Vor zwei Jahren hatte ich hier im “Frischen Wind” unter dem Titel “Mehr Licht = mehr Sicherheit?” über den – fehlenden – Zusammenhang zwischen nächtlicher Vollbeleuchtung und öffentlicher Sicherheit gebloggt. Als Anlass diente mir dabei eine aktuelle Debatte aus den USA, wo eine äußerst löbliche Initiative zur Reduzierung der Lichtverschmutzung des Ortschaftsrats im kleinen Städtchen Barrington Hills im US-Bundesstaat Illinois für hochgeradig emotionale Debatten in der Kommentarspalte eines (inzwischen leider bereits depublizierten) Artikels im Daily Herald sorgte. Angesichts der angekündigten Beleuchtungsreduzierung kochten hier Ängste vor Dunkelheit und Verbrechen sowie Rufe nach der Verteilung von Nachtsichtgeräten, Taschenlampen und sogar Waffen hoch, um die Bürgerinnen und Bürger für die zu erwartende Kriminalitätsorgie zu rüsten.
Eine ähnliche Debatte erlebt derzeit die niedersächsische Kaiserstadt Goslar. Hier plant man aufgrund von Haushaltsengpässen eine Reduzierung der öffentlichen Beleuchtung bis hin zu einer vollständigen Abschaltung nicht-essentieller Straßenbeleuchtung zwischen 0 und 5 Uhr. Die Beschlussvorlage geht dabei interessanterweise gleich auf mehrere Kommunen unserer Region ein, die derartige Nachtabschaltungen bereits umsetzen, wobei in all diesen Orten der gleiche Effekt zu erkennen ist, den ich schon vor zwei Jahren am Beispiel der Stadt Rheine erläutert hatte: Die Bürger fühlen sich durch eine Rücknahme von Beleuchtung zwar zunächst unsicherer, tatsächlich kommt es jedoch durch maßvolle Nachtabschaltungen weder zu einer Zunahme von Unfällen noch zu einem Anstieg der Kriminalitätsrate:
Zur Erkundung der vorliegenden Erfahrungen anderer Gemeinden im Umkreis, wurden die Städte und Gemeinden des Landkreises um einen Erfahrungsbericht gebeten. Hierzu wurden zusammengefasst folgende Stellungnahmen abgegeben:
Gemeinde Liebenburg: Nachtabschaltung von 01:00 – 4:30 Uhr
- Die Nachtabschaltung wird von Anliegern im Zusammenhang mit Veranstaltungen vereinzelt bemängelt.
- Seitens der Verkehrsteilnehmer, der Rettungsdienste und der Feuerwehr sind keine Beeinträchtigungen bekannt.
- Laut Auskunft der Polizei ist kein Anstieg der Kriminalität bekannt.
Stadt Vienenburg: Nachtabschaltung 01:00 – 04:00 Uhr
- Zunächst sehr negative Bewertung der Maßnahme durch die Anlieger, mittlerweile wird die Maßnahme akzeptiert.
- Seitens der Rettungsdienste, Polizei, Feuerwehr sind keine Probleme bekannt.
Stadt Seesen: Nachtabsenkung 0:00 – 5:30, Nachtabschaltung 0:00 – 5:30 in Bereichen in denen keine Nachtabsenkung möglich ist.
- Nach Einführung der Nachtabschaltung wurden nach Beschwerden punktuelle Nachbesserungen vorgenommen. Ansonsten wurde die Maßnahme von den Anwohnern mit Verständnis aufgenommen.
- Es liegen keine Rückmeldungen über negative Einflüsse von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten vor.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Maßnahme von den Bürgern nicht begrüßt sondern „notgedrungen akzeptiert“ wird, jedoch bisher keine nachweisbaren Beeinträchtigungen der öffentlichen Sicherheit festzustellen sind.
Angesichts dieser Argumente sah auch der Bauausschuss der Stadt Goslar vergangene Woche keinen Grund mehr, der Maßnahme – mit der immerhin ganze 90.000 Euro pro Jahr eingespart werden können – nicht zuzustimmen (drei Enthaltungen, keine Gegenstimmen), woraufhin in der Kommentarspalte der Goslarschen Zeitung prompt die immer wieder gleiche Debatte um die nun zu erwartende Welle des Verbrechens entbrannte:
Nicht nur das “Nachteulen” eine gute Taschenlampe brauchen, empfehlen tut sich sicher, das man kräftigen Geleitschutz mitnimmt oder wie in den Staaten (in der BRD nicht erlaubt) eine scharfe Waffe mit sich führt, um sich im Notfalle wehren zu können. Wie bekannt, lockt Dunkelheit auch Gesindel aller Art an. Leute seit auf der Hut, und verschanzt euch gut.
Um diese Zeit (0.00 Uhr) arbeiten viele Frauen in der Spätschicht (Gastronomie, Krankenhäuser etc.). und nicht immer holt sie jemand ab. Ich hab schon Angst, wenn ich abends bei Laternenlicht von der Wachtelpforte in die Altstadt laufen muss, sämtliche Wege dorthin sind menschenleer und es hat dort schon Überfälle gegeben. Ohne eine Laterne – Herr Dr. Junk, bitte finanzieren uns Frauen und Mädchen dann mal Karate-Kurse! Warum denken die planenden und sparenden Männer nicht an so etwas? Warum wird wieder zum Nachteil der Frauen gespart?
