintermonate zu finden, wird mit einem enormen technischen Aufwand und auf Kosten des Sommertourismus sowie der Umwelt versucht, den Skitourismus künstlich zu retten. Eine derartig kurzfristige und auch anachronistische Lösung ist mit den zentralen Prinzipien des nachhaltigen Tourismus nicht zu vereinbaren und lässt keinen langfristigen Erfolg erwarten.
„Künstliche Beschneiung mag unter den gegebenen Bedingungen für die Betreiber noch rentabel sein, doch die Anlagen verbrauchen eine enorme Menge an Wasser und Energie und die Beschneiung beeinflusst Landschaft und Umwelt. Wenn die Temperaturen weiter steigen, dürfte künstliche Beschneiung weit teurer werden und ist ab einem bestimmten Niveau nicht mehr rentabel.”
-OECD-Berechnungen zu den Auswirkungen des Klimawandels auf die Skiregionen in den Alpen, Kurzbericht von 2006
Weitere Umweltaspekte der künstlichen Beschneiung
Wie bereits eingangs erwähnt, soll diese Kurzzusammenfassung der ersten – vorläufigen – Ergebnisse speziell die spezifischen Problemlagen im Harz beleuchten, die für die Planung und Umsetzung der beiden betrachteten Bauvorhaben die größte Relevanz besitzen. Nicht betrachtet wird dagegen die Vielzahl an grundsätzlichen und damit nicht Harz-spezifischen Umweltproblemen, die mit einer künstlichen Beschneiung zusammenhängen. Diese sollen in den nächsten Monaten im Rahmen einer Meta-Studie der verfügbaren wissenschaftlichen Literatur analysiert und zusammengefasst werden – der Vollständigkeit halber seien einige der wichtigsten Umweltprobleme an dieser Stelle aber dennoch erwähnt:
Lärmemissionen der Schneeproduktion: Der Betrieb von Schneekanonen und Schneelanzen ist stets auch mit der Emission von Lärm verbunden. Selbst dort, wo lärmarme Systeme zum Einsatz kommen, entsteht eine Dauerbeschallung, die negative Folgen für wildlebende Tiere nach sich ziehen kann. Dieser Punkt dürfte insbesondere für die weitere Planung des Skigebietes am Schierker Winterberg noch von Bedeutung sein, da die aktuellen Entwürfe den Aufbau mehrerer dutzend Schneelanzen unmittelbar an der Grenze des Nationalparks Harz sowie des EU-Vogelschutzgebietes Hochharz vorsehen.
Zunahme der Lichtverschmutzung: Durch die Schaffung von beleuchteten Skipisten, auf denen als besondere touristische Attraktion auch das Skifahren bis tief in die Nacht möglich ist, wird die Lichtverschmutzung in der Region gesteigert. So ist etwa am Wurmberg die Einrichtung einer Flutlicht-Beleuchtungsanlage mit 40 Masten und einer Beleuchtungsstärke von 100 Lux (die Empfehlung der DIN EN 12193 für eine Anlage der geplanten Größe und Funktion liegt bei lediglich 20 Lux) geplant, welche bis 22:30 Uhr betrieben werden soll. Eine solche Anlage belastet nicht nur die Umwelt, sondern trägt auch zur Verschlechterung der hervorragenden astronomischen Sichtverhältnisse im Harz bei und behindert den sich in der Entwicklung befindlichen Astro-Tourismus in Sankt Andreasberg.
Gerade Harzorte wie Sorge und Sankt Andreasberg zeichnen sich derzeit (noch) durch nahezu natürlich dunkle Nachtverhältnisse aus – im nahegelegenen Harzort Elend etwa lassen sich Werte für die Himmelshintergrundhelligkeit von 21,7 mag/argsec² messen, was einem „perfekt dunklen Nachthimmel” so nahe kommt, wie dies in Europa überhaupt noch möglich ist. Der Oberharz bietet damit deutschlandweit absolut herausragende Sichtbedingungen für astronomische Beobachtungen, die ihn für eine Aufnahme in die exklusive Liste der Dark Sky Parks der International Dark Sky Association qualifizieren würden. Diese einmalige Chance für den sanften Tourismus würde mit der geplanten Flutlicht-Anlage auf dem Wurmberg definitiv zerstört (vgl. Hänel & Reinboth 2012).