So langsam REICHT ES! Ob die Herrschaften vom Bauausschuss schon einmal Nachts im Wald unterwegs waren? Wir leben doch nicht auf dem Dorf?! Wieviele Polizisten werden denn dann neu eingestellt? Mal schauen wann nach dem 2.1 die ersten Klagen gegen die Stadt kommen weil jemand ausgeraubt oder sich etwas gebochen hat?!
Vieleicht geht ja noch jemandem ein Licht auf. Die Deutschen sind doch Statistikmeister. Bin mal auf die Kriminalstatistik ab 02.01.13 gespannt.
Zur Beruhigung der Goslarer Bürger sei daher an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich gesagt: Es wird absolut nichts passieren. So wie auch in Liebenburg nichts passiert ist. So wie auch in Vienenburg nichts passiert ist. So wie auch in Seesen nichts passiert ist. So wie auch in Rheine nichts passiert ist. So wie eben einfach nie etwas passiert, wenn die öffentliche Beleuchtung zurückgefahren wird. Da in vielen Städten und Kommunen mittlerweile sehr viel mehr und sehr viel länger beleuchtet wird, als dies zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit erforderlich ist (für dies es natürlich der Beleuchtung bedarf), sind bei maßvollen Einsparmaßnahmen schlicht keine negativen Effekte zu befürchten. In Halle etwa wurde die öffentliche Beleuchtung in einigen Stadtvierteln zwischen 2003 und 2011 aus Kostengründen massiv zurückgefahren, ohne dass negative Effekte sichtbar geworden wären – was den Hallenser Stadtrat im vergangenen Jahr leider nicht davon abhielt, die Beleuchtung wieder zu verstärken.
Die Gründe hierfür sind stets gleich: Sich unsicherer fühlende und daher unzufriedene Bürger, deren Ängste natürlich beachtet und berücksichtigt werden müssen – und stimmungssensible Kommunalpolitiker, die genau wissen, dass sie mit der fehlerbehafteten Formel “mehr Licht = mehr Sicherheit” in Presse und Öffentlichkeit eigentlich nur punkten können. Beobachten kann man dies zur Zeit etwa in der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover, in der über einen von der SPD unterstützen Antrag der Grünen zur Reduzierung der Lichtverschmutzung debattiert wird. Obwohl es in dem Antrag vorrangig um Werbebeleuchtung – Skybeamer, Leuchtreklamen und exzessive Weihnachtsbeleuchtung – geht, titelte die BILD-Zeitung reißerisch “Rot-Grün will Stadt abdunkeln” – und unterlegte diese Schlagzeile auch noch mit einer Fotografie der durch einen Stromausfall im Juli 2011 in Dunkelheit gestürzten Stadt.
Bedauerlicherweise konnten weder die CDU- noch die FDP-Fraktion im Hannoveraner Stadtrat der populistischen Verlockung einer BILD-Schlagzeile wiederstehen. Während ein CDU-Stadtrat mit dem Satz “Das ist der dümmste Antrag, den ich je gelesen habe” zitiert wird, erklärt der Chef der FDP-Fraktion die Abschaltung von Skybeamern und anderen Arten der Werbebeleuchtung zu einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit: “Die flippen jetzt völlig aus. Die Sicherheit der Bürger wird aufs Spiel gesetzt.” Als CDU-Mitglied enttäuscht mich natürlich insbesondere die harsche Reaktion meiner Partei, da sie der innerparteilichen Beschlusslage zuwiderläuft: Schon 2009 haben die Wissenschaftsminister sämtlicher CDU-Landtagsfraktionen (also auch der in Hannover) ein gemeinsames Positionspapier zur Lichtverschmutzung verabschiedet, in dem sie Städte und Kommunen explizit dazu auffordern, gegen unnötige Beleuchtung vorzugehen. Dies scheint den Hannoveraner Parteikollegen leider ebenso entgangen zu sein wie der Umstand, dass es im auch nahegelegenen Goslar die Verwaltung eines CSU-Bürgermeisters (übrigens dem einzigen außerhalb Bayerns) ist, die die Nachtabschaltungen vorantreibt.
Aller BILD-Tiraden zum Trotz macht mir die Tatsache, dass selbst in der Landeshauptstadt ernsthaft über eine Reduktion der Lichtverschmutzung nachgedacht wird, dennoch Hoffnung. Immerhin wird diskutiert – vor zehn Jahren wäre man mit dem Wunsch nach Nachtabschaltungen vermutlich sogar von den meisten Grünen nicht ernstgenommen worden. Selbst hier in meiner beschaulichen Wahlheimat Wernigerode ist die Helligkeit der Straßenbeleuchtung seit kurzem wieder ein Thema: Im Rahmen der Laudatio für die beiden Wernigeröder Astronomielehrer und Betreiber des (besuchenswerten) Harzplanetariums, die gesten mit dem Umweltpreis der Stadt geehrt wurden, verwies Oberbürgermeister Peter Gaffert auch auf die berechtigten Klagen von Hobby-Astronomen über die zunehmende Lichtverschmutzung – und kündigte an, mit den Fraktionen im Stadtrat über Möglichkeiten der Reduzierung sprechen zu wollen. Und sogar die Wintersport-Investoren im nahegelegenen Hahnenklee konnten vom BUND vor einigen Wochen davon überzeugt werden, die am dortigen Bocksberg entstehende Rodelbahn zur Reduzierung der Lichtverschmutzung nur mit minimalen fünf Lux zu beleuchten.
Es tut sich also tatsächlich einiges – nun heißt es dranbleiben. Aber da habe ich bei der Vielzahl von engagierten Hobby-Astronomen unseres Landes eigentlich keine Zweifel…
Kommentare (21)