Gefahr der Trinkwasserkontamination: Schon 1997 konnte durch Peintner, Rieneck und Pöder nachgewiesen werden, dass koloniebildende Mikroorganismen und Pilze durch Schneekanonen verbreitet werden können (die bakteriellen Keimzahlen des damals unter-suchten Kunstschnees lagen um den Faktor 10 über den gesetzlichen Richtwerten). Aus Skigebieten wie Peisey in Frankreich weiß man, dass viele Bewohner bereits seit Jahren nur abgekochtes Leitungswasser oder Wasser aus Flaschen als Lebensmittel verwenden, um Magen-Darm-Erkrankungen durch Kolibakterien vorzubeugen (vgl. hierzu Vivant 2007, de Jong 2009). Auch im Harz ist ein grundsätzliches Kontaminationsrisiko gegeben.
Hoher Energieverbrauch: Wie bereits erwähnt werden pro Hektar Beschneiungsfläche im Mittel 13.000 kWh und bis zu 27.000 kWh an Energie verbraucht. Vergleicht man nun den Umfang der geplanten Beschneiungsanlagen im Harz (bis zu 120 Schneelanzen am Wurmberg sowie bis zu 70 Schneelanzen am Winterberg), so zeigt sich, dass hier für gerade einmal knapp über 20 km Streckenlänge insgesamt fast 200 Schneekanonen vorgesehen sind – während in großen alpinen Skigebieten mit 300 – 400 Schneekanonen deutlich über 100 km Steckenlänge beschneit werden. Das sich daraus ergebende ungünstige Verhältnis von eingesetzter Energie (und verbrauchtem Wasser) pro Streckenkilometer sollte Anlass sein, die grundsätzliche Eignung des Harzes für die Kunstbeschneiung erneut zu überdenken.
Verlust von Feuchtgebieten: Die hydrologischen Folgen der künstlichen Beschneiung führen unter anderem zum Verlust von ökologisch wertvollen Feuchtflächen, wie sie auch im Harz zu finden sind. Aus Val Thorens in Savoyen ist etwa bekannt, dass der dortige Ausbau der Skistation zu einem Verlust von knapp 70 % der natürlichen Feuchtflächen geführt hat (vgl. Gaucherand & Isselin-Nondedeu 2011) Auch die derzeitigen Planungen in Schierke sehen die Anlage einer Skipiste mitten durch historisch gewachsene Feuchtflächen vor, die durch die damit einhergehende Bodenversiegelung unterbrochen würden. Allein schon durch diese Unterbrechung – geschweige denn die Folgen der Beschneiung – können sich stark negative, allerdings auch schwer zu prognostizierende Folgeschäden für diese Flächen ergeben. Auch dies ist als umweltrechtlich kritischer Aspekt der Planung zu werten.
Hohe wirtschaftliche Risiken: Bedingt durch die klimatischen Veränderungen nimmt auch in höhergelegenen Wintersportzentren die Anzahl der Schneetage sowie der für eine künstliche Beschneiung geeigneten Tage beständig ab. So ließ sich etwa selbst mit maximalem technischen Aufwand nicht verhindern, dass im November 2011 der Super-G-Wettbewerb in Val d’Isere abgesagt werden musste. Permanente Nachinvestitionen wie etwa die Anlage weiterer Speicherteiche sowie ein höherer technischer Aufwand zu Sicherung der Minimalbeschneiung belasten die Budgets der Betreiber und führen vielerorts zu wirtschaftlichen Engpässen, die nicht selten durch die Bereitstellung von Steuergeldern überbrückt werden, um saisonale Ausfälle zu verhindern. Kommunen, die den Bau künstlich beschneiter Skianlagen genehmigen bzw. fördern gehen damit das Risiko ein, bereits in einigen Jahren finanziell in die Pflicht genommen zu werden oder aber vor einer Investitionsruine zu stehen. Ein hohes wirtschaftliches Risiko wird hier insbesondere für Schierke bei fehlender Anbindung an das Braunlager Skiprojekt gesehen, da hier zum einen eine recht kurze und damit wenig attraktive Streckenlänge (2 km) vorgesehen ist sowie zum anderen Land und Kommune hier gemeinsam als Investor – und die Kommune potentiell sogar als späterer Betreiber einiger touristischer Einrichtungen – auftreten.
Schlussfolgerungen und vorläufiges Fazit
Aus der Analyse der bereits verfügbaren Planungsunterlagen für beide Projekte sowie aus der dreitätigen hydrogeologischen Begehung am Wurmberg und Winterberg im Juli 2012 haben wir die folgenden, vorläufigen Schlussfolgerungen gezogen:
- Sowohl auf dem Wurmberg als auch auf dem Winterberg ist es prinzipiell zu warm und zu feucht, um von Anfang bis Ende der Skisaison mit Sicherheit beschneien zu können. Insbesondere für die Pisten am Wurmberg ist festzustellen, dass deren süd- bzw. südöstliche Lage die Anfälligkeit für die Schneeschmelze erhöht, gleichzeitig aber die Anzahl an potentiell für die Kunstschneeproduktion geeigneten Tagen vermindert. Auch andere Faktoren (z.B. starke Winde, niedrige Höhe, steigende Temperaturen, der hohe Humingehalt des Wassers etc. pp.) lassen es als höchst zweifelhaft erscheinen, dass sich der Harz für die Kunstschneeproduktion eignet.
- Eine Kunstschnee-Produktion auf beiden Seiten des Wurmbergs wäre mit einer erheblichen Wasserentnahme aus der Bode verbunden. Es ist fraglich, ob die Bode hierfür ausreichend Wasser führt. Die Pegeldaten der Warmen Bode aus den Jahren 2011 und 2012 zeigen, dass im Sommer und Herbst mit Niedrigwasserproblemen zu rechnen wäre. Da sich in der Bode stark geschützte und vom Aussterben bedrohte Fischarten wie die Groppe finden, sind eventuell eintretende ökologische Schäden am Flusssystem als besonders kritisch zu betrachten. Hier stellt sich vor allem die Frage,
ob die Wasserentnahme im Falle niedriger Wasserstände künftig auch dann gestoppt würde, wenn der Start der Skisaison bevorsteht bzw. wie dies länderübergreifend sichergestellt werden könnte. Wie die Pegeldaten der Bode zeigen, wäre im Frühjahr mit der zusätzlichen Kunstschneeschmelze auf den undurchlässigen Pisten auch mit einer erhöhten Hochwassergefahr sowie einem steigenden Erosionsrisiko zu rechnen. - Die zunehmende Erwärmung beschert dem Harz im Winter zukünftig nicht nur durchschnittlich weniger Schneetage, sondern auch weniger schneefreie Tage, in denen die Temperaturbedingungen für die Produktion von Kunstschnee erfüllt werden. Es stellt sich daher die Frage, ob der touristische Schwerpunkt bei sich verkürzenden Wintern und sich gleichzeitig verlängernden Sommern nicht auf den Sommertourismus anstatt auf den Skitourismus gelegt werden sollte.
Die wesentliche, sich aus diesen Schlussfolgerungen ergebende Erkenntnis ist, dass eine ganzheitliche, länderübergreifende Betrachtung der gemeinsamen Umweltauswirkungen beider Bauvorhaben unbedingt erforderlich ist. Beide Projektgebiete liegen in unmittelbarer geographischer Nähe zueinander, beide Vorhaben greifen in das gleiche Ökosystem sowie den gleichen Grundwasserhaushalt ein und in beiden Fällen ist eine Wasserentnahme zum Zwecke der künstlichen Beschneiung aus dem Fließgewässersystem der Bode geplant. Die weitere Planung und Umsetzung der Vorhaben ohne eine solche ganzheitliche Betrachtung wäre mit erheblichen Risiken – nicht nur für die Umwelt – verbunden. Es sollte daher auf jeden Fall eine länderübergreifende Umweltverträglichkeitsprüfung angestrebt werden, in deren Rahmen etwa die Auswirkungen der kombinierten Wasserentnahme beider Projekte auf das Ökosystem der Bode wissenschaftlich untersucht werden könnte.
Das große Ziel lautet daher: Länderübergreifende UVP. Wenn mit der ganzen nun hier vor Ort losgetretenen Diskussion zunächst einmal nur dieses Ziel erreicht wird, bin ich eigentlich schon ganz zufrieden. Ganz grundsätzlich stellt sich zumindest mir bei der ganzen Debatte allerdings die Frage, wie sinnvoll es überhaupt sein kann, bei ausbleibendem Schneefall und in der Nacht auf künstlichem Schnee und bei künstlicher Beleuchtung Ski zu fahren. Exakt diese Form des Umgangs mit Energie und mit der Natur ist es schließlich, der wir die Notwendigkeit von Schneekanonen überhaupt erst zu verdanken haben. Bei allem Verständnis für hohe Ansprüche und das berechtigte Interesse, Geld zu verdienen (das ich als Unternehmer ja selbst teile) – aber mir stellt sich angesichts solcher Aussagen wirklich die Frage, ob uns da nicht vielleicht der gesellschaftliche Kompass verrutscht ist…
Verwendete Literatur
de Jong 2009: de Jong, Carmen: Savoy – balancing water demand and water supply under increasing climate change pressures. – Regional Climate Change and Adaptation. The Alps facing the challenge of changing Water Resources. European Environment Agency, S. 81-84, Brüssel, 2009.
de Jong 2011: de Jong, Carmen: Artificial Production of Snow, Encyclopedia of Snow,
Ice and Glaciers, Hrsg.: Singh, Singh & Haritashya, Springer-Verlag, S. 61-66, 2011.
Doering & Hamberger 2006: Doering, Axel & Hamberger, Sylvia: Der künstliche
Winter, Hrsg.: Bund Naturschutz in Bayern, München, 2006.
Gaucherand & Isselin-Nondedeu 2011: GIS as a management tool for high altitude wetlands: a case study of the Val Thorens ski area. – Sciences, Eaux et Territories 5,
S. 60-62, 2011.
Hänel & Reinboth 2012: Hänel, Andreas & Reinboth, Christian: Wo Sternlicht unter Naturschutz steht – Dark-Sky-Parks und ihre Ausweisung. – interstellarum, Nr. 80,
Februar / März 2012, S. 12-17, Oculum-Verlag, Erlangen, 2012.
MLU LSA 2010: Strategie des Landes Sachsen-Anhalt zur Anpassung an den Klima-wandel, verabschiedet am 13. April 2010 durch die Landesregierung, Magdeburg, 2010.
OECD 2006: OECD-Berechnungen zu den Auswirkungen des Klimawandels auf die Skiregionen in den Alpen, Kurzbericht veröffentlicht am 13.12.2006, Paris/Berlin.
Peintner, Rieneck & Pöder 1997: Peintner, U., Rieneck, W. & Pöder, R.: Immissionen
von Mikroorganismen (Bakterien und Pilze) durch Schneekanonen. Ein Fallbeispiel. – Berichte des Naturwissenschaftlich-Medizinischen Vereins Innsbruck, Band 84, 1997.
Vivant 2007: Vivant, M.L.: Impact de l’évolution climatique sur les pratiques touristiques
en milieu montagnard – Vallée de lau Haute-Romanche, Pays de la Meije (Auswirkungen des Klimawandels auf die touristischen Aktivitäten im Gebirge – das Tal der Haute-Romanche, Meije). – Stage Recherche et Innovation, S. 46, 2007.
Als ResearchBlogging-Hauptquelle diente: Carmen de Jong (2009). Savoy – balancing water demand and water supply under increasing climate change pressures Climate Change Impacts and Adaptation in the European Alps: Focus Water Resources
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